Die „identitären“ Ritter gegen das Morgenland

13.02.2013 | 9:06 | Kerstin Kellermann

Die schöne Stadt Wien ist ein Ort mit 150 Denkmälern zur Türkenbelagerung. Und sie ist kürzlich Schauplatz einer paranoiden Attacke von rechten Islamfeinden auf die Flüchtlinge in der Wiener Votivkirche geworden. Wien kann leider ein fruchtbarer Boden für Paranoia und Islamfeindlichkeit sein. 

Ein junger Mann mit hellblauem Schal und dunkler Jacke brettert durch die Menschenmenge. Hocherhobenen Hauptes pflügt er aggressiv durch die Leute und schreit laut. Man versteht nichts. Er zieht geladen seine Runden. Er schaut aus als wäre er auf Droge oder zumindest ganz schön neben sich. Einige weichen ihm ängstlich aus, andere betrachteten ihn erstaunt. Es ist ein „Identitärer“ der „Identitären Bewegung“, der hier ganz alleine inmitten der Menschen, die zur Wiener Votivkirche geeilt sind, um die Flüchtlinge vor irgendwelchen „right wing people“ zu beschützen, seinen Größenwahn auslebt. Was ist bloß los mit diesem weißen Österreicher? Neun seiner Kollegen befinden sich zu diesem Zeitpunkt in der Kirche. Ausgerüstet mit Schlafsäcken und Matten wollen sie in einer boshaften Satire und sarkastischen Umdrehung den „Asylmissbrauch“ entlarven, den sie sich phantasievoll ausgemalt haben.

Die meisten lassen den jungen Recken mit der überbordenden Energie ins Leere laufen, doch ein paar versuchen ihn aus der Nähe der Kirche zu verdrängen. Ein Mann mit Brille und Dreadlocks unter der bunten Haube hüpft schließlich vor dem Mann auf und nieder. „Wir sind friedlich, ihr seid freiheitlich!“, ruft er immer wieder und hüpft so hoch er kann. Wie ein Gummiball. Auf und nieder. Der Angreifer weicht erstaunt zurück. Die paradoxe, performative Intervention des studierten Theaterwissenschafters zeigt Erfolg. Der Identitäre verschwindet – bis zu seiner nächsten einsamen Attacke.

Paranoia People

Viele Flüchtlinge stehen derweil an die schwarzen Gitterstäbe vor dem Kirchentor gedrängt, wollen aber nicht heraus kommen. Auf diesem schmalen Freiraum zwischen den angeblich christlichen Besetzern ihres Schutzraumes und unbekannten Gefahren draußen eingeklemmt, schauen sie trotzig in die Gegend. Nachdem auf islamfeindlichen bzw. rechtsextremen Homepages Fotos von Flüchtlingen erschienen sind und sich viele Artikel und Kommentare auf WordPress-Blogs ohne Impressum an den Flüchtlingen abarbeiteten, war eine Eskalation dieser seltsamen Obsession zu befürchten. Ein junger Flüchtling zittert, er ist nur im dünnen Pullover heraus gelaufen. Zwei Hungerstreikende geben vor, sich nicht zu fürchten und spielen die Helden, hängen aber ganz dicht am Gitter, direkt bei der Türe: „Wir haben ihnen Tee angeboten. Es sind ganz schön große Muskelpakete dabei. Aber mit uns reden wollen sie nicht.“

Diese Flüchtlinge von der Grenze Pakistan zu Afghanistan, aus einem gefährlichen Gebiet, in dem sich Taliban, pakistanische Armee und US-Drohnen bekämpfen, haben inzwischen schon einige österreichische „Paranoia People“ (wie sie ein Flüchtling nennt), die versuchen, ihren eigenen „Schaden“ über andere Menschen auszutragen und auf diese Weise zu bearbeiten, kennenlernen müssen. Die Flüchtlinge mussten als Blitzableiter, als Ventil herhalten, obwohl sie selber wahrscheinlich viel schlimmere Erlebnisse hatten als diese Menschen, die hier versuchen, ihnen den Opferstatus streitig zu machen. Doch diese Attacke nimmt seltsame Formen an, behauptet „friedlich“ zu sein, während sie gleichzeitig extrem angriffslustig daher kommt. Wer hat diese jungen Männer so aufgehetzt und wieso sind sie so hasserfüllt? Ein Mann hob den Schal des Angreifers vom Boden auf und beschützte den vor seinem eigenen Zorn: „Man darf sie nicht angreifen, sonst wird man wie sie. Genau gleich“, erklärte er sein Dilemma.

Opfermythos und Feindbild Islam

„Identitäre“ besetzten  in Frankreich eine Moschee und in Wien wollten diese identitären Ableger eine Verlegung der „Kirchenbesetzung“ in eine Moschee erreichen. Schon die Tatsache, dass es in Wien gezählte 150 Türkendenkmäler gibt und der im Wien Museum im Lager aufgehobene Kopf des Kara Mustafa erst 2006 beigesetzt wurde, zeigt, dass Wien ein fruchtbarer Boden für Paranoia und Islamfeindlichkeit sein kann. Entweder wurde die Belagerung Wiens, die ja schon wirklich lange her ist, nie wirklich bearbeitet im kollektiven Gedächtnis, oder sie dient nach wie vor der Aufrechterhaltung eines Opfermythos, der sich quer durch die österreichische Geschichte zieht. Denkmäler sind eine sehr distanzierte bzw. unterkühlte Art gesellschaftliche Ereignisse zu bearbeiten und können eine lebendige Geschichts-Erarbeitung nicht ersetzen.

