Das Selbstbewusstsein der afrikanischen Mode im globalen Kontext

12.07.2013 | 14:55 | simon INOU

In den letzten Jahren finden in verschiedensten Ländern auf verschiedensten Kontinenten immer mehr „African Fashion Weeks“ statt. Überwiegend Schwarze Models zeigen Modekreationen afrikanischer Fashiondesigner vor einem sehr interessierten internationalen Publikum. Prägend für die Modekreationen der Designer ist der demonstrative Einsatz des afrikanischen Textilkulturerbes. Eine Wiederbelebung der Textilkreationen nach einer sehr langen Periode der Überflutung der afrikanischen Textilmärkte mit billiger Second Hand Kleidung/Textilien aus Europa und den USA.

Afrikanische Stoffe

Afrikanische Stoffe sind das gegenwärtig sichtbarste Zeichen der Modekreativität des Kontinents. Als Kinder, Anfang der 1980er Jahre in Kamerun, hatten wir eine Tradition in der Familie: Wir waren daran gewöhnt, von unseren Eltern zwei bis drei Mal im Jahr zum Familien-Maßschneider gebracht zu werden, um unsere Kleidung schneidern zu lassen. Die Eltern hatten vorher Stoffe gekauft, die vor Ort aus lokaler Baumwolle von einer Textilfirma produziert worden waren. Im Regelfall erhielten wir vom Schneider nach 14 Tagen unsere Kleidung und im Gegenzug bekam er für seine Arbeit eine Bezahlung. Wir waren nicht die Einzigen. Davon konnte er gut leben und wir Kinder waren sehr stolz auf unsere neue Kleidung. Und wenn die Kleidung später Löcher bekam, schmissen wir sie nicht weg. Sondern wir brachten die Kleidung erneut zum Schneider und er besserte die Löcher aus. Weggeschmissen haben wir nur Kleidung, die nicht mehr wirklich tragbar war. Heutzutage sieht die Situation ganz anders aus. Diese Einstellung hatte auch mit den verankerten Bekleidungs- und Kulturtraditionen der jeweiligen afrikanischen Länder zu tun.

Entgegen der Klischees, wonach AfrikanerInnen seit Jahrhunderten nackt bis halbnackt herumlaufen, erzählt die Geschichte Afrikas eine andere Realität: Archäologen haben in altafrikanischen Gräbern in Ägypten Zeichnungen von Webstühlen aus dem Jahr 3000 vor unserer Zeit gefunden. Weiter südlich wurden fünf Jahrhunderte alte Baumwolltuchreste in Meroe, im aktuellen Nordsudan, gefunden. In West-, Zentral- und Südafrika ist die Geschichte von Stoffproduktionen eine sehr alte, die nachweislich seit dem 8 .- 9. Jahrhundert existiert. Bis heute werden diese alt bewährten Traditionstechniken in der Herstellung von hochwertigen Stoffen ausgeübt: u. a. Bogolan, Kente und Adinkra in West- und Zentralafrika; Kitenge, Shuka Massai, Sisal, Raffia in Ost und Südafrika.

Die Second Hand-Ware aus Europa hat die Textilindustrie Afrikas vernichtet

Ende der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre war die Situation eine ganz andere. Die erste Wirtschaftskrise, aufgrund der Senkung von Rohstoffspreisen auf dem Weltmarkt, führte dazu, dass Textilfirmen, die in mehreren afrikanischen Ländern massiv vom Staat finanziert wurden, nur mehr teilweise finanziert blieben. Erste Konsequenz war der Preisanstieg von Stoffen und eine sehr starke Liberalisierung der Textilwirtschaft. Dies führte zu einem massiven Import von billiger Second Hand Bekleidung aus Europa und den USA. Darunter litt die Textilindustrie Afrikas stark, deren Rolle sich heutzutage nur auf niedrig qualitative Stoffproduktion konzentriert, während hoch qualitative afrikanische Stoffe von europäischen Firmen stammen, wie etwa die so genannten „Wax“ aus den Niederlanden und Großbritannien. Aber auch aus Österreich: Die Stickerei Industrie Vorarlbergs überlebt nur aufgrund der hohen Investitionen von nigerianischen Abnehmern.

Die Second Hand Bekleidung, die bis heute im Vergleich zur lokalen Kleidungsproduktion wenig kostet, hat in dreißig Jahren Millionen von Arbeitsplätzen vernichtet: 80% der Arbeitsplätze von 1975 bis 2000 in Ghana, 60% zwischen 1980 und 2002 in Sambia. In Nigeria, dem Bevölkerungsreichsten Land Afrikas, verloren von den 1970er bis Ende der 1990er Jahre mehr als 80% Arbeitsplätze in der Textilindustrie der vormaligen 200.000 Beschäftigten ihren Arbeitsplatz. Eine Realität, die nicht ohne Konsequenzen bleibt. Immer mehr Länder verbieten den Import von Second Hand Kleidung, die eigentlich von EU und US-amerikanischen NGOs organisiert werden. Ende 2012 beschloss Kenia, eines der kreativen Modezentren des gegenwärtigen Afrika, gesetzlich den Import von Second Hand Kleidung – vor Ort „Mitumbas“ – genannt, zu verbieten.

