Werte-Debatte: Wie kann man Flüchtlingen die Schattenseiten Österreichs erklären?
18.12.2015 | 15:50 | Kerstin Kellermann
Die Werte-Debatte für Flüchtlinge einmal umdrehen: Wie kann man Flüchtlingen eigentlich die Schattenseiten Österreichs erklären? Die Verachtung von Armut, die hohen Zahlen für Missbrauch und Gewalt?
Wie einem afrikanischen Flüchtling erklären, warum eine einzige Österreichererin hintereinander mit verschiedenen Afrikanern liiert ist und weder heiraten noch Kinder haben, und sicher nicht auf ewig und immer zusammen leben möchte? Wie die Kaputtheit der österreichischen Drogenkranken erklären, die im Wiener Raum ziemlich präsent sind – warum Drogensüchtige gefährlich und Opfer zugleich sind? Als jemand, die vier Jahre lang in einer Redaktion mit großteils afrikanischen Flüchtlingen zusammen gearbeitet hat, finde ich, man sollte die aktuelle Werte-Debatte doch einmal versuchsweise umdrehen: Wie zum Beispiel Flüchtlingen Kinder-Missbrauch erklären? Als ein Kongolese hörte, wie die Anzeigen-Statistik zu Missbrauch in Österreich aussieht, rief er aus: „Das gibt es in Afrika nicht!“ Er war entsetzt.
Wenn Flüchtlings-Gegner wüßten, wie konservativ, gottesfürchtig und brav die meisten Flüchtlinge denken und sind, hätten sie wohl weniger Angst. Oder es ist genau umgekehrt und Österreicher befürchten, dass ihre ständige Unzufriedenheit trotz relativer Sicherheit, oder z. B. der weit verbreitete Alkoholismus seltsam aussehen von außen? Vielleicht befürchten viele, dass ihre konservativ-strengen Werte einmal an ihnen gemessen würden!
Einsamkeit und Armut
Flüchtlinge sind oft bass erstaunt, dass es in Österreich so viele Menschen gibt, die alleine leben, weder Kinder noch Eheleute haben und wieviele Menschen auf der Straße unglücklich wirken. Ein frisch angekommener Flüchtling fragte mich einmal: „Was ist passiert?“ Er dachte an eine Naturkatastrophe. Was viele afrikanische Flüchtlinge wirklich entsetzt, ist, wie wir unsere alten Menschen behandeln. In Altersheime abschieben und ältere Frauen hässlich behandeln. Alleine sein, das ist für viele Flüchtlinge das Schlimmste überhaupt, Einsamkeit, nicht in Gesellschaft sein. Aus dieser Sicht ist das kein angenehmes Leben, das wir Europäer führen.
Warum Drogenkranke so anstrengend sind, können sie überhaupt nicht verstehen. Sie selbst sind nicht süchtig. Von all den Hunderten Flüchtlingen, die ich über die Jahre kennenlernte, ist nur ein einziger dem Alkohohl ergeben. Wie Flüchtlingen die Armut erklären, in einem der reichsten Länder der Welt? Dass die bevorzugte Opfergruppe von Rechtsextremen Obdachlose sind, aus der Verachtung von Armut heraus?
Bei der Diskussion um die österreichischen Werte sollte man auch die Schattenseiten beachten und hier spreche ich noch gar nicht von den Resten der NS-Zeit, der Weitergabe eines gewissen Herrenmenschen-Denkens über Generationen oder des Missbrauchs vieler Heimkinder durch Nazis, die nur in der Fürsorge unterkommen konnten. Wenn jetzt jungen, muslimischen Flüchtlingen per se lustvolle Gewaltbereitschaft unterstellt wird, kommt es mir ebenfalls wie eine Umdrehung unserer internalisierten Zustände vor, denn die ist in unserer Gesellschaft stark präsent. Die Frauenhäuser sind voll.
Wie Flüchtlingen erklären, dass sie hier nicht im „gelobten Land“ sind? Oft reicht es schon, gewisse Phänomene einfach anzusprechen und zuzugeben, die latent präsent sind, heimlich sozusagen. Trotz Demokratie und Rechtsstaat nach außen.