EU knüpft Visaerleichterungen an Rückübernahme von „Illegalen“

16.12.2011 | 8:00 | Robert Erlachner

Vor Kurzem hat die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström EU-Visaerleichterungen für türkische Geschäftsleute, Studierende und Wissenschaftler vorgeschlagen. Bei der Vergabe der EU-Visaerleichterungsabkommen mit Drittländern spielen verschiedene Faktoren und Interessen eine Rolle. Sie sind oft an Rückübernahmeabkommen gebunden. Eine Analyse.

Wien. Der Abschluss von EU-Visaerleichterungsabkommen mit Drittländern ist ein wesentlicher Teil der gegenwärtigen EU-Migrationspolitik. Nach dem Vorschlag der EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström würde ein solches im Falle der Türkei bedeuten, dass sich der Erhalt eines EU-Visums zukünftig für türkische Geschäftsleute, Studierende und Wissenschaftler vereinfachen würde. Der Kernbestandteil solcher bilateraler Abkommen besteht darin, gewissen Gruppierungen von Staatsbürgern aus Drittstaaten Vorteile beim Erhalt von EU-Visa zu ermöglichen. Unter anderem könnte dies bedeuten, dass etwa die Kosten für ein EU-Visum EU-weit gesenkt werden, einzuhaltende Bearbeitungsfristen bezüglich der Ausstellung von Visa eingeführt werden oder die Ablehnung eines Visaantrags von dem jeweiligen EU-Land begründet werden muss. Für bestimmte Gruppen, etwa enge Verwandte von im EU-Raum lebenden Drittstaatsangehörigen, Studierende, Wirtschaftstreibende, Journalisten oder Behörden könnte auch Möglichkeit bestehen, Mehrfach-Visa zu beantragen. Ferner zeigt sich am Beispiel des Visaerleichterungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine, dass Visa-Kosten für Studierende, Geschäftsleute, Journalisten oder Pensionisten von EU-Seite auch generell aufgehoben werden können.

Der Abschluss solcher Abkommen kann viele unterschiedliche Gründe und Motive haben. So etwa die Pflege und Würdigung guter diplomatischer und politischer Beziehungen, die Verstärkung des grenzüberschreitenden Handels und der Mobilität, oder der Forcierung der wirtschaftlichen Beziehungen und des kulturellen Austauschs. Allerdings erwächst die Vergabe solcher bilateraler `Zuckerl` nicht aus bloßer Selbstlosigkeit von Seiten der EU und ihrer Mitgliedstaaten.

Visaerleichterungen als Ausgleichsmaßnahme?

Beispiele belegen, dass der Abschluss von Visaerleichterungsabkommen von der EU an die gleichzeitige Unterzeichnung sogenannter Rückübernahmeabkommen gekoppelt wird. Aus dem österreichischen Innenministerium heißt es zu dem Visaerleichterungs-Vorschlag der EU-Innenkommissarin Malmström, dass der Ausgang der Verhandlungen offen sei und der Abschluss eines solchen Abkommens im Wesentlichen von der Bereitschaft der Türkei abhänge, ein Rückübernahmeabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Diese Vorgehensweise war auch bei der Ukraine im Jahr 2007 der Fall. Daraus wird ein zentrales migrationspolitisches Interesse der EU und ihrer Innenminister ersichtlich. Indem sich die Ukraine mit der Unterzeichnung des Abkommens dazu verpflichtet, sowohl `illegal` in der EU befindliche ukrainische Staatsbürger rück zu übernehmen, als auch sogenannte Transitmigranten, die nachweislich `illegal` über die Ukraine in die EU eingereist sind, bedeutet das Rückübernahmeabkommen einen wirksamen, vertraglich abgesicherten Hebel bei der Verhinderung irregulärer Zuwanderung in die EU-Länder. Gleichzeitig werden migrations-, asyl- und flüchtlingspolitischer Zuständigkeiten auf den ukrainischen Staat und dessen Behörden übertragen. Als Ausgleichsmaßnahme für diese zusätzliche Bürde wurden im Fall der Ukraine Visaerleichterungen für bestimmte Gruppen ukrainischer Staatsbürger festgesetzt und 30 Millionen Euro für den Bau von Rückübernahmezentren und die realpolitische Umsetzung des Abkommens von der EU bereitgestellt.

