»Er ist im Gefängnis gestorben, weil er in Freiheit leben wollte!«

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19.10.2005 | 20:51 | simon INOU

Dank der Unterstützung von Volkshilfe Oberösterreich wurde am 19. Oktober 2005 die Leiche von Yankuba Ceesay nach Gambia überführt.

  • Yankuba Ceesay kam, laut dem Amt für Jugend und Familie der Stadt Wien am 11.3.2004 im Zug nach dem Grenzübertritt (via Tarvis) im Gemeindegebiet von Scheifling, Bez. Murau in Österreich an. Die erste Erfahrung mit einer kurzfristigen Schubhaft machte er im Polizei-Anhaltezentrum Leoben. Geboren wurde er in Serekunda, Gambia am 2. März 1987.

Am 12.3.04 kam er jedenfalls zum Amt für Jugend und Familie der Stadt Wien – Fachbereich fremdenrechtliche Vertretung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und ersuchte um Gewährung von Asyl. Der Asylantrag wurde am 12.3.04 beim Bundesasylamt eingebracht und eine Notunterkunft für den Burschen in einem Haus der Evangelischen Flüchtlingshilfe in Wien 11, Neu Albern gefunden.

Am 2.6.04 erfolgte die Einvernahme Yankuba Ceesays im Beisein eines MAG ELF Vertreters im Bundesasylamt: Fluchtgrund nach Angabe des Jugendlichen: sein Vater hatte eine offizielle politische Funktion inne, war aber gleichzeitig illegales Mitglieder einer (sichtlich verbotenen) Oppositionspartei. Er wurde, als dies aufflog, von seinem Posten abgesetzt und in der Folge mitsamt seiner Familie bedroht, unter Druck gesetzt und mehrmals misshandelt, auch die Familienangehörigen und Yankuba selbst waren von Misshandlungen und Terror betroffen. Im Fall seiner Rückkehr fürchtete Yankuba neuerlichem und möglicherweise noch ärgerem Druck ausgesetzt zu sein. Er gab an, dass er zuvor noch niemals sein Heimatland verlassen und auch noch nie irgendeine strafbare Handlung gesetzt hatte.

Am 14.7.04 erhielt er eine Anzeige gem. dem Suchtmittelgesetz (SMG), die aber sofort zurückgelegt wurde (er hatte damals eine geringe Menge Cannabis bei sich).

Am 6.8.04 übersiedelte der Jugendliche in eine Wohn- u. Betreuungseinrichtung des Don Bosco Flüchtlingswerkes in Liesing. Dort wohnte er in einem Vierbettzimmer mit anderen minderjährigen Flüchtlingen aus dem Irak, Indien und Afghanistan. Die Leiterin des Heimes, Frau Birgit Pollhamer, versicherte in einem Interview mit Afrikanet.info, dass Yankuba Ceesay ein sehr sozialer und engagierter Mensch war. Er besuchte fleißig Deutschkurse und war sehr bemüht, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren.

Von 2. bis 3.9.04 Anhaltung in der Justizanstalt Wien Josefstadt (SMG), dann wieder in seiner Betreuungseinrichtung bis er am 29.10.04 wieder wegen SMG in der Justizanstalt Wien-Josefstadt landete. Ab Dezember 2004 ergaben sich für das Wiener Jugendamt/MAG ELF keine rechtlichen Vertretungshandlungen, mit Erreichung der Volljährigkeit am 2.3.05 entfiel die Zuständigkeit der Jugendwohlfahrt überhaupt. (Auch im Don Bosco Haus wurde niemand von weiteren Schritten informiert – nach Erreichung der Volljährigkeit gibt es auch dort keine Zuständigkeit.) Seit 12. September 2005 befand sich Yankuba Ceesay in Schubhaft im Polizei-Anhaltezentrum Linz.

Am 4. Oktober stirbt der 18-Jährige in einer »Sicherungszelle«. Sieben Tage zuvor war er in einen Hungerstreik getreten, um gegen seine (die) schlechten Haftbedingungen zu protestieren. Die Medienberichterstattung nach Yankuba Ceesays Tod erinnerte an Marcus Omofuma (1999) und Seibane Wague (2003). Angebliche Todesursache: Herzversagen. Und natürlich sei er vor seinem Tod »agressiv« gewesen.

Am 5. Oktober 2005 fand die Obduktion statt. Natürlich war der Mann nicht an Misshandlungen und Körperverletzungen gestorben, sondern an den Folgen einer »Elektrolytischen Verschiebung«. Was das bedeutet? Eine Verschiebung des Mineralstoff-Haushalts im Blut. Yankuba war kräftiger Natur bestätigt die Polizei-Chefärztin Michaela Pfleger-de Comtes: »Er hat nicht kraftlos gewirkt, sondern war körperlich gut durchtrainiert«. (Volksblatt).

