ORF-Blockstars: Rapper sind Opfer von Sido

03.01.2012 | 16:30 | Kerstin Kellermann

Beinharter Sozial Darwinismus bestimmt die neue TV-Serie „Blockstars: Beweg‘ dein Oarsch“: Migrantische „Loser“ und „Opfer“ dürfen sich vor laufender Kamera von Sido erniedrigen lassen. Wo bleibt der politische Anspruch von Hip Hop?

„Ein Trauma ist ein wunder Punkt in deiner Vergangenheit“, sagt der berühmte Rapper Sido, beugt sich vor und schaut dem Jungen eindringlich in die Augen. „Der kann die Band stören, deswegen gehört der ausgemerzt.“ Daher schickt Sido die fünf Rapper, die nach einem Auswahlverfahren eventuell bei einer Band sprechsingen dürfen, vor laufender Kamera an traumatische Plätze, an denen sich ihr Leben veränderte und sie auf „die schiefe Bahn“ gerieten.

Dabei trägt Sido im echten Leben eine gewisse Verantwortung: „Sido ist ein guter Mensch“, sagt Quentin (11), denn seine Mama meinte anlässlich eines Radio Interviews, dass „Sido eh nicht so ein Böser wäre, weil er ein Kind hat.“ Quentin kann zwei Sido-Lieder auswendig. „Augen auf“, das Kinderlied, wo Sido mit weißer Schleife am Kopf zu sehen ist und „Ne Leiche“: „Scheiße, in meinem Keller liegt ’ne Leiche, auf meinem Sofa liegt ’ne Tote… Ich bins nicht gewesen…“. Seine Mama ist froh, dass die ORF-Serie mit dem Motto „Beweg‘ deinen Oarsch“ so spät spielt.

Dragan, im Fernsehen, im Garten vor dem Fenster der Ein-Zimmer-Wohnung, in der er aufgewachsen ist, beginnt zu weinen und kann gar nicht mehr aufhören. „Wenn die Mutter nach den Schlägen vom Vater weinte, habe ich auch geweint, deswegen bin ich so arrogant und gefühllos geworden. Sie schrie und niemand rief die Polizei. Das tut doch weh, so was zu hören.“ Der schöne,  starke Musiker, der seine kranke Mutter seit Jahren pflegt, zeigt wahre Größe vor der Kamera: „Mich wühlt das auf. Mein Vater kennt das nicht. Es ist beruhigend, wenn ich Emotionen in mir trage. Ich bin auch nur ein Mensch.“

Bei Casting Shows läuft alles nach Skript, heißt es und wenn das stimmt, zeigt der ORF hier übelste Propaganda nach einem Motto, auf das viele brave MigrantInnen hinein fallen, nämlich: Wahre Leistung würde in unserem schönen System belohnt, man müsse sich nur extrem bemühen und die Leute, die nichts erreichen, seien selber schuld – diese Opfer! Als ob Sido nicht eine Ausnahme wäre, für einen „der es geschafft hat“. Als ob für einen wahren Musiker eine stinknormale Lohnarbeit oder irgendein Job so existenziell wäre – wo bleibt der widerständige Ansatz des schwarzen Hip Hop? Auf der neoliberalen Anpassler-Strecke!

Wenn das Skript nicht erfunden ist, sondern real-live, ist es doppelt gemein. Denn die Traumata der Jungs ausnutzen und sie vor aller Augen deswegen zur Schnecke machen,  ihnen die Aufgabe stellen, ein Lied über dein schlimmstes Erlebnis zu schreiben und sich dann zu wundern, wenn ein gewisser Michi keinen Ton mehr heraus bringt, ihm die Veröffentlichung und Verwertung seines Elends im Hals stecken bleibt – das ist sadistisch. Der 19-jährige verfiel überhaupt in komplette Starre, in eine Regression, die auf Misshandlung als Baby hindeutet – ein gefährlicher Status.

