„Schlepper-Flüchtlinge“: Keine Untersuchungsrichter mehr

04.04.2014 | 12:08 | Kerstin Kellermann

Unter Justizminister Böhmdorfer wurden anscheinend die Untersuchungsrichter abgeschafft, was dazu führt, dass nun wohl die RichterInnen selber forschen müssen.

„Jetzt musste doch niemand den Flüchtlingen Wohnungen suchen, damit sie genügend Integration vorweisen können“, sagt Rechtsanwalt Lennart Binder, der zwei der so genannten „Schlepper Flüchtlinge“ im momentan unterbrochenen Prozeß vor dem Gericht in Wiener Neustadt vertritt, „sie wurden auch so aus der langen Untersuchungshaft entlassen.“ Binder meint, dass er sich schon „eine kleine Feder an den Hut“ stecken könne, denn er machte den Einspruch gegen die Anklageschrift, dass die Trennung der einzelnen Anklagepunkte unzulänglich sei, dass nicht klar abgegrenzt würde, welcher Flüchtling welche Taten bzw. Telefonate gesetzt hätte.

„Die Richterin (Petra Harbich, Anm. der Redaktion) hat anscheinend keine ergänzende Möglichkeit, sie kann die Akten nicht einfach zurück an die Polizei schicken. Es gibt keine Untersuchungsrichter mehr, nun schaut es so aus, dass die Richterin selber forschen muss“, wundert sich Binder. Es wäre seiner Aufmerksamkeit entgangen, dass anscheinend in der Ära Schwarz-Blau unter dem freiheitlichen Justizminister Dieter Böhmdorfer die Untersuchungsrichter abgeschafft wurden. „Das war wohl ein Böhmdorfer-Gesetz“, sagt Binder.

Dass die monatelange Untersuchungshaft „unverhältnismäßig“ sein, in bezug auf die zu erwartenden Strafen, führte nun dazu, dass die Flüchtlinge enthaftet wurden. „Innerhalb von zwei Monaten muss die Richterin den Prozeß weiter führen“, sagt Binder.

Streit um hundert Euro

„Es ist sehr schwierig zu verstehen, dass jemand bestraft wird, der Flüchtlingen Wasser und Brot gibt“, sagte der große Somalier Yusuf auf der Pressekonferenz zu den „Schlepper-Flüchtlingen“ im Cafe Eiles vor ein paar Wochen. Yusuf ging nach eigenen Angaben selber ein paar Monate in Untersuchungshaft, weil er einer somalischen Frau, die ihn auf der Straße ansprach, Medikamente kaufte und sie zum Bahnhof brachte. Die Somalierin wollte zu ihrer Familie in einem anderen EU-Land weiter reisen. Hätte er sein Herz verschließen und einfach weitergehen sollen? Obwohl er dieselbe Sprache spricht und die schreckliche Situation im gemeinsamen Herkunftsland kennt?

„Gewerbsmäßig ist schon der Kebab“, sagte Flüchtlingshelfer Michael Genner von „Asyl in Not“ im Cafe Eiles – ein Verfahren gegen ihn wurde erst vor kurzem eingestellt, durch Weisung der Oberstaatsanwaltschaft. Schlepperei bedeute es laut Genner inzwischen schon, für jemanden einen Kebab zu kaufen, oder sich einladen zu lassen. Yusuf kaufte nach seinen Angaben zu essen und zu trinken für die somalische Frau und ihre Kinder. Die Polizei machte in der Anklage 15 Personen aus den realen fünf, erzählt er. „Ich respektiere die Arbeit der Polizei, die müssen checken, aber wenn Menschen in Österreich nicht ihre Zukunft verlieren wollen, bitte lasst sie doch ohne Fingerabdrücke weiterziehen. We are like birds. Wenn wir Flüchtlinge kein Futter und kein Wasser in diesem Land finden, ziehen wir weiter.“ Yusuf erklärte dem Richter, dass er niemanden ins Land brachte. Oder außer Landes. Das nutzte ihm aber nichts. Er wurde verurteilt, sein Anwalt brachte keine Berufung ein.

Wer in der Tageszeitung „Der Standard“ las, dass der Wiener Teil der ganzen Schlepper-Misere damit startete, dass ein afghanischer Flüchtling drei andere Flüchtlinge zur Polizei brachte, weil er von einem weiteren Flüchtling nicht um hundert Euro betrogen werden wollte, kann nur den Kopf schütteln. Denn dieser arme Afghane hätte sich sicher nicht gedacht, dass er und alle anderen Beteiligten in Haft gesteckt werden und ihm mit anderen  Flüchtlingen gemeinsam ein Monsterprozeß wegen angeblich verdienten drei Millionen Euro droht. Statt dass ihn die österreichische Polizei vor einem kleinen Betrüger beschützt.


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