Am 6. Oktober 2005 berichten die OÖ Nachrichten über einen möglichen labortechnischen Fehler im AKH Linz, auf Grund dessen die Ergebnisse, die seinen Zustand als »nicht alarmierend« diagnostizieren, nicht verwertbar waren (dixit Heinz Brock, AKH Ärztlicher Leiter). Nach einwöchigem Hungerstreik war der Verstorbene laut Medien zwei bis drei Stunden vor seinem Tod im Spital untersucht worden.

7. Oktober 2005: Der Blutbefund, der 45 Minuten nach seinem Tod vorlag, war laut AKH-Labor-Chef Herbert Stekel doch alarmierend. »Der Kreatinin-Wert war offenbar durch massiven Flüssigkeitsverlust viermal höher als der Normalwert und wies auf ein beginnendes Nierenversagen hin.«

7. Oktober 2005: »Der Standard« meldet, dass die Staatsanwaltschaft Linz gerichtliche Vorerhebungen eingeleitet habe. »Wir ermitteln gegen unbekannt wegen des Verdachts der Vernachlässigung eines Gefangenen mit Todesfolge«, erklärte Staatsanwalt Dietmar Gutmayer.

11. Oktober 2005: Zum ersten Mal bekommt der Verstorbene ein Gesicht: Afrikanet.info veröffentlicht als erstes Medium im ganzen Land das erste Bild von Yankuba Ceesay. Um 10h30 findet im Linzer Presseclub ein Pressegespräch, organisiert von VertreterInnen der Plattform Zivilcourage, der »Black Community« und der Volkshilfe OÖ, sowie Lamine Ceesay, dem Bruder Yankuba Ceesays statt. Während dieser Konferenz beschuldigt Lamine Ceesay die Polizei als verantworlich für den Tod seines Bruders.

12. Oktober 2005: Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Linz dürfte eine »Verkettung unglücklicher Umstände« zum Tod des Schubhäftlings geführt haben. Der Verstorbene habe an einer erbbedingten Anomalie im Blutfarbstoff gelitten, die im Zusammenwirken mit Flüssigkeits- und Kalorienmangel eine Verklumpung des Bluts und schließlich ein Herz-Kreislauf-Versagen verursacht habe, so das vorerst mündlich übermittelte Ergebnis der Obduktion.

12. Oktober 2005: Es gebe Hinweise darauf, so die Plattform Zivilcourage zum »Standard«, dass zwei der vier Sicherungszellen im Linzer Polizei-Anhaltezentrum mit einem speziellen Heizsystem ausgestattet seien, um eine Raumtemperatur von bis zu 45 Grad Celsius zu erreichen. Ein Linzer Notarzt bestätigt diese Angaben gegenüber dem »Standard«.

13. Oktober 2005: Mit einem jubelnden Ton bemerken die Zeitungen Oberösterreichische Nachrichten (OÖN) sowie Volksblatt:

Die Ursache für den Tod des afrikanischen Schubhäftlings Yankuba Ceesay (18) sei endgültig geklärt, so die OÖN: »Wie bereits exklusiv berichtet, war der 18-Jährige tatsächlich an einer erbbedingten Anomalie des Blutfarbstoffs gestorben.(OÖN, 14.10.2005). Ceesay litt an der so genannten Sichelzellen-Anämie, einer nur im Schwarzen Kontinent verbreiteten, erbbedingten Blutarmut.« Volksblatt: Schubhäftling starb an Herzrhythmus-Störung , Obduktion: Yankuba Ceesay (18) litt an Sichelzellen-Anämie, die in Kombination mit seinem Hungerstreik zum Tod führte. (…) Unklar ist, ob der 18-Jährige von seiner Krankheit gewusst hatte.

15. Oktober: Der Standard berichtet über erhebliche Zweifel an der Todesursache. Ein Tropenmediziner zum Standard: »…aufgrund meiner Erfahrung trau ich mich zu sagen, dass diese Anämie keinen wesentlichen Einfluss am Tod gehabt haben kann. Es gibt viele Varianten davon. In Westafrika kommt sie bei rund 30 Prozent der Bevölkerung vor und ist lediglich ein genetisches Merkmal und keine Erbkrankheit«.

Warum sterben immer schwarze Menschen in den Händen der Exekutive?