Ritter mit Mythen und Märchen

Den Männern der „Identitären Bewegung“ wird daher garantiert unbekannt sein, wieviel „der Islam“ der europäischen Moderne an Kunst, Wissenschaft und Philosophie gebracht hat,  so wie sie ihre „Ritter gegen das Morgenland“- These und Praxis vertreten. Aber die Zufriedenheit auf den identitären Gesichtern beim Abzug aus der Kirche lässt  darauf schließen, dass es ihnen gar nicht so sehr um Inhalte ging, sondern um die mediale Aufmerksamkeit. Und das deutet auf einen gewaltigen „Schaden“ hin, wenn man es nicht aushält, dass andere in der Öffentlichkeit stehen und man sich unbedingt mit allen Mitteln, Mythen und Märchen in den Vordergrund drängen muss – koste es, was es wolle (z.B. einen Wega-Einsatz).

Wie gut, dass die Caritas und die Kirche inzwischen schon über viel Erfahrung mit allen möglichen „Paranoia People“ verfügen und daher besonnen auf diesen Angriff reagieren konnten. Und die pakistanischen Flüchtlinge mit dieser seltsamen Variante einer rechten österreichischen Opfer-Spezies nicht viel anfangen konnten. Sie haben ja schließlich noch nicht ihren österreichischen Geschichts-Unterricht inklusive der Nationalsozialismus-Opfertheorie des „Anschlusses 1938“ gehabt und kennen auch die Märtyrer-Geschichte des Kreuzfahrers Leopold V. noch nicht. Wie die rot-weiß-rote Fahne geboren wurde. Doch wie kollektiv und gesellschaftlich endlich von diesen ganzen Opfermythen weg kommen?


3 Kommentare

  • André

    Es streitet auch niemand ab dass Gelehrte und andere Einflüsse durch Menschen aus dem Orient, u.A. zur Aufklärung im wissenschaftlichen Bereich, zur Zeit des Mittelalter im Abendland beigetragen haben. Man vergisst aber anscheinend, dass es auch genauso buddhistische oder hinduistische Einflüsse hätten sein können. Diese waren allerdings nicht in der Weltgeschichte unterwegs um eine Mission Mohammeds zu vollstrecken! Die spirituelle Ausrichtung ist da nur schmückendes Beiwerk. Besonders sollte man endlich verstehen das Islam und Islamismus nicht das selbe sind. Letzteres ist wohl der Dorn im Auge... Geschrieben um 25. März 2013 um 19:41 Uhr Antworten
  • Pastor Hans-Georg Peitl

    Wie der Schreiber des Artikels richtig zugibt, hat auch er die Ansprache der Identitären nicht verstanden. Es ging in keinster Weise darum, den Asylwerbern und ihren Kampf um das Arbeitsrecht zu schaden oder die Medienpräsenz auf sich zu ziehen, sondern darum, dass es unfair wäre,den Asylwerbern das Arbeitsrecht zu geben,es gleichzeitig aber den österreichischen Obdachlosen zu entziehen. Die brauchen bis heute zur Anmeldung bei der Gebietskrankenkasse einen Hauptwohnsitz. Niemand hätte in Frage gestellt, dass der Artikel 23 der allgemeinen Menschenrechte des Jahres 1948 der UNO verankert über das Völkerrecht in der österreichischen Verfassung auf die Asylwerber anzuwenden ist, sondern wir sind nur der Meinung, dass selbiger Passus auch auf die österreichischen Obdachlosen Anwendung finden sollte. Ich finde es daher schade, dass man die Identitären unter Umständen trotz besseren Wissens immer in das ultrarechte Eck stellen möchte. Christlich Humanistische Ritter trifft den Nagel besser auf den Kopf. Und um letztendlich noch ein Wort zur Islamfeindlichkeit zu sagen: Auch diese ist nicht gegeben, solange der Islam am Boden des Korans steht und sich nicht in die Politik Österreichs einmischen möchte. Österreich hat eine Trennung von Staat und Kirche und folglich auch um den EU-Gleichheitsgrundsatz einzuhalten: Eine Trennung von Staat und Moschee. Mit Gottes Segen Pastor Hans-Georg Peitl Geschrieben um 14. Februar 2013 um 07:25 Uhr Antworten
    • Alex

      So ein Unsinn. Ein wohnungsloser Mensch, kann (und muss sogar) sich obdachlos melden. Es wird lediglich eine Kontaktadresse für Postzustellung verlangt. Einige Vereine bieten den Betroffenen an, ihre Adressen angeben zu können. Ihre hilflose Verteidigung, der hilflosen selbsternannten "christlich-humanistischen" Ritter und Verteidiger des Abendlandes, denen es an christlicher Humanität, wie auch an Verstand mangelt, basiert also auf einem leicht zu entkräftenden Scheinargument. Geschrieben um 27. Februar 2013 um 17:28 Uhr

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