Eine Renaissance der Kreativen in der Modebranche

Seit 2001 hat Nigeria, den Import von Second Hand Kleidung verboten[1]. Das führte zu einem sichtbaren  Boom des kreativen Modezweigs. Ein externes Zeichen dieser Kreativität ist die Gründung von ARISE , dem führenden Modemagazin der afrikanischen Diaspora im Jahre 2009. Das Magazin ist selbstbewusst, frech, afropolitisch, bissig, hype und trendy. Das Magazin wird in 26 Ländern auf drei Kontinenten verkauft und berichtet über Trends in der afrikanischen Modebranche sowie aus der Schwarzen Diaspora. Ziel ist es, ein internationales Publikum und eine Plattform für die besten afrikanischen Modetalente zu schaffen. Unter dem Motto  „Africa is beautiful“ und „Africa is powerful“ präsentiert sich eine selbstbestimmte Modeszene. Das ist das Magazin der jungen dynamischen Afrikanerinnen, die am und außerhalb des Kontinents leben und sich gern als Afropolitan (African+Cosmopolitan) beschreiben. Die aktuelle junge Generation der AfrikanerInnen – Generation 3.0 –  hat sich von Komplexen der vorigen Generationen total befreit und tritt jetzt sehr selbstbewusst auf. Nicht nur in der Mode sondern auch in der Wissenschaft, Kunst, Popkultur und Politik.

Diese Tendenzen sind kein modernes Phänomen, da sie unmittelbar an die Philosophie der „Black Conciousness“ anknüpfen. Die Kämpfe und Gedanken der vorkolonialen Befreier und nachkolonialen Denker wirken weiter – wie der Senegalese Cheikh Anta Diop, der Vater der modernen afrikanischen Historiographie; der Musiker Fela Kuti, Gründer der politisch geprägten Musikrichtung Afrobeat, der seine Band (30 bis 50 MusikerInnen und TänzerInnen) von den 70er bis in den 90er nur mit Yoruba Mode bekleidete, sowie politische Schwergewichte wie Nelson Mandela oder auch Steve Biko.

Diese neue Bewegung umarmt gleichzeitig Schwarze in Afrika und in der Diaspora da das Zentrum der Welt, aufgrund der Globalisierung nicht zwingend London, Paris oder New York ist, sondern Johannesburg, Dakar, Lagos, Douala, Kairo, Salvador de Bahia (Brasilien), Kingston (Jamaika).

Das Ende des ethnischen Ghettos wird zum globalen Phänomen

Die Kommunikationsmittel haben sich entscheidend verändert. Traditionelle Mainstream Medien, die in der Vergangenheit das Bild des „hässlichen“ und „faulen“ Afrikaners verbreiteten, haben nicht mehr dieses Monopol. Alternative Kanäle gibt es heute genug. Schon im Jahr 2000 füllte der kongolesische Musiker Koffi Olomide, als erster Afrikaner das Pariser „Palais Bercy“ (18.000 Sitz- und Stehplätze), den größten Veranstaltungsraum Frankreichs ohne die Kanäle der französischen Mainstream Medien zu benutzen. Ein anderes Phänomen, das der afrikanischen Mode zum globalen Phänomen verholfen hat, ist das große Interesse von westlichen Mainstream Modezeitschriften.

Auf der Suche nach anderen Maßstäben, in anderen Erdteilen als nur in der westlichen Welt, haben mehrere JournalistInnen und Mode AutorInnen über die zahlreichen  Moderichtungen am afrikanischen Kontinent berichtet und mehrere Bücher zu diesem Thema herausgegeben. Ein wiederkehrendes Phänomen ist das der „Sape“ (Societé des Ambianceurs et des Personnes élégantes) aus der Republik Kongo. Diese „Gesellschaft für Unterhalter und elegante Menschen“, „Sapeurs“, genannt, erinnert an die erquicklichen Seiten der Kolonialzeit, als die ersten Studenten aus Paris oder Brüssel zurückkamen und die Daheimgebliebenen mit Dreiteilern und Zweireihern beeindruckten. Die modebewussten Rückkehrer verweigerten sich schon vor Jahrzehnten der dogmatisch antikolonialen Kleidung, wie sie Präsident Mobutu im benachbarten Zaïre (der heutigen Demokratischen Republik Kongo) vorschrieb. Die gegenwärtigen „Sapeurs“ betreiben westlichen Fashion-Eskapismus und Fetischismus, leben in prekären Verhältnissen und bekleiden sich extrem teuer: Gaultier, Dior, Armani, Versace, Dolce & Gabbana, Yves Saint Laurent…und tragen Schuhe der Marke Budapester, die in Wien nicht unter 350 Euro/Paar zu kaufen sind.

Afrika und die AfrikanerInnen im 21. Jahrhundert kreieren und konsumieren. Nicht nur lokal sondern auch global. Und die großen, schwerreichen, global agierenden Modekonzerne haben es längst verstanden und vereinnahmen dieses Phänomen um ihre Kollektion mit etwas Neuem, Lebendigem und Fröhlichem zu erweitern: Louis Vuitton hat die Stoffart „Shuka Massai“ in seiner Frühling/Sommer Kollektion 2012 eingebunden, Burberry hat für seine Linie Prorsum, genauso wie die Marni Kollektion von H&M in der Modesaison 2012 die ostafrikanische Stoffart „Kitenge“ verarbeitet. Das sind nur einige modische Beispiele, die am afrikanischen Kontinent seit den 60er/70er Jahren des vorigen Jahrhundert anzutreffen sind. Mode und Kreativität sind in ganz Afrika im Umbruch.

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Erschienen in der Sommerausgabe 2013 von Stimme von und für Minderheiten, Der Zeitschrift von der Initiative Minderheiten 

 

 

 


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