Behinderung als Hindernis für die österreichische Staatsbürgerschaft

06.06.2012 | 12:49 | Clara Akinyosoye

Wer als Migrant nicht genügend Einkommen hat, kann die österreichische Staatsbürgerschaft nicht bekommen – das trifft mitunter auch behinderte Menschen. Doch nun regt sich gegen diese Regelung Widerstand.

Wien. Sie ist in Uruguay geboren, aber sie hat fast ihr ganzes Leben in Österreich verbracht. Ihr Ziehvater will dafür kämpfen, dass sie nun auch die österreichische Staatsbürgerschaft bekommt. Doch bei der aktuellen Rechtslage dürfte das so gut wie unmöglich sein. Denn die Frau ist geistig beeinträchtigt und kann ihren Lebensunterhalt nicht allein bestreiten. Genau das müsste sie aber können – denn wer zwar volljährig ist, aber nicht genug verdient, ist vom Erhalt der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen.

Fälle wie diese kennt man im Beratungszentrum für MigrantInnen zuhauf. Behinderte Menschen, genau so wie chronisch Kranke, hätten es besonders schwer, die österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen. „Viele bringen das geforderte Geld einfach nicht zusammen“, sagt Veli Cayci, ein Mitarbeiter des Beratungszentrums. Das Einkommen muss für die letzten drei Jahre rückwirkend ohne Unterbrechung nachgewiesen werden. Sozialleistungen vom Staat dürfen in dieser Zeit nicht in Anspruch genommen worden sein.

Einkommen nachweisen

Alleinstehende müssen rund 815 Euro, Ehepaare etwa 1222 Euro an Einkommen pro Monat nachweisen. Die Zahlen orientieren sich an den Ausgleichszulagenrichtsetzen. Doch dabei bleibt es nicht. Die Miete, etwaige Kredite, Unterhaltszahlungen an Expartner oder Kinder werden miteinberechnet. Eine alleinstehende Frau, die rund 300Euro Miete und 200 Euro für einen Kredit bezahlt, müsste demnach um etwa 240Euro mehr verdienen – also rund 1055Euro. Wer Kinder hat, muss auch ein höheres Einkommen nachweisen. Für alleinerziehende Mütter, die Teilzeit arbeiten müssen, sei das oft unmöglich, meint Cayci. Und gerade Menschen, die wegen einer Behinderung nicht arbeiten können und von Sozialleistungen abhängig sind, können diese Voraussetzungen niemals erfüllen.

Alev Korun, Integrations- und Menschenrechtssprecherin der Grünen, sieht die Schuld für derartige „Tragödien“ bei der schwarz-blauen Regierung, unter der 2005 das Fremdenrechtsgesetz novelliert und verschärft wurde. Schließlich wurde im Zuge dessen der Passus entfernt, der Menschen, die „unverschuldet in eine finanzielle Notlage“ geraten sind, den Erhalt der Staatsbürgerschaft möglich gemacht hatte. Menschen, die etwa einen Autounfall hatten und in der Folge arbeitsunfähig wurden. Oder solche, die wegen einer schwerwiegenden Behinderung nicht ohne finanzielle Unterstützung von Familie oder Staat auskommen. Sie haben nun keine Möglichkeit mehr, Staatsbürger zu werden. Korun brachte 2009 im Nationalrat einen Antrag auf Wiedereinführung des Passus ein – er wurde vertagt.

Ausschluss vom Wahlrecht

Zwar wäre die Wiedereinführung dieser Bestimmung eine Verbesserung, meint Gerd Valchars, Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Migration und Staatsbürgerschaft an der Universität Wien. Allerdings empfindet der Politologe die Anforderung an finanzielle Mittel aus „demokratiepolitischer Sicht“ grundsätzlich als problematisch. Schließlich ist mit der Staatsbürgerschaft auch das Wahlrecht verbunden.

Menschen mit geringen Einkommen die Staatsbürgerschaft zu verwehren, bedeute, „dass sie nie wählen, nie mitbestimmen dürfen“. Außerdem, merkt Valchars an, würde auch ein großer Teil der Österreicher die geforderte Summe selbst nicht aufbringen könnte. Für Martin Ladstätter, Obmann von Bizeps, dem Behindertenberatungszentrum, geht mit der aktuellen Rechtslage eine klare Diskriminierung von Behinderten einher. „Unserer Einschätzung nach widerspricht das Gesetz der Verfassungsbestimmung Artikel 7, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.“ Ladstätter plädiert dafür, dass Menschen mit Behinderungen – „unabhängig von der Fähigkeit, sich selbst erhalten zu können“ – einen Zugang zur Staatsbürgerschaft bekommen.

Neue Verhandlungen laufen

Der Fall der Uruguayerin kommt gerade zur rechten Zeit. Denn auch der Verfassungsgerichtshof hält das Staatsbürgerschaftsgesetz für „diskriminierend“ und kippte es Ende des vergangenen Jahres. Die Bundesregierung hat nun bis Ende Oktober Zeit, das Gesetz zu reparieren. Im Innenministerium zeigt man sich offen für Verhandlungen. „Wir sind gesprächsbereit und diskutieren das“, heißt es. Gespräche mit den Ländern würden bereits laufen. Darauf, dass das Zeitfenster bis Oktober für eine „menschliche Lösung“ für die betroffenen Menschen genutzt wird, setzt die SP-Behindertensprecherin Ulrike Königsberger-Ludwig. Zu offiziellen Gesprächen sei es allerdings noch nicht gekommen.


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