„Asyl oder nicht, Hauptsache eine Antwort“

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2009 wurden 15.827 neue Asylanträge gestellt. 13.111 Verfahren wurden abgeschlossen, davon 3151 positiv, 19.764 negativ. Die Zahl der positiven Bescheide von Asylwerbern aus Serbien ist von zwölf Prozent (2006) auf drei Prozent (2009) gesunken. Zweite Instanz. Jeder dritte echte Konventionsflüchtling wird laut UNHCR erst von der zweiten Instanz „entdeckt“ – und muss lange Wartezeiten in Kauf nehmen.

24.03.2010 | 18:44 | Ania Haar

Vanes Sprotiva wartet seit fünf Jahren auf die Entscheidung, ob er in Österreich bleiben darf. Im Kosovo gehört er zur Minderheit der Gorana, die laut UNHCR zum Teil einem Verfolgungsrisiko ausgesetzt sind.

Ob positiv, ob negativ“, sagt Vanes Sprotiva, „eine Antwort will ich.“ Seit insgesamt zehn Jahren wartet der 32- Jährige nun schon auf Asyl. Davon fünf Jahre in den Niederlanden – dort allerdings kam in allen drei Instanzen ein negativer Bescheid. Anders als bei seinem Bruder, der eine sehr ähnliche Fluchtgeschichte hat. Ihm gewährten die Schweizer Behörden sofort Asyl. Dabei gilt das schweizerische Asylrecht als wesentlich strenger.

Vanes Sprotiva ist ein Gorana. Gorana sprechen einen slawischen Dialekt, sind Moslems und gehören neben Aschkali, Torbeschen, Roma und Kosovo-Ägyptern einer ethnischen Minderheit an, die während des Kosovo-Konflikts zwischen die serbischen und albanischen Fronten geraten sind. Die Gorana-Community hält sich deshalb auch in Österreich in der Öffentlichkeit zurück. Untereinander ist man aber im ständigen Kontakt.

 

Flucht nach Holland

Sprotiva ist vom Dezember 1998 bis Juni 1999 von der jugoslawischen Armee zwangsmobilisiert und in den Kosovo verlegt worden. Nach dem Krieg müssen die Goraner mit Kollaborationsvorwürfen leben. Zurück aus dem Krieg wird er Opfer körperlicher Übergriffe. Eine Bombe ist hinter dem Haus seines Vaters explodiert – wegen seiner Militärvergangenheit, behauptet er. Laut eines Berichts des Uno-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR kam es vor allem bis in die erste Hälfte 2001 zu zahlreichen Übergriffen auf Gorani. Sprotiva zog jedenfalls die Konsequenzen – im Jahr 2000 flüchtet er nach Holland.

Als er dort einen negativen Bescheid bekommen hat, geht er freiwillig 2004 nach Serbien in die Provinz Kosovo zurück. Doch in seinem Dorf Globocica wird er erneut Opfer von Gewalttaten. Sein Vater gibt ihm Geld, er soll wieder flüchten. 2005 in Österreich angekommen, ersucht er um Asyl. In erster Instanz bekommt er einen negativen Bescheid. Im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention ist er keiner Verfolgung ausgesetzt.

Auf die Entscheidung der zweiten Instanz wartet er immer noch. „Ich rufe regelmäßig im Bundesasylamt an und frage, wann die Antwort kommt.“ Die letzte Anhörung fand im Oktober 2009 statt. „Mein Betreuer sagt, nächste Woche bekommst du eine Antwort. Ich rufe nächste Woche an, und er sagt dann, in einem Monat kommt der Brief.“ Seitdem sind wieder fünf Monate vergangen.

Plausible Fluchtgründe

Jeder Asylwerber muss seine Fluchtgründe plausibel erklären können. Dann werden die aktuellen oder vorhandenen Länderinformationen zur weiteren Beurteilung zugezogen. „Wenn wir die Informationen zusammenstellen und aufarbeiten, muss die Informationsquelle nachvollziehbar sein“, sagt Andrea Jakober von Accord, einem Informationsdienst des Roten Kreuzes. Accord sammelt veröffentlichte Quellen aus allen Regionen der Welt und publiziert diese auf einer Website. Dabei gilt: „Neutralität ist das höchste Gebot, denn wir dürfen kein Interesse am Ausgang eines Verfahrens haben.“ Sowohl das BAA als auch Anwälte, die Asylwerber vertreten, zählen zu den Kunden von Accord. Das Bundesasylamt verfügt zusätzlich über einen eigenen Informationsdienst, der auch auf Verbindungsbeamte vor Ort zurückgreift.

Bis 2006 haben Gorana aus dem Kosovo fast problemlos Asyl bekommen. Zwar tauchen keine Goraner in den Statistiken auf, weil eine Aufteilung in die Minderheiten nicht erfolgt. Dennoch kann man ihre Zahl schätzen, denn Goraner werden als Serben gezählt.

2006 machten sich Mitarbeiter des Innenministeriums zur „Fact-Finding-Mission“ in den Kosovo auf – um die Lage der Minderheiten zu erkunden. Die Ergebnisse dieser Reise sind in die Staatendokumentation eingeflossen. Seitdem ist es für Goraner schwerer geworden, Asyl zu bekommen.

„Für mich ist diese Datenlage nicht ausreichend, um Schlüsse über die Lage der Goraner zu ziehen“, sagt Thomas Schmidinger, Politikwissenschaftler und Lektor an der Uni Wien. Er sei selbst 2007 und 2008 in den Kosovo gefahren, um sich zu informieren: „Und mein Bild ist ein anderes.“

Nach dem aktuellen UNHCR-Bericht vom Jänner gilt Folgendes: Die Situation der Minderheiten im Kosovo hat sich nicht wesentlich verbessert. Dazu kommt: Personen, die unter dem Verdacht der Zusammenarbeit mit dem serbischen Regime nach 1990 stehen, unterliegen besonderem Verfolgungsrisiko. Zu dieser Gruppe gehört auch Vanes Sprotiva.

Jahre des Wartens

Vom Asylzentrum, wo er wohnt, bis zum nächsten größeren Dorf, sind es sieben Kilometer. Einsamkeit plagt ihn. „Ich würde gern eine Frau kennen lernen“, sagt er, „das kann ich mir aber nicht leisten.“ Denn Fahrkarten sind teuer, „und ich müsste sie ins Café einladen, aber ein Kaffee und Gebäck kosten um die fünf oder sechs Euro“, erzählt er. 40 Euro hat er im Monat zur Verfügung. „Man sagt, zwischen 20 und 30 Jahren ist die schönste Zeit des Lebens“, meint er, „aber was für ein Leben habe ich?“ Sein Leben besteht hauptsächlich aus Warten. Warten auf eine Antwort.

(ANIA HAAR, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 24.03.2010)


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