Mitarbeiter klagen: Botschaften halten Gesetze nicht ein

28.08.2012 | 21:02 | Milagros Martinez-Flener

Die Arbeiterkammer berichtet von Fällen, in denen diplomatische Vertretungen Vorschriften des Empfangsstaates nicht beachten.

Wien Nach 15 Jahren Arbeit in der Botschaft wurde Juan Pérez (Name von der Redaktion geändert) plötzlich gekündigt. Er hatte sich geweigert, einen neuen Jahresvertrag mit schlechteren Konditionen zu akzeptieren. Doch damit nicht genug – er erfuhr, dass seine Arbeitszeit weder von der Sozial- noch von der Pensionsversicherung erfasst worden war. Der 52-jährige Lateinamerikaner hat daher weder Anspruch auf Arbeitslosengeld noch werden die 15 Jahre für die spätere Pensionsberechnung herangezogen.

Keine Immunität

„Oft sind die Botschaften mit der Arbeitsregelung in Österreich nicht vertraut“, sagt Petra Streithofer, Referentin für Arbeitsrecht in der Arbeiterkammer Wien (AK). Während nur selten Diplomaten bei der AK um Informationen bitten, lassen sich lokale Botschaftsmitarbeiter drei bis vier Mal pro Monat juristisch beraten. „Ich hatte keine Ahnung, dass wir durch das österreichische Gesetz geschützt waren“, sagt Pérez. Lokal Angestellte sind jene Personen, die von einer diplomatischen Vertretung vor Ort angestellt werden. Sie verrichten vorwiegend Verwaltungsaufgaben und genießen keine Immunität.

Die häufigsten Gründe für Beschwerden von Botschaftsangestellten sind die Sozialversicherung und der Urlaubsanspruch. „Ich habe nur 13 Urlaubstage im Jahr“, sagt ein Angestellter eines Inselstaates in Ozeanien – wissend, dass ihm in Österreich gesetzlich 25 Urlaubstage zustehen würden. Dazu kommen unbezahlte Überstunden oder Barauszahlungen der Gehälter, wie es vor einigen Jahren in der Botschaft von Peru üblich war. Für die Bank fehlt dadurch der Beweis eines regelmäßigen Einkommens, und selbstverständliche Dinge wie eine Bank- oder Kreditkarte werden für die Betroffenen so zum Problem.

Einige diplomatische Vertretungen nützen die Studentenversicherungen der Angestellten aus, oder sie versichern ihre Mitarbeiter nur unzureichend. Juan Pérez musste etwa vor einigen Jahren ins Spital, um am offenen Herzen operiert zu werden. Die OP verlief gut, doch als sein Arzt ihn auf Rehabilitation schicken wollte, musste er feststellen, dass die Versicherung der Botschaft diese Leistung nicht deckt. Schließlich klappte es doch – aber „bis heute weiß ich nicht, wie der Arzt das geschafft hat“, sagt der 52-Jährige rückblickend.

Für Hausangestellte hat das Außenministerium eine Reihe von Maßnahmen eingeführt, mit dem Ziel, sie etwa vor Menschenhandel zu schützen. Im Gegensatz dazu haben die lokalen Mitarbeiter der diplomatischen Vertretungen keinen Schutz, da sie sich in einer Grauzone befinden. „Sie schützt niemand, weil sie so unsichtbar sind“, sagt Elisabeth Tichy-Fisslberger, Botschafterin und Koordinatorin zur Bekämpfung des Menschenhandels im Außenministerium. „Wir wissen nicht genau, wie viele Angestellte da arbeiten.“ Viele dieser Mitarbeiter sind Migranten ohne Deutschkenntnise, die froh sind, bei ihrer Botschaft einen Job gefunden zu haben. Die genaue Anzahl ist aber nicht bekannt, denn nicht alle werden von ihren Botschaften beim Außenministerium gemeldet.

Angst um den Job

Die betroffenen Mitarbeiter könnten sich offiziell an das Ministerium wenden und ihre Lage beschreiben, aber die Angst, den Job zu verlieren – oder womöglich abgeschoben zu werden, ist oft zu groß. Für viele ist der Aufenthalt in Österreich nur mit der Arbeit in der Botschaft möglich. Jene Mitarbeiter, die in Österreich eine Aufenthaltsgenehmigung haben, die nicht mit der Arbeit in der Botschaft im Zusammenhang steht, trauen sich meist erst nach der Kündigung, einen Prozess am Arbeitsgericht einzuleiten. Mittlerweile gibt es schon eine Reihe von Präzedenzfällen.

Aufhebung der Immunität

Ein Hindernis ist allerdings die Immunität, die Diplomaten genießen – allerdings hat das Außenministerium erst kürzlich das Justizministerium darum gebeten, Verfahren gegen Diplomaten nicht sofort einzustellen. „Wenn uns Fälle bekannt werden, bitten wir systematisch die Botschaft um Aufhebung der Immunität, und das wird teilweise auch gemacht“, sagt Tichy-Fisslberger.

„Eine außergerichtliche Einigung kommt häufig vor“, bestätigt Karmen Riedl von der AK Wien. Schließlich geht es für die diplomatischen Vertretungen um das Ansehen ihres Landes in Österreich – aber auch in ihrer Heimat. Sollte es allerdings zu einem für den Botschaftsmitarbeiter positiven Gerichtsurteil kommen, ist der Fall damit noch lange nicht positiv erledigt – denn eine Exekution ist aufgrund der Immunität der Botschaft nicht durchsetzbar.

Aber gänzlich schutzlos müssen sich die Botschaftsangestellten trotz allem nicht fühlen. Europaweit werden laufend neue Präzedenzfälle bekannt, die zugunsten der Mitarbeiter entschieden wurden. Im Februar 2011 entschied etwa der Conseil d’Etat in Frankreich, dass der Staat Bürger für Schäden entschädigen muss, die sie bei der Anwendung völkerrechtlicher Verträge erleiden.

Und im Juli 2012 beschloss der Gerichtshof der Europäischen Union, dass ein fremder Staat sich gegenüber der arbeitsrechtlichen Klage eines Angestellten seiner Botschaft nicht auf seine Immunität berufen kann – dann nämlich, wenn der Angestellte Aufgaben verrichtet, die nicht unter die Ausübung hoheitlicher Befugnisse fallen. Eine Entscheidung, die auch in Österreich gilt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.08.2012)


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