Ein Seniorenheim für Gastarbeiter

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09.12.2009 | 15:50 | Clara Akinyosoye

Die erste Generation der Zuwanderer kommt zunehmend ins Pensionsalter und ist auf der Suche nach Einrichtungen, die auf ihre Bedürfnisse eingehen. Einige Heime richten ihr Angebot schon auf Migranten aus.

Wir haben Personal aus 42 verschiedenen Nationen“, sagt Gerda Füricht-Figl vom Kuratorium Wiener Pensionistenhäuser. 42 Nationen – diese Vielfalt gilt nur für die Mitarbeiter, nicht für die Bewohner der Häuser. Denn Migranten gibt es unter ihnen nur sehr wenige. Auch im Landespflegeheim Wilhelmsburg ist ihre Zahl „verschwindend klein“, sagt Direktor Viktor Spitzer.

Doch das wird nicht so bleiben. Wie ein Blick auf die demografische Entwicklung Österreichs zeigt, gibt es in Zukunft immer mehr alte Menschen – und damit eben auch alte Migranten, denn die Gastarbeitergeneration kommt ins Pensionsalter. 16,3 Prozent (245.845) der 50- bis 64-Jährigen sind im Ausland geboren.

Noch brennt kein Feuer am Dach. Aber auf diese Entwicklung muss reagiert werden. Im Landespflegeheim Wilhelmsburg hat man sich auf die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner schon „geistig eingestellt“, sagt Spitzer. Es werde Schulungen in Kulturfragen geben. Auch in den Einrichtungen der Stadt Wien ist das Thema „Migranten“ angekommen, ehe die Migranten selbst hier ankommen, heißt es aus dem Büro von Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely– obwohl der „übergroße Bedarf“ noch gar nicht besteht.

Aber was wird sich ändern, wenn die alten Migranten ins Seniorenheim kommen? Ein serbischer, türkischer oder chilenischer Pensionist hat mitunter eben andere Bedürfnisse als ein autochthoner Österreicher. Das geht von sprachlichen Aspekten und kulturellen Wünschen bis hin zu der Frage: Blunzen oder Lammfleisch?

Es sei an der Zeit, dass Pensionistenwohnhäuser und Pflegeanstalten „ihre Angebote evaluieren und gegebenenfalls den neuen Umständen anpassen“, meint Darko Miloradović vom Dachverband serbischer Vereine. Doch dann stellt sich immer noch die Frage, ob Migranten diese Angebote auch annehmen werden.

In vielen migrantischen Familien ist es üblich, die Älteren bei sich aufzunehmen oder selbst zu pflegen. Das sei eigentlich deren Ideal, aber in einer modernen Gesellschaft nicht mehr so einfach umzusetzen, sagt Carla Amina Baghajati von der Islamischen Glaubensgemeinschaft. Außerdem seien Muslime mit Einrichtungen wie Pensionistenwohnhäusern kaum bekannt, weil es sie in deren Herkunftsländern schlichtweg noch nicht gebe, so Baghajati.

Große Informationsdefizite

„Hier gibt es zum Teil große Informationsdefizite“, sagt der Soziologe und Migrationsexperte Christoph Reinprecht. Bei Migranten herrsche oft Unklarheit darüber, welche Angebote es gebe und was in diesen Einrichtungen genau passiere. Schließlich handle es sich zu einem Großteil um Gastarbeiter, die davon ausgegangen wären, dass sie den Lebensabend in ihrer alten Heimat verbringen würden – und eine Aufnahmegesellschaft, die „denselben Blick auf die Arbeiter geworfen hat“ und somit viel Zeit für Integrationsmaßnahmen verpasst habe.

Doch in den Pensionistenhäusern und Pflegeheimen könne eine „nachholende Integration“ stattfinden, so Reinprecht. Das sei dort die Aufgabe. Auch wenn das in der Politik nicht immer Zustimmung findet. Jüngst erging etwa im Salzburger Landtag ein Beschluss, der Drittstaatsangehörige – unabhängig von der Aufenthaltsdauer in Österreich – für die Aufnahme in Pensionistenhäuser sperrt.

Hier werde mit zweierlei Maß gemessen, glaubt Muslimensprecherin Baghajati. Bei jungen Menschen, bei denen es noch um die Zukunft gehe, setze man sich dafür ein, dass Österreicher und Migranten zusammenwachsen, doch Alte dividiere man wieder auseinander.

Wie es aussieht, wenn Migranten diesbezüglich ihr eigenes Projekt machen, sieht man in Berlin. Dort entstand 2006 ein türkisches Pflegeheim, damit die Bewohner ihren religiösen, ethnischen und kulturellen Gewohnheiten nachgehen können.

Eigenes Heim für Muslime?

Für ethnische Senioreneinrichtungen dieser Art hat aber nicht jedermann Verständnis: Österreich brauche keine „Seniorenghettos à la Berlin“, meint etwa Serbenvertreter Miloradović Und wie sehen die Vertreter der Muslime die Idee eines islamischen Pensionistenwohnhauses? Vorstellbar wäre es schon, sagt Baghajati, aber nicht notwendigerweise, solange eine Gesellschaft sich zum Pluralismus bekennt und bereit ist, auf verschiedene Bedürfnisse einzugehen. Eine Ghettoisierung sieht Reinprecht in einem türkischen oder rein islamischen Pensionistenhaus nicht – jedenfalls nicht zwangsläufig. Wichtig sei, dass es insgesamt vielfältige Angebote gebe. „Warum nicht? Schließlich gibt es auch evangelische und jüdische Altersheime.“ Grundsätzlich sollte in Altenpflegeeinrichtungen aber vor allem das eine gelten: „Wer auch immer kommt, ist willkommen.“

 

AUF EINEN BLICK

Alternde Migranten: Laut Statistik Austria sind 16,3 Prozent (245.845) der 50- bis 64-Jährigen im Ausland geboren. Die meisten davon stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Seniorenwohnheime stellen sich auf diese wachsende Gruppe ein.

 

(CLARA AKINYOSOYE, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 09.12.2009)


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