Wien: Enkel eines chilenischen Sozialisten kandidiert für die SPÖ

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07.09.2015 | 9:01 | REDAKTION

Als Kandidat der Wiener SPÖ für die nächsten Gemeinderatswahlen hofft Sebastian Bohrn Mena seinem Streben nach Gerechtigkeit auch auf den Bühnen der Politik Ausdruck verleihen zu können. Eine kurze Biographie unserer Redaktion.

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Ein lauter Knall brachte die Wände des Hauses zum Erzittern. Fensterscheiben zersprangen, die Familie schreckte hoch und lief nach draußen. Auf der Straße stand das Auto des Vaters in lodernden Flammen, eine Autobombe war hochgegangen. Dicke Rauchwolken stiegen in den Himmel und nach und nach eilten die anderen Menschen des Viertels zum Ort des Geschehens …

Im Frühjahr 1973, sechs Monate vor dem Putsch des  Präsidenten Salvador Allende, verübten Faschisten einen Anschlag auf Gregorio Mena Barrales, sozialistischer Landeshauptmann der chilenischen Provinz Puente Alto. „Das war der Anfang vom Ende“, beschreibt seine in Österreich lebende Tochter Aida Mena Bohrn heute. Als Präsidentin des Kommitees „Chile somos Todos“ vertritt sie über eine Million im Ausland lebende Chilen*innen weltweit. Der Anfang vom Ende, weil ihr Vater im Anschluss an den Sturz Allendes im chilenischen Konzentrationslager landete und kaum mehr Hoffnung auf Freiheit hatte. Zur selben Zeit regierte in Österreich Bruno Kreisky und ermöglichte politischen Gefangen und Verfolgten unbürokratisch Asyl. So wurde auch Gregorio Mena dieses Angebot zuteil. Nach zwei Jahren der Folter befreiten ihn bis heute unbekannte Männer. In Österreich erwarteten ihn und seine Familie solidarische Menschen und ein offenes Land, das sich über die Möglichkeit glücklich schätzte, Flüchtlingen einen sicheren Ort anbieten zu können.

Vierzig Jahre später, Wien – die Stimmung hat sich geändert: „Nein zum Asylantenheim!“, „Mehr Mut für unser Wiener Blut!“, „Keine Wohnung ohne Deutsch!“. Das ist es, was der Enkel von Gregorio Mena heute in seiner Stadt vorfindet. Hass, Hetze und Angst, basierend auf der totalen Teilnahmslosigkeit mit den Schrecken von Geflohenen. Er heißt Sebastian Bohrn Mena und ist als Sohn einer politisch Verfolgten Chilena und eines Österreichers ebenso fassungslos über die aktuellen Umstände, wie auch kampfbereit: „Ich wäre heute nicht am Leben, wenn die damalige Atmosphäre nicht so solidarisch gewesen wäre.“ Im Jahr 2015, werden Flüchtlinge und Menschen mit Migrationsgeschichte in Österreich nicht mehr als Überlebende betrachtet, nicht als bereichernd wahrgenommen, nicht als vollständige Mitglieder der Gesellschaft. Allzu oft entsteht der Eindruck, sie seien gar ein Übel, nur Verbrecher oder sogenannte Sozialschmarotzer – und am besten, so scheint es, kehrten sie alle wieder dahin zurück, wo sie hergekommen sind. Seit seiner Kindheit begleitet Sebastian Bohrn Mena die Frage der Ungerechtigkeit. Warum wurde er in der Schule oft anders behandelt, als andere Kinder? Woher kommt die ökonomische Ungleichheit? Und wie kann diese ungerechte Gesellschaft so gestaltet werden, dass sie ein schönerer Ort für alle ist?

