Peinliche Fehler im Staatsbürgerschaftstest

06.06.2012 | 12:06 | Ania Haar

Trotz heftiger Kritik werden immer noch fehlerhafte Lernunterlagen für den Staatsbürgerschaftstest in Papierform verteilt. Das Innenministerium will im Herbst neue Prüfungsfragen und auch Lernunterlagen vorstellen.

Wien. Wer österreichischer Staatsbürger werden möchte, muss einige Dinge über das Land wissen. Demokratische Grundordnung Österreichs, österreichische Geschichte und Kenntnisse des jeweiligen Bundeslandes, in dem die betreffende Person lebt, werden beim Staatsbürgerschaftstest verlangt – zumindest müssen Grundkenntnisse in den drei Bereichen vorhanden sein.

Ob die Abfrage dieser Kenntnisse tatsächlich relevant für die weitere Integration ist, sei einmal dahingestellt. Fakt ist allerdings, dass die Lernunterlagen für den Staatsbürgerschaftstest vor Fehlern strotzen – sowohl fachlich als auch bei einzelnen Formulierungen gibt es zum Teil große Ungenauigkeiten. Schon mehrfach wurde das Skriptum zur Prüfungsvorbereitung von Wissenschaftlern und Fachleuten kritisiert, weil die Lernunterlagen weder wissenschaftlich noch didaktisch sinnvolles Wissen vermitteln.

„Lernen Sie Geschichte!“, so lautet der provokante Titel eines Artikels aus dem Jahr 2008 im ÖDaF-Mitteilungsheft, das vom Österreichischen Verband für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache herausgegeben wird. Die Autoren Michael Hauer, Nikolaus Reisinger und Andrea Stangl wiesen darin auf etliche Fehler in den Lernunterlagen hin. Bei Geschichtsfragen wurden etwa falsche Jahreszahlen angegeben. Allerdings: „Es kam keine Reaktion“, sagt Andrea Stangl, die seit 1990 in der DaF-LehrerInnenfortbildung im Auftrag des Unterrichtsministeriums tätig ist, „die war gleich null“.

Von Wikipedia abgeschrieben

Auf politischer Ebene setzte sich der grüne Bildungssprecher Harald Walser auf das Thema – und stellte insgesamt vier parlamentarische Anfragen. „Ausgebessert wurden aber nur ein paar Fehler“, sagt Stangl. Aber nicht nur das, es kamen auch neue Fehler dazu – und unter anderem wurden auch ganze Passagen einfach aus dem Onlinelexikon Wikipedia übernommen.

In der Substanz, klagt Stangl, sei aber nichts verändert worden. Und, ein weiterer Kritikpunkt, das im Lernskriptum abgebildete Wissen habe kaum einen Bezug zu den Alltagserfahrungen und könne die Teilhabe eines Staatsbürgerschaftswerbers am politischen Geschehen nicht aktiv unterstützen.

Zwar wurden die fehlerhaften Lernunterlagen vom Innenministerium im Mai 2011 in allen Bundesländern zeitgleich aus dem Netz entfernt, doch werden sie weiterhin von den zuständigen Referenten in den Ämtern in Papierform an die Staatsbürgerschaftswerber bei Anmeldung zur Prüfung verteilt.

„Vorausschickend ist zu bemerken, dass die Prüfung im Allgemeinen und diese Art der Lernunterlage im Speziellen nicht dazu geeignet sind, politische Bildung oder staatsbürgerliches Wissen, das zu einer Form von Mehr an Integration führen könnte, zu vermitteln“, schrieb Manfried Welan, Professor für Recht und Politik an der Universität für Bodenkultur, Ende April im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage. „Das Skriptum ignoriert weitgehend Erkenntnisse und Materialien, die aus dem Bereich der politischen Bildung in und speziell für Österreich vorliegen“, schreibt Politologe Anton Pelinka. Und Ernst Bruckmüller, emeritierter Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni Wien bezeichnet die Vorgänge rund um das Skriptum als „eine Katastrophe – oder ein Kabarett (leider unfreiwillig)“.

Allerdings ist zuletzt Bewegung in die Sache gekommen. Statt Wissen sollen künftig Werte abgefragt werden. Bereits seit Monaten wird im Innenministerium an einer neuen Staatsbürgerschaftsprüfung samt Lernunterlagen gearbeitet. Im November 2012 sollen die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Wer definiert die Werte?

Noch sind keine Details über die künftige Testgestaltung nach außen gedrungen. Doch Expertin Stangl zeigt sich jetzt schon skeptisch: „Wer definiert die Werte, wer legt die Norm fest und vor allem: Welches Testformat ist dazu geeignet, die Werte, die ein Mensch hat oder nicht, zu überprüfen?“ Sie fordert das Innenministerium auf, offenzulegen, wer die Experten sind, die seit Jänner an der Neuformulierung der Prüfung arbeiten.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 06.06.2012)


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