Die Initiative Minderheiten trauert um Ceija Stojka

CEIJA STOJKA
  • Die Autodidaktin Ceija Stojka ist Trägerin zahlreicher Preise: u.a.
  • Bruno Kreisky-Preis für das politische Buch (1993),
  • Goldenes Verdienstkreuz des Landes Wien (2001),
  • Humanitätsmedaille der Stadt Linz (2004),
  • Goldenes Verdienstzeichen des Landes Oberösterreich (2005),
  • Fernsehpreis der Erwachsenenbildung (2006, gemeinsam mit Karin Berger für den Film Unter den Brettern hellgrünes Gras).
  • Im Jahr 2009 wurde ihr der Berufstitel Professorin verliehen.

31.01.2013 | 14:24 | Initiative Minderheiten

Ceija Stojka, Roma-Künstlerin und KZ-Überlebende, starb am Montag, den 28. Januar 2013, in Wien. Die Initiative Minderheiten trauert um Ceija Stojka!

Als Autorin, Malerin, Sängerin, Erzählerin und Zeitzeugin prägte Ceija Stojka seit 25 Jahren den Diskurs über Roma und Sinti in Österreich und vermittelte einem großen Publikum im In- und Ausland, vor allem Schüler_innen und Student_innen, zeitgeschichtliches und kulturelles Wissen über ihre Volksgruppe und den nationalsozialistischen Genozid an den Roma. Dass Roma in Österreich im Jahr 1993 als Volksgruppe anerkannt werden konnten, geht u. a. auf ihr Engagement zurück.

Ceija Stojka stammt aus einer Familie reisender Lovara (Pferdehändler) aus dem Burgenland, geboren wurde sie am 23. Mai 1933 in Kraubath in der Steiermark. Als Kind, im Jahr 1943, wurde Ceija Stojka mit ihrer Familie in die Konzentra¬tionslager Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und Bergen-Belsen verschleppt. Der Vater war bereits im Jahr 1941 deportiert worden. Ceija Stojka überlebte als eine der wenigen ihrer Großfamilie den nationalsozialistischen Genozid. Jahrzehntelang war es Ceija Stojka nicht möglich, über das erlittene Leid zu sprechen. Es gab keine Gesprächspartner_innen, weder unter den Roma noch unter den Nicht-Roma.

Frau Stojka schlug dann einen sehr ungewöhnlichen Weg ein: Sie begann als über Fünfzigjährige, das Erlebte aufzuschreiben. Im Jahr 1988 erschien im Picus-Verlag in Wien ihr erstes Buch: Wir leben im Verborgenen. Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin, herausgegeben von der Filmemacherin und Autorin Karin Berger. Aus der fruchtbaren Zusammenarbeit der beiden Frauen entstanden zwei weitere Bücher (Ceija Stojka: Reisende auf dieser Welt. Aus dem Leben einer Rom-Zigeunerin. Wien 1992 und Träume ich, dass ich lebe? Befreit aus Bergen-Belsen. Wien 2005) sowie zwei Filme (Karin Berger: Ceija Stojka. Porträt einer Romni, 1999 und Unter den Brettern hellgrünes Gras, 2005). Ceija Stojkas Lyrikband Gedichte (Romanes, Deutsch) und Bilder. Meine Wahl zu schreiben; Ich kann es nicht. O fallo de isgiri; me tschischanaf les erschien 2003 im EYE-Verlag in Landeck in der Reihe „Am Herzen Europas“  und wurde von Gerald Kurdoğlu Nitsche, einem engen Weggefährten Ceija Stojkas, herausgegeben.

Ein wichtiges künstlerisches Ausdrucksmittel war für Ceija Stojka neben dem Singen und Schreiben besonders auch das Malen. Als Themen ihrer Bilder wählte sie schöne Kindheitserinnerungen wie das Reisen mit der Familie, sehr häufig aber auch die trauma¬tischen Erfahrungen in den Konzentrationslagern und die damit in Zusammenhang stehenden Träume, die für Überlebende des Holocausts Teil des Lebens sind. In der edition exil erschien 2008 der beeindruckende Kunstdruckband ceija stojka. auschwitz ist mein mantel. bilder und texte, herausgegeben von Christa Stippinger.