Diese Fragen konnten ihm zunächst nur Bücher beantworten. Darin fand er Ruhe, Kraft und neue Perspektiven. Seine Leidenschaft führte ihn durch die Lehrzeit zum Beruf des Buchhändlers, wo sich jedoch bald herausstellen sollte, dass seine politische Persönlichkeit in der Funktion des Verkäufers zu kurz kam. Ein berufsbegleitendes Wirtschaftsstudium und das Doktorat gaben ihm den nötigen Auftrieb, um Zusammenhänge zu erkennen und das Bedürfnis zu entwickeln, sich aktiv an der politischen Realität zu beteiligen. Es folgte eine weitere Phase des Lernens und Entdeckens – in der Vermögensforschung untersuchte er die ungleiche Verteilung von Reichtum und stellte schließlich fest, dass Armut ein unvermeidliches Resultat des Großkapitals ist. Wie konnte es sein, dass eine Verkäuferin in der selben Arbeitszeit um das bis zu 1.000-fache weniger verdiente, als ein Top-Manager? Und vor allem: Warum tut niemand etwas dagegen? In vielen Gesprächen erkannte er ein mangelndes Bewusstsein – nicht nur für wirtschaftliche Zusammenhänge, sondern auch im Bereich des Zwischenmenschlichen. Irrationale Hetze, schamlose Unterstellungen und die berechtigte Angst vor einer unsicheren Zukunft sind Symptome einer Zeit, in der die Menschen vor der Perspektivenlosigkeit zu fliehen versuchen. Sie fliehen ähnlich wie Sebastians Großvater, doch fliehen sie diesmal nicht aus einem realen Folterlager, sondern vor den Gefängnissen in ihren Köpfen.

Es scheint für viele aussichtslos, ihre Berufs- und Lebenswelten zu beeinflussen, denn nur Wenige finden überhaupt die Kraft und die Zeit dafür, sich mit den tieferen Ursachen ihrer Sorgen auseinander zu setzen. Also begnügen sie sich mit den einfachen Botschaften, die Demagog*innen für sie vorkauen. Allzu oft heißt es dann: Es ist die Schuld der Ausländer*innen. Sie machen uns die Jobs streitig, nisten sich in unsere Gemeindebauten ein und stehlen unsere hart erarbeiteten Steuergelder – inmitten von Wirtschafts- und Europakrisen. Was bleibt dann noch für uns übrig? Ein trauriges Zeugnis mangelnden Verständnisses, das zur weiteren Belastung von Migrant*innen führt. Auch diese Migrant*innen waren verzweifelt auf der Suche nach Sicherheit, so wie Sebastians Familie. Ob es die Flucht vor Hunger, Armut, Krieg oder Folter ist: „Es gibt keine Hierarchie des Leids“, ist Sebastian überzeugt. „Wir haben die gesellschaftliche Verantwortung, Solidarität zu zeigen. Denn auch wir selbst könnten eines Tages irgendwo fremd sein und uns wünschen, Unterstützung zu bekommen.“

Vor diesem Hintergrund zog es Sebastian in die Volksbildung, wo er auch heute noch tätig ist. Hier erschafft er kostenfreie Räume der Diskussion und Reflexion: „Menschenrechte, Tierrechte, die Dringlichkeit der Umweltprobleme, kapitalistische Ausbeutung und Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren – all das sind Themen, die mir wichtig sind.“ Das Ziel, das er dabei immer vor Augen hat, ist ein Gegengewicht aufzubauen. Durch Wissen und Infragestellung der herrschenden Verhältnisse die Basis zu bilden, als Einzelne und als Gesellschaft handlungsmächtig zu werden. „Die Unlust am politischen Geschehen, die Abneigung gegenüber sogenannten Fremden und die apathische Starre, die wir den Schicksalen von Mensch, Tier und Umwelt entgegen bringen, haben alle dieselben Wurzeln: Unwissenheit und Ohnmacht. Diese können wir aufbrechen, wenn wir lernen, die Zusammenhänge zu erkennen. Diese Einsicht stärkt, sie ermöglicht den Menschen, sich zu emanzipieren. Und das ist die Wiege eines jeden politischen Fortschritts.“

So war Sebastians nächster logischer Schritt derjenige, sich noch stärker politisch zu engagieren. Als Kandidat der Wiener SPÖ hofft er nunmehr, seinem Streben nach Gerechtigkeit auch auf den Bühnen der Politik Ausdruck verleihen zu können. „Wir sind Teil einer Gemeinschaft, die sich selbst noch nicht als solche begreift. Diese Kraft ist unbändig, aber noch ungenützt. Mein tiefer Wunsch ist, dass kein Wert-Unterschied mehr zwischen den Menschen gemacht wird. Und sei der Moment aus der jetzigen Perspektive noch fern: Ich bin überzeugt, dass wir das mit Beharrlichkeit und Prinzipientreue eines Tages erreichen können“


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