Rückkehr geraubter Akten Transport Moskau–Wien

28.01.2009 | 18:55 | Ania Haar

Wertvolle Dokumente, die auch Aufschluss über die NS-Zeit in Österreich geben, werden nun von Russland nach Wien überstellt.

WIEN. Das Außenministerium spricht von „einem Teil des kulturellen Erbes Österreichs“, das von Moskau zurückgegeben wird. Die Rede ist von Akten, die von der Roten Armee nach Russland gebracht worden waren und Aufschluss über die NS-Zeit in Österreich geben können. „In vier bis sechs Wochen wird der Großteil kommen“, erklärt der Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs, Lorenz Mikoletzky.

Zur Vorgeschichte: Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs sammelte die Rote Armee „Trophäen“, also Wertgegenstände, Gemälde und Archivmaterial. Bis Anfang der 90er-Jahre wussten nur KGB und das sowjetische Innenministerium von der Existenz dieses Geheimarchivs. Erst mit der „Perestroika“ wurde eine Öffnung des Archivs möglich und die Öffentlichkeit erfuhr von sensationellen Funden wie den Goebbels-Tagebüchern oder Hitlers privaten Gästebüchern, nachdem 1991 und 1992 auch zwei österreichische Wissenschaftler, Gerhard Jagschitz und Stefan Karner, auf „Beuteakten aus Österreich“ gestoßen waren. Aneinandergereiht ergeben diese Papiere eine zwei Kilometer lange Strecke.

Ein Jahr auf Transport warten

Obwohl seit 2002 die Rückgabe der österreichischen Archivbestände auf höchster politischer Ebene verhandelt worden ist, bleibt aber ein wichtiger Teil der Papiere weiter in Moskau. Darunter auch Akten der Israelitischen Kultusgemeinden Wien und Graz, wertvolle Thora-Rollen, Predigten des Oberrabbiners David Herzog, viele wichtige Privatbestände österreichischer Politiker, Wissenschaftler, der Pan-Europa-Bewegung oder Unterlagen über die Freimaurerlogen.

Die Übergabe der freigegebenen Akten nach der Einigung war nicht einfach. Sie mussten knapp ein Jahr auf den Transport nach Österreich warten, obwohl das russische Staatsarchiv mehrfach bei Mikoletzky um Abholung gebeten hatte. „Ich hatte viel mit der Ausstellung („Republik.Ausstellung 1918–2008“, Anm.) zu tun, weshalb der Transport verschoben wurde“, erklärt Mikoletzky.

Dazu kommt: Obwohl die Verhandlungen mit den Russen erfolgreich waren, sind noch Details bei den Beutestücken zu klären. „Es ist viel gemischt worden, auch deutsches Archivgut ist dort hineingekommen“, erklärt Mikoletzky. Da nach Deutschland nicht mehr restituiert wird, müssen österreichische Akten aussortiert werden. Heimische Archivare hätten die fraglichen Bestände mühsam sichten müssen, um deren Rückgabe mit den Russen verhandeln zu können.

Nur: Bis heute geschah dies kaum. Erst im Frühjahr werden dazu zwei Archivare nach Moskau gesandt.

Unbezahlbare Dokumente

Für die Akten, die zurückgegeben werden, wurde Russland bereits entschädigt. „Die Summe darf ich noch nicht nennen“, sagt Mikoletzky. Kolportiert wird aber eine Überweisung in der Höhe von 400.000 Euro. Wobei nicht für das Archivmaterial, sondern für die Aufbewahrungszeit bezahlt wurde, erklärt der Generaldirektor: „Denn die Akten selbst sind unbezahlbar.“ Nachsatz: „Die Russen hätten genauso gut ein Feuer damit machen können. Man muss würdigen, dass sie es nicht gemacht haben.“ Damit hat auch das Außenministerium kein Problem: „Es besteht ein eminentes wissenschaftliches, aber auch öffentliches Interesse an diesen Aktenbeständen. Viele Kapitel unserer Geschichte können nun besser aufgearbeitet werden.“

Kritiker befürchten, dass die Akten nach der Rückgabe nicht veröffentlicht werden, sondern (wie in Frankreich) für lange Zeit in heimischen Archiven verschwinden. Das dementiert Mikoletzky: „Akten, die das Staatsarchiv betreffen, werden nach etwa sechs Monaten zugänglich sein. Über andere Bestände wird man noch verhandeln.“

„Die Presse“, Print-Ausgabe, 28.01.2009


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