Für die österreichische Black Community war der Tod von Yankuba Ceesay leider nicht der erste, den sie zu betrauern hatte. Zum fünften Mal innerhalb von sechs Jahren starb ein Afrikaner in den Händen der Exekutive. 1999 starb Marcus Omofuma (25) aus Nigeria, 2000 starb Richard Ibekwe (26) aus Nigeria, 2003 war es Seibane Wague (34) aus Mauretanien, 2004 Edwin Ndupu (38) aus Nigeria, 2005 Yankuba Ceesay (18) aus Gambia. Alle waren asylsuchende und schutzbedürftige Menschen. Alle kamen aus Westafrika. Durchschnittsalter: 28 Jahre. Für die österreichiche Black Community bleibt nur eine Frage: Warum?

Um auf diese Frage eine Antwort einzufordern, demonstrierten am 15. Oktober 2005 Hunderte in Linz. Von 13.00 bis 17.30 Uhr beteiligten sich vor allem AfrikanerInnen aus Wien, Oberösterreich, Steiermark und sogar aus München an dem Trauermarsch, der mit einem »We Shall Overcome«-Gospelsong am Hauptplatz endete. »Er ist im Gefängnis gestorben, weil er in Freiheit leben wollte!« Diese Botschaft steht auf den Ansteckbildern, die am 15.10.2005 an viele TeilnehmerInnen der Demonstration am Schillerpark verteilt wurden. Viele Menschen waren gekommen, darunter der Bruder des Verstorbenen, Lamine Ceesay. Er ist ratlos angesichts der Gleichgültigkeit der Behörden über den Tod von Yankuba Ceesay. Ratlos auch darüber, was er seiner Mutter sagen wird, warum Yankuba gestorben ist. »Als ich unsere Mutter, die in der Stadt Serekunda in Gambia lebt, über den Tod von Yankuba informierte, fragte sie mich: Warum ist er gestorben? Ich hatte keine Antwort auf diese Frage. Am Telefon fand ich keine Worte zur Erklärung seines plötzlichen Ablebens. Bis heute, am Tag des Trauermarsches in Linz«, sagte er, »habe ich keine Antwort auf diese Frage erhalten. Nicht einmal eine Entschuldigung oder ein ‘Es tut uns leid’ von den Behörden gehört.«

Veranstaltet von der »Black Community Oberösterreich« und der Plattform Zivilcourage, ein Bündnis von mehreren NGO’s in Oberösterreich, fand der Trauermarsch von 13.00 bis 17.30 Uhr statt. An diesem Samstag war die Landstraße für mehrere Stunden beeinträchtigt. Linzer und Linzerinnen, die nicht informiert waren, waren überrascht, dass dieser Samstag entlang der Einkaufsstraße nicht so wie üblich verlief. Die Empörung über den Tod von Yankuba Ceesay kam am Linzer Hauptplatz, wo die Endkundgebung stattfand, besonders stark zum Ausdruck. Mehrere RepräsentantInnen von NGO’s wie z.B. Migrare, MAIZ, Plattform Zivilcourage, und ATIGF (eine Föderation der Arbeiter und Jugendlichen aus der Türkei in Österreich) zeigten in ihren Ansprachen ihre Empörung. In seiner Rede versicherte Gunther Trübswasser, Menschenrechtsprecher der Oberösterreichischen Grünen, »alles in seiner Macht Stehende« zu tun, um auf Landesebene Klarheit über diesen Tod zu schaffen. Außerdem »müssen wir wissen, was genau hinter dieser Zellentür passiert ist«. Was für die vielen trauernden Anwesenden ein positives Zeichen war. Dr. Abdoulramane Sonja von »Black Community Oberösterreich« protestierte in ihren Beitrag gegen den latenten Rassismus als System und die Faulheit vieler Mitmenschen, die nur allzu oft keine Zivilcourage zeigen, wenn Nicht-ÖsterreicherInnen im öffentlichen Raum diskriminiert werden. Auch die Black Community Oberösterreich, unterstützt von der Black Community Wien namens Network of African Community (NAC), fühlte sich bestärkt. »Endlich haben wir schwarzen Menschen in Österreich eine Möglichkeit laut zu sein« antwortete uns eine Demonstrantin. Sie war hoffnungsfroh, dass »wir Afrikanerinnen und Afrikaner uns nicht immer bei Trauermärschen treffen werden«. Vielleicht wäre es Zeit für die Austrian Black Community endlich aufzustehen und für ihre Rechte zu kämpfen. Durch das Zusammenwirken vieler Organisationen, die seit Jahren in diesem Bereich tätig sind, würden dabei Synergien genutzt und gestärkt werden.

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Simon Inou ist Chefredakteur von afrikanet.info – http://www.afrikanet.info – dem ersten Internetportal über schwarze Menschen in Österreich. Afrikanet erhielt den diesjährigen Österreichischen Interkulturpreis 2005 in Oberösterreich.

 


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