Migranten – die kunsthungrigen Museumswächter

ZUR AUTORIN:
  • Kerstin Kellermann ist eine Kuratorin der Ausstellung „Fluchtlinien. Kunst und Trauma“, im Rahmen von SOHO IN OTTAKRING, 16. bis 26. Mai 2012, Alte Schieberkammer am Wiener Meiselmarkt.

20.04.2012 | 16:43 | Kerstin Kellermann

Aufsichtspersonen in den Museen sollten mehr Zugang zur Kunst erhalten und zu neuen Formen von Kunstvermittlung herangezogen werden.

Den Aufsichtspersonen in den Museen, die ihre Tage in direkter Nähe zu Kunstwerken verbringen, keine eigene Kunst zuzutrauen, zeugt von Ignoranz und Arroganz der jeweiligen MuseumsbetreiberInnen und den altmodischen hierarchischen Strukturen, die durch das österreichische Star-MuseumsdirektorInnen-Prinzip gefördert werden. Denn viele der dunkel bekleideten „schwarzen Schutzengel“, wie sie ein Aufseher im Augarten Contemporary (die altrosa Leuchtschrift „Romantic Worlds“ von Bert Neumann bewachend) einmal benannte, sind selbst KünstlerInnen und sehen den Job als eine Annäherung an die Kunst an. Zum Großteil sind sie LeiharbeiterInnen, der Großteil von ihnen MigrantInnen, sehr viele akademisch gebildet. Der Verdienst ist gering.

Es gibt Ausnahmen: Im Technischen Museum gibt es die Möglichkeit, zum/zur KunstvermittlerIn aufzusteigen. Im Wiener MUMOK, in dem die AufseherInnen
im Gegensatz zu Ausstellungen im Belvedere wenigstens über Sitzplätze verfügen, wird zu Beginn einer Ausstellung eine KuratorInnenführung veranstaltet, bei der die Wächter zumindest ihre Fragen deponieren können. In anderen Museen gibt es nicht einmal das.

„Time to go“ hieß schon in den 70er Jahren eine der ersten Singles von Laurie Anderson über einen Aufpasser, der nur am Abend die Besucher zum Gehen auffordern darf. Bis heute ist das so. In vielen Museen dürfen die AufseherInnen nur auf Anfrage mit BesucherInnen sprechen. Keine Wunder, dass manche unter Formen von Hospitalismus zu leiden und in anderen Welten zu schweben scheinen. Es kommt aber beim kunstinteressierten Publikum schlecht an, wenn die Aufsicht als „kunstfern“ gehandelt und auch nicht aus- bzw. fortgebildet wird. Und in Zeiten, in denen in Museen immer noch unkritisch von Missionaren, Seeleuten oder Kaisern „entwendete“ Gegenstände aus der Kolonialzeit zeigen, zeugt es auch von fortdauernder Verachtung von Menschen aus ehemals kolonialisierten Ländern des Trikont.

In Italien werden Museumswächter in die Kunstvermittlung mit einbezogen. Man überlegte sich u.a. in Bergamo eigene Programme, durch die migrantische VermittlerInnen ihre Communities in die Museen bringen. MigrantInnen werden als bezahlte Mediatoren eingesetzt, um so genannte „museumsferne Schichten“ in die Ausstellungen zu locken. Man sollte sich auch für Wien dringend neue, den musealen Spielraum erweiterternde Formen der Kunstvermittlung überlegen.

Ausgestellte Kunst kann auch zu eigener Lebens-Kunst führen. Das wäre doch das Beste, was einem Museum passieren kann! Im MUMOK begannen zwei Aufseherinnen im Aufsichtsraum für alle zu kochen, nachdem sie in der Sammlung Jumex ein Werk des thailändischen Künstlers Rirkrit Tiravanija sahen, der einen hochglanzpolierten designten Edelstahlschrank mit Kochgeschirr ausstellte. Die beiden wollten zu Tiravanijas Arbeit ein Feedback geben und den essentiellen Wert des Kochens zurück ins Museum tragen (siehe Fotos zum Vergleich).

„Schauen Sie, ich zeige Ihnen mein Lieblingswerk. Was bedeutet das Wort ‚Fries’?“, fragte mich der junge pakistanische Aufseher, der sicher nicht mir reden durfte, und führte mich zum Haarmann-Fries von Alfred Hrdlicka. Wort- und gestenreich erläuterte er mir seine Interpretationen des Kalkstein-Kunstwerkes, auf das der berühmte Bildhauer in seinem Schlafzimmer schaute, als er starb, wie seine Frau Angelina Siegmeth-Hrdlicka in einem Video berichtet. Dieser Aufseher benahm sich so frei und offen wie die Kunstvermittler der letzten Documenta, die je nach ihren Projekten die den Besuchern präsentierten Kunstwerke selber aussuchen konnten. Dort wäre das Verhalten des jungen Mannes sicher unter Kunstvermittlung gefallen.


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