Wenn der Dolmetscher über Asyl entscheidet

06.05.2009 | 20:26 | Ania Haar

Schlechte Übersetzungen und parteiische Dolmetscher beeinflussen den Ausgang des Verfahrens. Denn die Neutralität des Dolmetschers ist oft ein Wunsch, der mit der Realität nicht übereinstimmt.

Dolmetscher üben einen großen Einfluss auf das Asylverfahren aus, denn „ihre Übersetzung kann entscheidend sein, ob ein Verfahren positiv oder negativ entschieden wird“ – so steht es im Handbuch „Dolmetschen im Asylverfahren“, herausgegeben vom Innenministerium.

Warum ist das so? Ein Flüchtling muss seine Asylgründe plausibel erklären. Denn sie sind oft seine einzigen Beweise. Jerry (Name von der Redaktion geändert) ist vor sieben Jahren aus Ruanda geflohen. „Ich musste erzählen, warum ich geflohen bin, aber sie haben mir nicht geglaubt.“ Das Interview vor der Asylbehörde fand in Englisch statt, weil es für seine Muttersprache keinen Dolmetscher gab. „Wir haben uns nicht gut verstanden.“

Wie gut ist die Übersetzung? Wer überprüft das? Niemand. „Es ist wenig Bewusstsein da“, sagt Sonja Pöllabauer vom Institut für Translationswissenschaften in Graz, „dabei spielt die Sprache hier eine zentrale Rolle.“

2005 erschien ihre Studie: „I don’t understand your English, Miss“. Pöllabauer sitzt mehrere Monate im Bundesasylamt in Graz, nimmt Anhörungen auf und transkribiert sie. Ergebnis: „Englisch ist nicht gleich Englisch, und Dolmetschen ist nicht nur Dolmetschen.“

Es wird angenommen, dass Dolmetschen eine wortgetreue und neutrale Übertragung des Gesagten ist. Doch die Neutralität des Dolmetschers ist oft ein Wunsch, der mit der Realität nicht übereinstimmt. Ob bewusst oder unbewusst, Dolmetscher nehmen die Rolle einer „Vertrauensperson“, des „Helfers“ oder auch mal des „Hilfspolizisten“ an.

Schlampig gedolmetscht

Oder der Beamte überträgt seine Rolle auf den Dolmetscher, der dann de facto die Verhandlung übernimmt. „Dieses Verhalten ist unter Kollegen bekannt“, meint Dolmetscherin Mascha Dabic und fügt hinzu: „Oft wird jedoch schlicht und einfach schlampig gedolmetscht, was nicht bedeutet, dass es nur schlechte Dolmetscher gibt.“ Dabic arbeitet im Verein Hemayat, der Folter- und Kriegsüberlebende betreut.

Während der Verhandlung wird immer ein Protokoll auf Deutsch angefertigt. Der Asylbewerber muss mit seiner Unterschrift die Richtigkeit des Protokolls bezeugen. Da das Protokoll auf Deutsch war und Jerry zu dem Zeitpunkt Englisch gesprochen hat, wurde es rückübersetzt. „Ich musste unterschreiben“, sagt Jerry, „aber ich habe nicht genau das gesagt, was darin stand.“ Das sieht er erst zwei Jahre später, bei der nächsten Anhörung, denn jetzt kann er die deutsche Version gut verstehen.

Ein weiteres Problem beim Dolmetschen im Asylverfahren ist die Wahl der Sprache. Zwar schreibt das Gesetz vor, dass bei nicht ausreichenden Deutschkenntnissen ein Dolmetscher für eine für den Betroffenen verständliche Sprache zu bestellen ist – doch ist das nicht unbedingt die Muttersprache.

„Weit verbreitet ist die Annahme, dass wenn in einem afrikanischen Land die Amtssprache Englisch ist, dass auch alle Englisch sprechen“, sagt Gabriele Slezak. Sie hat gemeinsam mit Martina Rienzner den Forschungsbericht „Dolmetschen bei Gerichten und Asylbehörden in Wien für Verfahrensbeteiligte aus afrikanischen Herkunftsländern“ verfasst.

Ein Ergebnis: Die Englischkompetenz variiert bei den Verfahrensbeteiligten sehr stark. Noch dazu sind die in afrikanischen Ländern gesprochenen Varieteten des Englischen weit entfernt vom Oxford-Englisch, das Dolmetscher lernen.

So können sowohl Dolmetscher als auch Asylwerber beide Englisch, verstehen einander aber nicht. Konsequenz: Der Asylwerber kann sein Anliegen nicht genau vorbringen und auch der Verhandlung nicht mehr richtig folgen.

Dazu kommt: „Sprache ist ebenso flüchtig wie das Dolmetschen“, sagt Sonja Pöllabauer. „Wie kann sich der Asylwerber auf eine fehlerhafte Übersetzung berufen, wenn schon Interpretationen und mehrfach veränderte Aussagen vorliegen?“ Jerry wollte eine nachträgliche Änderung des Protokolls. Das war aber nicht möglich. „Können Sie das beweisen?“, haben sie mich gefragt. Er konnte das natürlich nicht. Wie denn? Er hat doch damals die Richtigkeit des Protokolls mit seiner Unterschrift anerkannt.

Wie oft sind Asylwerber von dieser Problematik betroffen? Empirisches Material fehlt zwar, aber 2008 sind beim Verfassungsgerichtshof 1200 Beschwerden gegen Entscheidungen des Asylgerichtshofs eingegangen. Wie viele davon auf fehlerhafte Kommunikation zurückzuführen sind, berücksichtigt die Statistik nicht. Im Handbuch „Dolmetschen im Asylverfahren“ wird die genannte Problematik dargestellt. Dabei bleibt es aber auch.

Mindeststandards fehlen

„Das Handbuch ist infolge des neuen Asylgerichtshofs veraltet“, sagt Franz Pöchhacker vom Zentrum für Translationswissenschaft der Uni Wien. „Es wird unterschätzt, welche zentrale Rolle Dolmetschen spielt.“ Bis heute fehle es an Qualitätssicherung und Mindeststandards. „Die Protokolle müssen nachvollziehbar sein“, deshalb plädiert der Wissenschaftler für eine digitale Aufnahme der Anhörungen. Franz Pöchhacker und Waltraud Kolb haben das Thema Dolmetschen im Asylverfahren untersucht und festgestellt, dass es Verständigungsprobleme gibt. Das Gesagte wird manchmal ungenau und unvollständig wiedergegeben.

Die Ergebnisse dieser Arbeit sind auf der Website des kürzlich verstorbenen Richters des Asylgerichtshofs, Josef Rohrböck, zu finden (www.asylum-online.at). Dort sind Beispiele von Asylwerbern, die ähnliche Erlebnisse wie Jerry haben, angeführt. Etwa eine Vergewaltigung, die nicht Eingang in die Übersetzung findet. Die könnte aber wesentlich für die Einschätzung der Fluchtgründe sein. (ANIA HAAR)

„Die Presse“, Print-Ausgabe, 06.05.2009


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