„Günaydin“ statt „Guten Morgen“ im Ländle

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16.09.2009 | 13:36 | Duygu Özkan

Integration funktioniert in Vorarlberg – doch für manche nicht schnell genug. Warum ein Krankenpfleger und eine Großmutter Türkisch, die Sprache der größten Zuwanderergruppe im „Ländle“, lernen.

Günaydin!“ – Auf Türkisch wünscht der 30-jährige Krankenpfleger Christian Geser im Krankenhaus Dornbirn seinen Patienten einen „Guten Morgen“. Es sind die älteren türkischen Klienten, bei denen der fröhliche Vorarlberger mit der muttersprachlichen Begrüßung „das Eis brechen“ möchte.

Warum der Krankenpfleger überhaupt Türkisch gelernt hat? „Früher gab es oft das Problem, dass in akuten Situationen kein Dolmetscher zur Stelle war“, erzählt Geser. „Die älteren Patienten konnten mir auch nicht genau schildern, was ihr Problem war.“

Daher wurde Geser selbst aktiv: Gemeinsam mit einem Dutzend Arbeitskollegen macht er sich auf die Suche nach Türkischkursen. Da keine speziell für Krankenpfleger zugeschnittenen Sprachkurse angeboten wurden, organisierte sich die Gruppe eine Volkshochschullehrerin, die den Krankenpflegern Grundbegriffe des Türkischen Sprache beibrachte. Die Kosten trugen sie selbst.

„Das wichtigste im Kurs waren für uns Fragestellungen wie: ,Wo fühlen Sie Schmerzen?“, sagt Geser. „Und wir wollen Informationen verständlich weitergeben – wie etwa: ,Sie kommen jetzt zum Röntgen.’“ Die meisten Patienten, so Geser, hätten positiv überrascht reagiert.

Viele Türken im Ländle

Dass Geser ausgerechnet Türkisch gelernt hat, hat einen einfachen Grund: Zuwanderer aus der Türkei sind die größte Einwanderergruppe in Österreichs westlichstem Bundesland. Von den knapp 368.000 Vorarlbergern haben 14.140 einen türkischen Pass, das sind knapp vier Prozent. Die Anzahl der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund dürfte indes noch um einiges höher liegen. Insgesamt hat ein Fünftel der Vorarlberger nicht-österreichische Wurzeln.

Vorarlberg, das am Sonntag einen neuen Landtag wählt, blickt auf eine bewegte Geschichte der Zuwanderung zurück: Einwanderer, vornehmlich aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien, kamen wie vielerorts seit den frühen 60er Jahren ins „Ländle“. Mit dem Eintreffen der Gastarbeiter stieg das Land als Industriestandort auf.

Auch integrationspolitisch hat sich in Vorarlberg viel getan: Städte und Gemeinden haben Integrationsleitbilder in Auftrag gegeben, um eine Einbindung der Migranten in das Alltagsleben zu gewährleisten. Dennoch ist das Miteinander im Ländle noch lange nicht konfliktfrei.

Das bekommt auch Krankenpfleger Geser zu spüren, der für seine Sprachkenntnisse schon einige negative Kommentare geerntet hat: „Was lernt ihr Türkisch, die sollen doch Deutsch lernen.“ „Dabei wird vergessen“, meint Geser, „dass diese Menschen doch recht alt sind. Und im Alter noch gründlich Deutsch zu lernen ist auch kein Leichtes.“

Wie anderswo findet in Vorarlberg das Zueinanderfinden von Österreichern und Ausländern oft auf Umwegen statt. Wenn auch im Ländle von offizieller Seite viel getan wird, um Migranten in den Alltag einzubeziehen, so sind es oft die kleinen Gesten wie die Gesers, die eine bessere Verständigung ermöglichen.

Frühstück mit der Welt

„Merhaba!“ – „Hallo!“ Die 76-jährige Vorarlbergerin Roswitha Neyer freut sich über Besuch. Ihr Schwiegersohn ist Türke, deshalb hat Neyer die Sprache gelernt. „Natürlich habe ich mich nach der Heirat meiner Tochter ganz besonders für dieses Land interessiert“, sagt sie.

In ihrem Haus in der Gemeinde Hard bei Bregenz herrscht reges Treiben. Einige der acht Enkelkinder wollen ihrer Großmutter die Ergebnisse der Zeichenstunde zeigen.

„Das Interesse der Kinder für die türkische Sprache zu wecken ist mir nicht ganz gelungen. Dass die Kinder kaum Türkisch können tut mir furchtbar Leid“, so Neyer wehmütig. Angeregt durch die interkulturelle Ehe ihrer Tochter besucht Neyer Türkischkurse, bereist die Türkei und liest die Klassiker der türkischsprachigen Literatur. „Ich schau immer, dass alles, was mit der Türkei zu tun hat, an mich herangetragen wird“, erzählt sie.

Dazu hat Neyer in Vorarlberg oft die Gelegenheit: Interkulturelle Veranstaltungen zum gegenseitigen Kennenlernen finden im Ländle allerorts statt, etwa das interkulturelle Frauenfrühstück in ihrem Heimatort. „Die Frauen kommen aus der ganzen Welt. Wir frühstücken und plaudern, und nebenbei erfahre ich alles über ihre Herkunftsländer.“

Einst Gastarbeiter, jetzt Mitbürger

Das Ländle befindet sich gerade in einem Transformationsprozess. Aus den „Gastarbeitern“ sind „Zuwanderer“ geworden, immer mehr nehmen die österreichische Staatsbürgerschaft an. Nun gehe es darum, Integration an so vielen Institutionen wie möglich zu verankern, heißt es im Integrationsbericht des Landes.

Und die Neugierde füreinander zu wecken, wie Roswitha Neyer sagt. „Meine Kräfte lassen zwar nach, aber die Begeisterung bleibt.“

AUF EINEN BLICK

Einwanderung in Vorarlberg.In den Sechziger Jahren kamen die ersten Gastarbeiter in Österreichs westlichstes Bundesland – und trugen so zum Ausbau des Industriestandortes bei.

Heute haben knapp vier Prozentder insgesamt 367.573 Vorarlberger einen türkischen Pass (in Zahlen: 14.140 Menschen). 11.130 Bewohner des Ländles stammen aus Ex-Jugoslawien, aus den EU-Staaten und der Schweiz kommen 17.808 Einwohner. Ein Fünftel der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund.

Am Sonntag, dem 20.September, finden die Wahlen zum Vorarlberger Landtag statt.

 

(DUYGU ÖZKAN, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.09.2009)


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