Menschenbesetzer

Ein anderer Junge ist seit 16 Jahren in Österreich und wird abgeschoben werden, wenn er nicht für die Band ausgewählt wird. Hallo, du Opfer! Ein Underdog, der selber schuld ist? Statt dem guten alten „Mach‘ kaputt, was dich kaputt macht“ der Vorläufer Punk Band „Ton Steine Scherben“ wird hier ein Kommerz Hip Hop vertreten, in dem existenzielles menschliches Leid nur Material liefern soll für schnelles Cash für Sido und den ORF.

Sido kennt Armut, Migration und Ausgrenzung, aber es macht einen Unterschied, ob man dabei eine Eltern-Person hat, die einen auf gesunde Weise unterstützt und lieb hat – oder ob man von Familienmitgliedern misshandelt wird. Besonders fies, wenn dann ein Junge über einen anderen sagt: „Was regt der sich so auf, der wurde wohl missbraucht?!“ oder ein Mädchen, die selber ständig starke Angst hat, meint „Mit so extremen Leuten hatte ich noch nie zu tun.“ Die Ausgrenzung von Jugendlichen, die keine emotionale Stabilität aufbauen konnten, wird so unterstützt.

Zwei der fünf haben sich schon ohne Abschied und heimlich in der Nacht davon geschlichen – denn Sido kapiert es nicht: Opfer von Traumata nutzt es nichts, wenn sie sich zusammen reißen sollen, sie angebrüllt oder unter emotionalen Druck gesetzt werden, denn ein Opfer einer „Menschenbesetzung“ (z.B. eines Borderliners) wird auch bei Sidos enormen Grenzübertretungen das Gefühl haben, „der will mich mit Haut und Haar menschenbesetzen.“ Das formuliert auch genau ein Junge, der in seinem ehemaligen Kinderheim auszuckt und herum tobt: „Mir wurde der Boden unter den Füssen weg gerissen als ich ein Kind war. Doch inzwischen weiß ich eh, wer ich bin!“ Übersetzt: Die Selbstauflösung/ Selbstauslöschung durch das Trauma ist vorbei, Daniel hat seine eigene Identität gefunden, er muss sich nicht mehr dominieren lassen, er hat die Gespenster verscheucht. „Baba, Österreich!“,  winkt er in die Kamera und bringt sich in Sicherheit. Ich bin stolz auf ihn – ein wahrer, ein echter Rapper.


2 Kommentare

  • Kelly Mennerkast

    Psychologische Ferndiagnostik. Immer so treffsicher. Geschrieben um 10. Januar 2012 um 07:21 Uhr Antworten
  • Kerstin Kellers Mann

    Bei einem solchen Artikel fehlen mir die Worte. Ich könnte tausend Worte schreiben und diesen in Grund und Boden kritisieren aber irgendwie fehlt es dazu schon an den Grundkenntnissen des Autors. Des Autor geht davon aus, dass Musik machen, speziell Hiphop, keine harte Arbeit erfordert und kennt dazu den politischen Anspruch des Hiphop gar nicht. Rap ist meist sozialkritisch und die angesprochene Sendung ist neben aller angeführten Polemik (Artikel:"ein kleiner Junge...mit seiner Mammie...hört sido...ein Glück hört er das Wort "Arsch" nicht) eine der besten Castingshows der vergangenen Zeit. Jedem normalen Zuschauer wird eigentlich der Eindruck vermittelt, als wolle man den Kandidaten helfen. Grade in der 2. Sendung, die dem Autor noch nicht bekannt war, werden Grundkonflikte aufgedeckt und warum sich einige Kandidaten anschreien. Vonseiten Sido hab ich noch kein schreien gehört. Kerstin Kellermann - wie gesagt will ich dazu nicht viel mehr schreiben - beschäftigen Sie sich mit der Materie. Da reicht auch nicht das kleine freudsche Handbuch über Abwehrmechanismen. Denn es gibt vielleicht Leser, die grade aus psychologischer Sichtweise mehr auf dem Kasten haben als Sie! Geschrieben um 5. Januar 2012 um 23:17 Uhr Antworten

Kommentieren Sie den Artikel





Weitere Artikel von Kerstin Kellermann