Die afrikanische Fußball-Krankheit

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10.07.2010 | 9:46 | simon INOU und Clara Akinyosoye

Das frühe Scheitern aller WM-Teilnehmer des Veranstalterkontinents spiegelt die mentalen Folgen einer mafiösen und korrupten Sportpolitik – Sechs Gründe, warum der afrikanische Fußball nicht abhebt

Im afrikanischen Fußball glaubt man eher an Wunder statt an langfristige Arbeit und Visionen: in den letzten vier Jahren haben die in Südafrika teilnehmenden Teams 24 Trainer beschäftigt. Kein Trainer hat eine Mannschaft mehr als drei Jahre lang trainiert. Im afrikanischen Fußball gibt es leider keine Mannschaften, sondern größtenteils Individuen, die die WM-Bühne ausnutzen um eine „One-Man-Show“ zu präsentieren.

Das Beispiel von Kamerun ist diesbezüglich sehr aussagekräftig: Die kamerunische Mannschaft war schon vor der Weltmeisterschaft undiszipliniert, ineffektiv und sehr instabil in ihrer Leistung. Im Klagenfurter Trainingslager waren sie unfähig, ein Kollektiv zu bilden. Dieser Dauerzustand ist seit den 90er-Jahren bekannt. Aber es interessiert niemand Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Da Chaos das Wesen der gegenwärtigen autokratischen Fußballpolitik in Afrika ist.

Die Einmischung korrupter Politiker und mafiöser Netzwerke: Es herrscht ein Mangel an Infrastrukturen für die jüngeren Generationen. Politiker nutzen ihre Macht, um sich in den Fußball einzumischen. In Kamerun spielt der Trainer nur eine Nebenrolle. Politiker – manchmal Staatschefs – sind diejenigen, die die Mannschaft mehr oder weniger aufstellen. Rund um die kamerunische Mannschaft hat sich seit den 90er-Jahren ein Netzwerk aus korrupter Politikern, Kriminellen und Wirtschaftsinteressenten herauskristallisiert. Unzählige Beispiele aus anderen afrikanischen Ländern zeigen, dass es dort nicht anders ist. Aktuellstes Beispiel politischer Einmischung: der nigerianische Präsident Staatschef Goodluck Jonathan will den nigerianischen Fußball reformieren und hat das Nationalteam aufgrund seiner schlechten Leistungen für zwei Jahre für alle internationalen Wettbewerbe gesperrt.

Entfremdung des afrikanischen Fußballs und Neokolonialismus: Fünf von sechs Trainern afrikanischer Mannschaften (außer Algerien) stammen aus europäischen Ländern. Diese Tatsache lässt vermuten, dass afrikanische Staaten 50 Jahre nach ihrer so genannten Unabhängigkeit unfähig sind an sich selbst zu glauben. Die Einbindung nationaler Trainer für afrikanische Teams ist aus heutiger Sicht scheinbar nicht vorstellbar.

Außerdem hat die Präsenz europäischer Trainer in afrikanischen Ländern weit reichende Folgen. Sie transportieren ein koloniales Bild in Fußballschulen, in denen Fußballtalente für europäische Klubs „produziert“ werden. Sie dienen als Nachschub für europäische Clubs. Was aus den nationalen Ligen wird ist unerheblich. Dies führt zu einer Entwertung der afrikanischen Fußball-Ligen und zur Brüchigkeit des Nationalbewusstseins. Trainer transportieren oft nur Ihr Verständnis von Fußball. Plakativ formuliert: Ein französischer Trainer wird nie eine deutsche Fußballphilosophie predigen. Beinahe alle Afrikanische Mannschaften werden von unterschiedlichen Trainern mit unterschiedlichen Philosophien trainiert.

Entwertung der afrikanischen Ligen: Afrikanische Spieler, die in nationalen Ligen spielen haben fast keine Chance in die Nationalmannschaft zu gelangen. Diese Entwertung der nationalen Liga drängt Spieler in die Migration. Bei der jetzigen Weltmeisterschaft war die südafrikanische Nationalmannschaft, die einzige, in der der Großteil (14 von 23 Spielern) der Mannschaft in der heimischen Fußballliga spielt. In den Teams der Elfenbeinküste und Kamerun kam je ein Spieler aus heimischen Clubs. In Algerien spielte kein einziger Fußballer in der heimischen Liga.

Mangel an Nationalbewusstsein: im Vergleich zu Spielern der 80er und 90er Jahre riskieren die Spieler ihre Füße eher für den Arbeitgeber, d.h für europäische Vereine, wo sie sehr gut bezahlt werden, als für die Nationalmannschaft – wenn diese existiert. Bei der WM-Vorbereitung von Kamerun bevorzugte es Samuel Etoo, für einen seiner Sponsoren einen Werbespot zu drehen, statt mit der Nationalmannschaft zu trainieren. Eine klares Zeichen von mangelndem Patriotismus gekoppelt mit einer Frechheit, die nur zum Ausdruck kommt wenn Verantwortliche nicht dafür büßen müssen. Wie der in Südafrika lebende kamerunische Politologe Achille Mbembé bemerkt – „Jede nationale Fußballmannschaft ist das Abbild des Landes, das sie vertritt, die Widerspiegelung seiner Kultur, seiner Organisationsmethoden und seiner Mängel. Was uns betrifft, so ist die Feststellung einfach: so viele Möglichkeiten, aber auch so viele Schlamassel auf dem Hintergrund einer moralischen Kraftlosigkeit und kollektiven Machtlosigkeit.“

Migration als einziger Weg zum Erfolg: Da die Spieler der einheimischen Ligen nicht wahrgenommen werden, ist die Tendenz in außerafrikanische Länder zu immigrieren groß. Mehr als 400 afrikanische Fußballer spielen in 36 europäischen Topligen. Nigeria ist diesbezüglich mit 94 Spielern auf dem ersten Platz, gefolgt von Kamerun mit 87. Beide Länder sind in Südafrika Gruppenletzter gewesen. Diese Migration führt zum Teil, wie die Organisation Foot Solidaire entdeckte, zu einer „Spieler-Wäsche“. Betrügerische Agenten locken Jugendliche zwischen 15 und 16 Jahren unter falschen Versprechen nach Europa und beuten sie aus. Wenn sie nicht die erwartete Leistung erbringen werden sie einfach im Stich gelassen.

Diese Schlepperagenten nutzen dafür nicht mehr den traditionellen Weg – von einem afrikanischem Land zu einer ehemaligen Besatzungsmacht. (Nigeria – Großbritannien, Kamerun – Frankreich), sondern den Weg nach Osteuropa, wo die Einreisebestimmungen noch gelockerter sind. Für viele Europäische Clubs sind afrikanische Spieler billige Ware. Sie werden am Rande des Menschenhandels, mit der Mitwisserschafthochrangiger Beamten und mafiöser Netzwerke nach Europa importiert. (Simon Inou, Clara Akinyosoye, DER STANDARD, Printausgabe, Samstag, 10. Juli 2010)

Simon Inou ist Chefredakteur, CLARA AKINYOSOYE stv. Chefredakteurin des Online-Portals afrikane.info.at in Wien.


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