Ceija Stojka begnügte sich aber nicht mit ihrem literarischen und bildnerischen Schaffen. Sie engagierte sich in der österreichischen Roma-Bewegung, besonders im Verein Romano Centro und war seit 1988 als Vortragende und Zeitzeugin unterwegs, an Schulen, an Hochschulen, in Kulturzentren (am öftesten wohl im Amerlinghaus in Wien), im Rahmen von Lesungen und Ausstellungen, im In- und Ausland. Ihre Reisen führten sie in zahlreiche europäische Länder sowie nach Japan; fast immer in Begleitung ihrer Schwiegertochter, Nuna Stojka.

Ceija Stojka hat den wissenschaftlichen Diskurs über Roma und Sinti in Österreich und im Ausland maßgeblich geprägt. Ihr Wirken war auf einen Dialog mit der Mehrheitsbevölkerung ausgerichtet, besonders gerne und intensiv arbeitet sie mit SchülerInnen und Studierenden. Sie vermittelte ihren Zuhörer_innen und den Betrachter_innen ihrer Bilder, dass es die gesellschaftspolitische Verantwortung vor allem der jungen Generation ist, zu verhindern, dass sich der Terror gegen Minderheiten, wie sie ihn am eigenen Leib erfuhr, wiederholt. Sie klärte über die Macht der Sprache auf und analysierte, wie Vorurteilsmuster und Stereotypisierungen zu rassistischen Gewalttaten führen können und wie sensibel Roma und Sinti auf minderheitenfeindliche Äußerungen reagieren. Frau Stojka war hier im besten Sinne Lehrerin und Professorin. Sie zeigte Wege auf, die ein Miteinander, trotz kultureller Differenzen, ermöglichen. Es war ihre Überzeugung, dass durch einen ständigen Dialog und die Kenntnis der Geschichte ein friedlicheres Zusammenleben erreicht werden kann. Ihre Vortragstätigkeit und ihre künstlerische Arbeit bildeten ein lebenslanges Projekt zur Wiedererlangung der in den Konzentrationslagern verloren gegangenen Identität, an dem sie Schüler_innen, Studierende, Wissenschaftler-innen  und die breite Öffentlichkeit teilhaben ließ.

Viele von ihnen empfing sie in ihrer Wohnung in Wien; wie im Mai 2008, als sie für eine Exkursionsgruppe der Vergleichenden Literaturwissenschaft aus Innsbruck, mehr als 20 Personen, in ihrem Wohnzimmer einen Vortrag über die Zeit in den Konzentrationslagern und in den Nachkriegsjahren hielt. Der Tag, an dem die Gruppe Frau Stojka besuchte, war der 23. Mai, ihr 75. Geburtstag. Eine Studentin der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Kerstin Bartl, hielt ihre Eindrücke nach der Begegnung mit Ceija Stojka mit folgenden Worten fest: „So viel hatte ich von den Menschen im KZ gelesen, unzählige Dokumentationen über mich ergehen lassen, nichts konnte mir derart die Schrecken dieser Zeit näher bringen wie die Schilderungen dieser Frau.

Viele Fragen ergaben sich nach diesem Besuch und kreisen immer wieder in meinen Gedanken: Wie kann ein Mensch derart traumatische Erlebnisse physisch und psychisch überleben? Woher nimmt sie diese Kraft und Entschlossenheit? Warum zerbrechen andere Menschen an weniger entsetzlichen Erlebnissen? Diese und noch viel mehr Fragen formulieren sich so nach und nach. Da uns Ceija angeboten hat, dass wir uns bei Fragen an sie wenden dürfen, werde ich nach reiflichem Überdenken mich mit denjenigen offenen Fragen  an sie wenden, die einer Antwort harren und eine solche letztlich fordern.“

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Beate-Eder Jordan für die Initiative Minderheiten


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