Jérôme Segal über den Anschlag in Nizza: „Ich war schockiert, aber nicht völlig überrascht“ 

15.07.2016 | 11:08 | Konstantin Auer

Wien, 15. Juli 2016 – Jérôme Segal ist ein französischer Publizist, der in Wien lebt. Hier seine ersten Reaktionen auf den schrecklichen Anschlag in Nizza heute Nacht.

Segal ist Dozent an der Universität Paris-Sorbonne und momentan am Ludwig-Boltzmann-Institut für Sozialgeschichte. Er schreibt für französische Zeitungen und Zeitschriften und betreibt seit 2008 den Blog “ le petit flambeau“ über Österreich. Außerdem engagiert er sich in Frankreich und Österreich gegen Rechtsextreme und für Roma-Rechte. Zum Zeitpunkt des Interviews befindet sich Herr Segal in einem Ferienhaus auf Korsika.

M-MEDIA: Herr Segal, wann haben Sie von dem Anschlag erfahren? 

Jérôme Segal: Ich war in einem Ferienhaus in Korsika. Über die Zeitung Libération, bzw. ihrer App auf meinem Handy, habe ich eine Meldung bekommen. Es war gegen 23:30 Uhr.

M-MEDIA: Was war Ihre erste Reaktion?

Jérôme SegalIch war schockiert, aber nicht völlig überrascht.

M-MEDIA: Warum waren Sie nicht überrascht?

Jérôme SegalWeil sich die Bedingungen im Mittleren Osten nicht verändert haben, im Gegenteil. Wenn der IS ( der sogenannte „Islamische Staat“ – Anm.) ein paar Städte und Regionen verloren hat, will er zeigen, dass er noch aktiv ist. Er ist wie ein verletztes Tier: Besonders aggressiv.
Und der Nationalfeiertag ist ein Symbol. Die Finalen der EM wären auch möglich gewesen, aber die Sicherheit war maximal. Am 14. Juli ist das nicht so.

M-MEDIA: Welche symbolische Wirkung hat der 14. Juli für Franzosen?

Jérôme SegalDer Nationalfeiertag hat in Frankreich eine große Bedeutung. Wir erinnern uns an die „Fête de la Fédération“ am 14. Juli 1790, die zum ersten Jahrestag der Erstürmung der Bastille (dem Auftakt der Französischen Revolution – Anm.) abgehalten wurde. François Hollande (der französische Präsident – Anm.) hat gegen 13:30 Uhr eine lange Rede gehalten.

M-MEDIA: Haben Sie eine Erklärung, warum Frankreich in den letzten Jahren so oft Ziel von Terroristen wurde?

Jérôme SegalGenau wie in Belgien haben wir viele Jugendliche, die sich radikalisiert haben. Auch wenn natürlich die große Mehrheit von Muslimen friedlich ist – ein kleiner Anteil von fünf Millionen, das bedeutet schon viele Menschen. Anscheinend war der Lenker von diesem LKW tunesischen Ursprungs. Es ist noch zu früh zu sagen, ob er muslimischen Terrorismus unterstützt. Wir wissen es noch nicht.


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