Saualm: Wenn Flüchtlinge flüchten
- 16 Asylwerber flohen kurz vor Weihnachten aus der auf 1200 Metern gelegenen „Sonderanstalt für straffällig gewordene Asylwerber“. Sie klagen, dass sie in der Abgeschiedenheit schlecht behandelt wurden, und betonen, dass sie nicht kriminell sind. Zurück wollen die zum Teil traumatisierten Menschen nicht. Ihnen droht deshalb, dass sie aus der Grundversorgung fallen.
29.12.2008 | 7:13 | Kerstin Kellermann
Die aus der Sonderanstalt für straffällig gewordene Asylwerber geflüchteten Menschen sind auf der Suche nach einem anderen Quartier. Sie fühlten sich auf 1200 Metern isoliert und schlecht behandelt.
Im verschneiten Krumpendorf am Wörthersee sind die Straßen und Wege leer. In einer allein stehenden, zweistöckigen Pension sind jene 16 Flüchtlinge untergebracht, die kurz vor Weihnachten aus der „Sonderanstalt für straffällig gewordene Asylwerber“ von der auf 1200 Meter Seehöhe gelegenen Saualm herunter geflüchtet sind.
Im September 2008 als Idee von Jörg Haider entstanden, hatte der neue Landeshauptmann Gerhard Dörfler die umstrittene Einrichtung im November eröffnet. Man trage dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung, sagte Dörfler damals.
„Die Flüchtlinge sind heruntergefahren, weil sie nichts getan haben“, sagt Psychologin Michaela Okorn von der Flüchtlingsorganisation Aspis. Zum einen wollten sie nicht als Kriminelle dargestellt werden, zum anderen klagen sie darüber, dass sie keinerlei Information bekommen haben und einfach auf die entlegene Alm verfrachtet wurden. „Hier können sie nicht einmal mit ihren nächsten Verwandten Kontakt aufnehmen“, sagt Okorn, „weil es keinen Handyempfang gibt.“ Dazu kamen regelmäßige Zimmerkontrollen und Leibesvisitationen.
„Sind keine Kriminellen“
Die Rezeption im Eingang der Pension sieht verwaist aus. Kein einziger Polizist oder privater Security-Mann steht da, um die „straffällig gewordenen“ Flüchtlinge zu bewachen. „Schwere Delikte wie organisierten Diebstahl, schwere Körperverletzung oder Drogenhandel“ sollen die 16 Männer laut Landeshauptmann Dörfler begangen haben.
Wie die Vögel auf der Stange sitzen vier Flüchtlinge auf der Bettkante in einem leeren Pensionszimmer, um Auskunft zu geben, warum und wie sie kurz vor Weihnachten gemeinsam die Sonderanstalt verließen, um das Kärntner Flüchtlingsreferat aufzusuchen und sich zu beschweren. Sie wären keine Kriminellen, meinen sie.
Fünf Kinder im Krieg verloren
„Ich lebe seit fünf Jahren in Kärnten. Ich habe noch nie eine Strafe bekommen, aber ich habe im Krieg fünf Kinder verloren“, erzählt der tschetschenische Flüchtling Ibragim. „Ich wartete seit dem ersten negativen Bescheid 2003 auf mein Interview durch die Asylbehörden. Bis heute. 2006 fuhr ich nach Wien, um zu fragen, ob sie mich vergessen haben.“ Seine Frau und die drei noch lebenden Kinder haben Asyl erhalten.
Ibragim erzählt, wie er in Tschetschenien die Leichname von 20- bis 30-Jährigen in einem Kanal unter Metallgittern versteckte, „damit die Hunde sie nicht erwischen und auffressen und man sie eventuell noch identifizieren kann. Später wurden sie richtig begraben.“ Er betont, dass die russischen Soldaten nicht alle böse wären, „viele sind sehr jung“. Aber auch ganz andere Kaliber seien unterwegs: „Mörder, die 20 oder 25 Jahre lange Gefängnisstrafen erhielten, wurden mit Waffen versorgt, aus dem Gefängnis entlassen und nach Tschetschenien geschickt.“
Hilfe bekommt er wie die anderen beim Verein Aspis, wo speziell Männer, die oft unter dem Trauma leiden, ihre Familie nicht vor dem Tode beschützen können zu haben, sich aussprechen können. Äußerst verlegen erzählt er von seiner Frau, die er immer noch liebe, aber die durch den Krieg ebenfalls geschädigt sei. Die im Jahr 2000 geborene Tochter hatte nur eineinhalb Kilo und die Ärzte hielten sie zuerst für tot. Die Frau leidet an Epilepsie, „sie hat zu viele Tote gesehen“.
Ibragim spricht von seiner Scheidung. Er freut sich, dass ihn seine Frau jetzt wegen der Saualm im Fernsehen gesehen hat – und dabei bemerkte, dass er aus Kummer über die Trennung statt 88 nur noch 55 Kilo hat.
Ein junger Mann mit schwarzen Haaren kauert auf dem Boden und lehnt sich an die Wand. Von Zahnschmerzen geplagt, drückt er sich immer wieder mit dem Zeigefinger in die Wange. „Mein neunjähriger Sohn lebt in Tschechien mit meiner Mutter und Schwester“, erzählt der gebürtige Kasache. Zehn Jahre lang habe er in Tschechien gelebt. Nach der Scheidung meldete ihn seine Frau von der Wohnung ab. Die Folge: Ohne gültigen Meldezettel wurde er nach Österreich abgeschoben.
Eigentlich hätte er sich noch bei seiner Mutter anmelden können, die sogar die tschechische Staatsbürgerschaft besitzt. Doch die tschechische Polizei erkannte sie nicht als seine Mutter an. Schon bei der Ankunft in Tschechien war das Problem entstanden: Sein Vater war in Kasachstan erschossen worden und die Mutter trug den Nachnamen ihres zweiten Mannes. Der damals 18-jährige Sohn aber den Namen seines Vaters. „Das ist nicht der Sohn dieser Frau“, entschied der Grenzpolizist damals. Mit weitreichenden Konsequenzen. Der verzweifelte Kasache schaut verlegen zu Boden. Am Nachmittag fährt ihn Okorn zur Notaufnahme ins Spital, um den Zahn ziehen zu lassen. „Alle diese Geschichten zu hören ist nicht leicht“, meint die Psychologin.
Seit ihrer Flucht von der Saualm kümmert sich das „Aktionskomitee für mehr Menschlichkeit und Toleranz“ um die 16 Flüchtlinge. Vorerst wurden sie in privaten Haushalten untergebracht. „Bis zum Dreikönigstag müssen wir aber eine Lösung finden“, erklärt Rolf Holub, Landessprecher der Kärntner Grünen, der sich als Fürsprecher für die Flüchtlinge in Position gebracht hat. Er rufe daher die Landespolitik zu Gesprächen auf, damit man die Sache zu einem guten Ende bringen könne.
„Wollen nicht mehr zurück“
Bis für die Flüchtlinge von der Saualm eine endgültige Lösung gefunden ist, dürfte noch einige Zeit vergehen: „Da der Flüchtlingsreferent in Thailand auf Urlaub ist und keine Vertretung bestellt hat, wird das alles noch dauern“, meint der Grün-Politiker. Eines ist für die Flüchtlinge aber in jedem Fall klar: In die Sonderanstalt auf der Saualm wollen sie nicht mehr zurück. Wenig Verständnis dafür zeigt Landeshauptmann Dörfler, er beharrt auf seinem Standpunkt: Asylwerber könnten sich eben nicht aussuchen, wo sie wohnen. (KERSTIN KELLERMANN, Die Presse, 29.12.2008)