Es gibt viele Samuel Kochs

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QUELLE

22.12.2010 | 9:38 | simon INOU

Nach dem Unfall in der Sendung „Wetten, dass..?“: Es gilt, auf die Millionen Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen.

Sie war riskant, die Wette, mit Federbeinen über fünf fahrende Autos zu springen. Zu riskant. „Wetten, dass..?“-Kandidat Samuel Koch verlor. Nicht nur die Wette, er verlor sein Gehvermögen – vielleicht für immer.

Während Familie und Freunde um Leben und Gesundheit des jungen Mannes fürchteten, bangte eine breite Öffentlichkeit mit ihnen. Denn durch nationale und internationale Medien waren und sind wir alle gut darüber informiert, ob Samuel Koch noch im Koma lag, ob er schon wach war, ob er den Unfall unbeschadet überlebt hat oder doch für immer gelähmt sein wird.

Unfälle jenseits des Rummels

Nach dem Unfall, der live in einer der meistgesehenen Shows der Fernsehgeschichte im deutschsprachigen Raum passiert war, geschah etwas Typisches: Es wurde hypermediatisiert. Auf Google-News-Seiten war es möglich, im Sekundentakt zu beobachten, wie Nachrichtenkanäle über Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke den Unfall kommentierten.

Allein mit dem Suchbegriff „Samuel Koch“ finden sich auf google.de mehr als eine Million indexierte Seiten. Das Thema beherrscht tagtäglich die deutschen Medien. Die Beschreibung des Unfalls erzeugt Mitleid. Viele beten, spenden für die Familie, damit es Koch besser gehen möge.

Auch ich habe mich dabei ertappt, in genau dieselbe Rolle zu schlüpfen, in der ich jeden Tag nach Informationen gesucht habe. Voyeuristisch. Ich wollte unbedingt wissen, wie es Samuel Koch geht, und ob es etwas gibt, dass ich tun könnte. Aber nüchtern betrachtet ist dieses Verhalten zum Teil doch fehl am Platz.

Herr Koch hat das Risiko auf sich genommen, obwohl es bei den Proben für die Liveshow zu zwei Unfällen gekommen ist. Das heißt, er hat auch teilweise etwas zu diesem bedauerlichen Unfall beigetragen. Was aber ist mit den Millionen von Unfällen, die jenseits vom Medienrummel passieren? Was ist mit Millionen Menschen, die jährlich einen tragischen Unfall haben, von denen wir nichts mitbekommen. Unfälle, von denen Medien gar nicht berichten und wir vielleicht gar nichts wissen wollen? Es geht hier um anonyme Unfälle.

Viele davon sind Unfälle, in denen die Opfer nichts vom Risiko wussten, nicht ausweichen konnten. Diese Menschen profitieren nicht von der Medienaufmerksamkeit, die der Zwischenfall in „Wetten, dass..?“ aufgewirbelt hat. Sie gehen den diffizilen Weg der Genesung, ohne dass die Öffentlichkeit von ihren Erkrankungen irgendetwas erfährt.

Keine Spenden, keine Gebete

Von uns erhalten diese Menschen in den meisten Fällen keine Aufmerksamkeit, keine Spende, keine Gebete. Manche haben nicht einmal genug Geld, um sich richtig behandeln zu lassen. In diesen schwierigen wirtschaftlichen Zeiten, die auch das öffentliche Gesundheitssystem in Mitleidenschaft ziehen, werden sie oft nicht in spezielle Kliniken geflogen, um dort die beste medizinische Betreuung zu erhalten.

Die größte Herausforderung, die sich aus dem tragischen Fall Kochs ergibt, wird sein, die Medienaufmerksamkeit, die ihm zuteil wird, dazu zu nutzen, um auf Millionen von Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen. Das brauchen wir in Zeiten, in denen Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft oft nur als Opfer und als unproduktiv wahrgenommen werden.


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