Kommentar von Kerstin Kellermann: Fluchtort Gefängnis

21.04.2015 | 17:40 | Kerstin Kellermann

Täter-Väter und ihre Söhne – die aus Österreich anreisenden Söldner der Jugoslawienkriege wurden nie bestraft. Nun suchen manche ihrer Kids Auswege, die in andere Kriegsregionen oder ins Gefängnis führen.

Der österreichische Anteil der Jugoslawien-Kriege wurde nie verarbeitet, das weiß ich als Journalistin, die damals einige geflüchtete Frauen interviewte, die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden waren. Nicht wenige Täter lebten in Österreich oder Deutschland, zogen am Wochenende als Söldner oder Privatmann in den Krieg und wurden später nie bestraft, ja nicht einmal gesucht. Die österreichische Polizei wußte wohl einfach zu wenig über die Zusammenhänge. Der Fall einer Frau, die am Südbahnhof in Ohnmacht fiel, als sie „ihren“ Peiniger erkannte, ging damals durch die Medien. Eine Generation später kokettieren einige Kinder dieser „erfolgreichen“ Täter mit dem Gedanken nach Syrien zu gehen und landen im Gefängnis. Es sind Söhne von Tätern, die die Kriegs- und Männlichkeits Ideologien nun auf ihre Art weiter tragen. Viele fragen sich, wie es möglich ist, dass Kids, die in Österreich geboren sind und z. B. ordentliche Jobs auf Baustellen haben, solche mörderischen Tendenzen in sich tragen können? Selbst wenn sie nur helfen wollen und z. B. Verletzte aus dem Schlachtfeld abtransportieren, wie einer der jungen Rückkehrer aus dem Syrien-Krieg.

Transgenerationelle Weitergabe

Andere wollen, innerlich zerrissen, noch dazu auf Selbstauflösung hin, in einer Art „erweitertem Selbstmord“ in den Krieg ziehen, in ein Gebiet, „in dem die Wahrscheinlichkeit zu sterben sehr hoch ist“ (c der Sozialarbeiter Fabian Reicher, der einige Jugendliche im Gefängnis besucht). Hin und hergerissen zwischen der Solidarität mit einem Vater mit Kriegserfahrung und dessen schrecklichen Erlebnissen, die oft nicht offen erzählt werden, und eigenen kindlichen Selbstauflösungs-Tendenzen – der Vernichtung des eigenen Ich, angesichts eines übermächtigen Täters in der Familie. Ein angeblicher „Kriegsheld“, der seine zerstörerischen Energien nach außen oder auch auf die eigene Familie richtet. Damals, im Jugoslawien-Krieg, schliefen nicht wenige Männer in Zagreb oder Belgrad mit Pistole unter dem Kopfkissen, ihre Ehefrauen flüchteten ins Autonome Frauenhaus.
Vieles, was gerade passiert und Rätsel aufgibt, ist nur aus der transgenerationellen Weitergabe heraus zu verstehen und Selbstvernichtung ist auch eine Art von Flucht. Es würde schon helfen, wenn die österreichische Polizei auch jetzt im Nachhinein noch (!) ein paar Söldner der Jugoslawien-Kriege ausforschen und vor Gericht stellen würde. Die Zeitschrift Biber interviewte vor kurzem anonymisiert einige dieser Exemplare.
Diese Prozesse sollten medial begleitet werden. Vergewaltigung verjährt zwar, aber Mord nicht. Denn man müsste den Kindern dieser Täter dringend einen Ausweg erschließen, nämlich, dass man zwar einen „Täter-Vater“ lieben kann, sich aber von dessen Taten distanzieren muss, um ein eigenes Ich zu entwickeln und selbstständig zu sein. 14, 16, 17jährige im Gefängnis, die auf dem Weg in den Krieg aufgegriffen und „angehalten“ wurden – einem wirklich ungeeigneten Fluchtort, einem Transitort, um sich vor der Täter-Ideologie, Propaganda und machistischer Lebensweise des eigenen Vaters zu verstecken und sich gleichzeitig vor den eigenen Selbstvernichtungs-Fantasien zu schützen. Momentaner Schutzort Gefängnis. Ein Kompromiß sozusagen. Es sollte hierfür andere Plätze geben – betreute Wohngemeinschaften?
Es ist noch nicht zu spät, eine Art von gesellschaftlichem „Schauprozess“, ein sehr verspätetes Tribunal, zu veranstalten, denn es geht um die Kinder dieser Männer – man muss ihnen eine Alternative anbieten, und dabei ist es egal, ob es um die Kriegserfahrungen eines türkischen Täters im Korea Krieg oder eines tschetschenischen Killers (auch die gibt es, nicht nur „unschuldige“ Flüchtlinge) geht.

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