Der Türke als Stereotyp

AUF EINEN BLICK
  • Türken in Österreich: 109.295 Menschen in Österreich haben die türkische Staatsbürgerschaft, 39.678 davon in Wien. Dazu kommen noch zahlreiche österreichische Staatsbürger mit türkischem Migrationshintergrund. Schätzungen zufolge zählen mehr als 230.000 Menschen in Österreich zur türkischen Community.
  • Demografie: 82.200 Türken sind zwischen 15 und 64 Jahren alt, 39.800 stehen im Erwerbsleben. Zur Zeit sind rund 7500 Türken beim Arbeitsmarktservice als arbeits- suchend gemeldet. Menschen mit nichtdeutscher Muttersprache sind an den Unis weit unterrepräsentiert, jene mit türkischen Wurzeln fehlen so gut wie überhaupt.

27.01.2011 | 7:47 | Nasila Berangy

Vor allem im Wahlkampf sind Pauschal-Urteile über türkischstämmige Migranten an der Tagesordnung. Experten erklären, was dahintersteckt.

Das Image der Türken in Österreich ist vor allem von Stereotypen geprägt. Doch was steckt dahinter – nur Klischees oder auch ein Körnchen Wahrheit?

1. „Türken wollen sich nicht integrieren.“

„Eine wesentliche Schwierigkeit türkischstämmiger Migranten ist der Kontakt zur hiesigen Gesellschaft“, sagt Ursula Struppe, Leiterin der Wiener MA 17 (Integration und Diversitätsangelegenheiten), „dabei wünschen sie sich viel mehr Kontakt zu Österreichern.“ Warum dann die Distanz? „Unsicherheit und falsche Interpretationen von Gestik, Mimik und Worten auf beiden Seiten“, so Struppe.

Ein Beispiel: Eine Direktorin bezeichnete türkische Frauen als unhöflich – die Frauen sagten beim Betreten der Kanzlei nur das Wort „Schulbesuchsbestätigung“, ohne zu grüßen. Letztlich stellte sich heraus, dass die Frauen auf dem Weg zur Direktorin das Wort immer vor sich her sagten, um es nicht zu vergessen – dabei vergaßen sie auf das Grüßen.

Soziologin Hilde Weiss, die in der Studie „Leben zwischen zwei Welten“ die Einstellungen von Migranten erfragt hat, sieht jedenfalls eine „hohe Identifikation mit Wien und Österreich.“ Man denke an die Fußball-EM – viele haben sowohl die türkische als auch die österreichische Fahne am Auto angebracht.

2. „Türken wollen nicht Deutsch lernen.“

„Frauen aus traditionellen Strukturen macht Lernen Angst“, sagt Struppe. Doch oft würden sie sich für ihre mangelnden Sprachkenntnisse schämen. 2007 haben 1356 Türkinnen allein bei den „Mama lernt Deutsch“-Kursen der MA 17 teilgenommen. Kurse vom AMS oder anderen Institutionen sind dabei noch nicht eingerechnet. Wie viele türkische Frauen in Wien nicht Deutsch können? „Niemand weiß es, es gibt keine Untersuchungen“, so Struppe. Eines sei aber klar: Bildungshintergrund ist entscheidender als die Ethnie – Türkinnen aus Großstädten hätten derartige Probleme etwa nicht.

Und der Vorwurf, dass Männer ihre Frauen vom Lernen abhalten? Struppe: „Ja, die gibt es. Aber das ist nur eine Minderheit. Es gibt Versäumnisse von beiden Seiten die uns bis heute nachhängen.“ Im Gegenteil, viele Männer würden selbst ihre Frauen zum Kurs anmelden, weiß die MA 17-Leiterin: „Sie wollen, dass ihre Frauen selbst alles regeln können.“

3. „Türken bleiben immer nur unter sich.“

„Egal wie gut ich mich an die österreichische Gesellschaft anpasse, ich werde immer als Ausländer betrachtet.“ Das gaben 52 Prozent der Befragten bei der von Hilde Weiss durchgeführten Studie an. Ali Gedik, Mitarbeiter der mobilen Jugendbetreuung „back on stage“, führt dies vor allem auf einen Punkt zurück: „Wenn sich Jugendliche immer wieder als Problem auf Plakaten sehen, schreckt es sie ab.“ Von seiner Arbeit wisse er, dass Jugendliche oft Gleichgesinnte suchen. Das sei entscheidender als die Herkunft.

