Umgang mit Zuwanderung: Vorbild Kanada

15.07.2009 | 21:03 | Nasila Berangy

Wie sich Österreich von Kanada, einem Musterbeispiel gelungener Zuwanderungspolitik, unterscheidet. Während auf der Website der kanadischen Regierung Porträts erfolgreicher Immigranten gezeigt werden, um weitere Menschen anzulocken, möchte Österreich nicht einmal die behalten, die schon im Land sind.

Ich habe noch nie gehört, dass in Kanada jemand sagt: Ich bin ein Immigrant“, sagt Ellie Grassmuck. In Österreich hingegen würden Migranten als „Ausländer“ gesehen und dementsprechend behandelt. Die 67-jährige Wahlkanadierin, die vor 42 Jahren aus Österreich auswanderte, schätzt den kanadischen Zugang, dass nämlich Zuwanderer ihre eigene Kultur hochhalten sollen.

Bei jährlichen Festivitäten zeigen Zuwanderer aus 90 Nationen ihre eigene Kultur. Jede Community bekommt bei diesen von den Provinzregierungen unterstützten Feiern ein eigenes Zelt. Österreich, bedauert sie, war bisher nicht vertreten – ihre alte Heimat, die sie nur mehr sieht, wenn sie ihre Tochter Aglaia Rodriguez-Torres besucht.

Sie ist in Kanada geboren und nach Abschluss ihres Fotografiestudiums über Umwege an den Geburtsort ihrer Mutter zurückgekehrt. Sich mit einem Land zu 100 Prozent identifizieren – das kann sie nicht. Das mag auch daran liegen, dass Kanadier damit aufwachsen, dass es kein Widerspruch ist, gleichzeitig Kanadier und Österreicher zu sein. Das wird auch durch die Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft signalisiert.

Loyalitätsprobleme entstehen dadurch keine, sagt Migrationsexpertin Barbara Herzog-Punzenberger von der Akademie der Wissenschaften. Verlangt man von Zuwanderern, ihre Staatsbürgerschaft zurückzulegen, sei das wie das Abschneiden einer Wurzel.

Dass die Menschen in Österreich „weniger offen für Zuwanderung sind und die Integrationsstrategien offensichtlich nicht funktionieren“, ist Rodriguez-Torres aufgefallen. In Kanada werde nicht hinterfragt, warum in der Schulklasse Afrikaner sitzen, es ist einfach so.

Vorurteile werden schon in der Schule bekämpft: Ab der 7. Schulstufe beschäftigen sich kanadischer Schüler monatelang mit „citizenship, immigration, multiculturalism“. So bekommen sie das Rüstzeug, um gegen etwaige Anfeindungen ankämpfen zu können.

Während in Österreich Lehrer klagen, Erziehungsarbeit leisten zu müssen, ist diese gerade in Kanada ein Teil der pädagogischen Arbeit. Kinder, die die Unterrichtssprache nicht beherrschen, werden als Herausforderung gesehen. Chancengleichheit ist die Leitidee in der Schulpolitik, aber auch in der allgemeinen öffentlichen Rhetorik. Die verschiedenen Voraussetzungen wirtschaftlicher oder familiärer Art dürfen keine Rolle spielen.

Kein Sprachproblem

Auch sind Sprachkompetenzen der Migranten in Österreich immer wieder ein Thema. Oft wird verlangt, dass zu Hause deutsch gesprochen wird. Der kanadische Zensus 2006 hat gezeigt, dass 70 Prozent der Menschen, die vor 1961 eingewandert sind, daheim nach wie vor eine andere Sprache als Englisch oder Französisch sprechen.

Und trotzdem: 90 Prozent der Neuankommenden sagen, dass sie eine der beiden offiziellen Sprachen beherrschen.

In Österreich spricht man von Parallelwelten, wenn in einem Viertel mehrere Familien gleiche ethnische Wurzeln haben. In Kanada wird die Communitybildung sogar aktiv unterstützt – und touristisch vermarktet.

Das war nicht immer so. Man darf nicht vergessen, dass auch hier Vielfalt nicht immer geschätzt wurde. Vor 60 Jahren hat man die Einwanderung aus Großbritannien forciert und West- oder Nordeuropäer bevorzugt. Heute sieht man die damalige Politik als rassistisch und diskriminierend.

Positive Rhetorik

Gleichzeitig begreift man diese Zeit aber als einen Teil der eigenen Geschichte. Und letzten Endes sagen die Kanadier selbst, dass irgendwann die Einsicht kam, „dass sich etwas ändern muss“, so Herzog-Punzenberger. Allerdings auch nicht nur aus selbstlosen Gründen, sondern aus ökonomischen. Österreich hingegen hat sich bis heute nicht als Einwanderungsland definiert.

Grundsätzlich hat Kanada gegenüber Migration eine andere, eine positivere Rhetorik. Während auf der Website der kanadischen Regierung Porträts erfolgreicher Immigranten gezeigt werden, um weitere Menschen anzulocken, möchte der Staat Österreich nicht einmal die behalten, die schon im Land sind. Viel eher wird hier an Projekten der freiwilligen Rückkehr gearbeitet.

Kanada betrachtet es dagegen sogar als Versagen, wenn Menschen, die eine „permanent residency“ haben, das Land wieder verlassen. All das sind wohl Gründe, warum 97 Prozent der Neuankommenden sagen, dass kein anderes Land gleich attraktiv oder attraktiver als Kanada wäre. (NASILA BERANGY)

„Die Presse“, Print-Ausgabe, 15.07.2009


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