Aber: Vorbehalte gibt es trotzdem, etwa bei der Heirat mit einem österreichischen Partner – so wie auch umgekehrt. Tatsächlich kann die Partnerwahl oft zu Schwierigkeiten führen. Weiss: „Es gibt eine starke Kontrolle durch die Familie. So geben Mädchen und Burschen gleichermaßen an, sich bei der Partnerwahl nicht frei entscheiden zu können.“

4. „Türkische Kinder senken das Niveau der Schulklasse.“

„Türkische Eltern wollen, dass ihre Kinder es einmal besser haben, als sie selbst. Doch sind sie nicht immer in der Lage, den Bildungsverlauf ihrer Kinder zu fördern, wie es österreichische Akademikereltern können“, erklärt Struppe. Aber auch wenig verdienende österreichische Eltern mit geringer Schulbildung können das nicht – auch hier ist etwa die Zahl der Maturanten und Studenten niedrig. Bildung und Einkommen der Eltern werden oft „vererbt“.

Das Problem des frühen Ausscheidens aus dem Bildungssystem ist bei Türken aber tatsächlich gegeben. Mädchen ab dem 15. Lebensjahr werden aus dem Schulsystem genommen. Doch im Vergleich zu den 1980-er Jahren habe ihre Zahl deutlich abgenommen, erklärt Weiss. Und doch würden gerade diese Mädchen oft noch „in ein traditionelles Rollenverständnis gedrängt“, so die Soziologin. Doch auch das habe sich „in den letzten Jahren verändert.“

5. „Türkische Jugendliche sind kriminell.“

„Ausschlaggebender als der Migrationshintergrund ist viel eher, in welchem Stadtteil Jugendliche wohnen“, sagt Arno Pilgram, stellvertretender Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie. Davon sind vor allem Arbeiterbezirke wie Favoriten, Ottakring oder Brigittenau betroffen. Laut Pilgram waren diese Bezirke auch Kriminalitäts-Brennpunkte, bevor türkischstämmige Jugendliche hingezogen sind. Jugendarbeiter Gedik führt das Problem der Kriminalität eher auf die „Perspektivlosigkeit der Jugendlichen zurück, als auf ihre Ethnie.“

6. „Für alle Türken ist Religion besonders wichtig.“

Etwa ein Drittel der Jugendlichen mit türkischen Wurzeln ist religiös, ein Drittel säkular und ein Drittel in der Mitte zu treffen, zitiert Hilde Weiss aus ihrer Studie. Religion spiele allerdings oft „eine Symbolrolle“ und ziehe einen Solidarisierungseffekt nach sich.

Wichtiger als Religion ist aber etwas anderes: „Die Familie ist in der Fremde eine wichtige Stütze, daher ist die Solidarität größer. Rituale dienen der Familiensolidarität und die vermischen sich oft mit religiösen und sozialen Normen.“ Religiöse Normen, die mittlerweile immer eigenständiger interpretiert würden. Dass etwa junge Mädchen enge Kleidung oder einen kurzen Rock mit einem Kopftuch tragen, interpretiert Struppe als „ein Statement. Ich bin Migrantin, ich bin modern.“

Übrigens: Religion spiele generell bei Zuwanderern eine größere Rolle als bei Wienern, so Struppe. Das betreffe nicht nur Muslime und Türken, sondern etwa auch katholische polnische Zuwanderer oder freikirchliche Afrikaner.

(NASILA BERANGY, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 13.08.2008)


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