In einer Mitteilung der EU-Kommission aus dem Jahr 2011 an das Europäische Parlament und den Rat heißt es: „Unter strategischen Gesichtspunkten gelten die Rückübernahmeabkommen als notwendiges Instrument für eine wirksame Steuerung der Migrationsströme in die EU-Mitgliedstaaten.“ Und weiter: „Da sie die rasche Rückführung irregulärer Zuwanderer erleichtern sollen, werden sie als entscheidender Faktor bei der Bekämpfung der irregulären Zuwanderung betrachtet.“

Rückübernahmeabkommen würden erstens eine Ausweitung der EU-Migrationspolitik auf Nicht-EU-Länder bedeuten und zweitens zur Folge haben, dass sich die EU vertraglich dagegen absichert, `unerwünschte` Migranten, Asylsuchende oder Flüchtlinge aus wichtigen Herkunfts- und Transitländern aufnehmen zu müssen, meint Sandra Lavenex, Politologin an der Universität Luzern und Expertin für internationale Migrationspolitik.  Haben Drittstaaten Formalkritierien wie die Genfer Flüchtlingskonvention 1951 oder das Zusatzprotokoll 1967 unterzeichnet, gelten sie als `sichere Drittstaaten` oder als `sichere Herkunftsländer`. Nach internationalem Recht gilt der Abschluss von Rückübernahmeabkommen damit als legitim.

Kritik von Menschenrechtsorganisationen, UNHCR und EU-Rechnungshof

Menschenrechts-NGOs, sowie Organisationen wie die UNHCR beklagen, dass mit der Unterzeichnung solcher Formalkritierien die Rechte der Flüchtlinge und Migranten deshalb noch lange nicht gesichert seien. Oftmals fehle es an notwendigen Kapazitäten im Flüchtlings- und Asylbereich. Die notwendige Versorgung wie auch der rechtliche Beistand für die Betroffenen könne von den Vertragsstaaten selten ausreichend gewährleistet werden. Selbst der Europäische Rechnungshof, der die Situation in den ukrainischen Flüchtlingslagern und Rückübernahmezentren nahe der europäischen Grenze 2008 von einer EU-Delegation überprüfen ließ, sprach von dort teilweise vorherrschenden „unmenschlichen“ und  „entwürdigenden“ Bedingungen für die Migranten. Zudem verdoppelten sich zuletzt die Asylanträge in der Ukraine, während sich jene in den östlichen EU-Mitgliedstaaten fast halbierten. Das Rückübernahmeabkommen verfestigt die Sorge ukrainischer Behörden, dass die Ukraine zu einer Art „Pufferzone“ für Transitmigranten wird, die entweder die gut bewachte europäische Außengrenze nicht überschreiten können, oder von der EU in die Ukraine zurückgeschickt werden.

Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Drittländern, die als wichtige Herkunfts- und Transitländer von in der EU als `unerwünscht` betrachteten Migrationsformen gelten, sind damit als Kehrseite der EU-Visaerleichterungsabkommen zu betrachten. Rückübernahmeabkommen, bei gleichzeitiger Befestigung und Schließung der EU-Außengrenzen, anerkennen nicht im Geringsten die Notwendigkeit einer globalen Politik, die sich vielmehr mit den Ursachen und Gründen von internationalen Migrations- und Fluchtbewegungen auseinandersetzen muss. Sprichwörtlich wird `das Problem` lediglich in benachbarte Regionen und Länder `abgeschoben`.

Verhandlungen zu Visaerleichterung ergebnisoffen

Im Falle der Türkei darf man gespannt sein, wie die Verhandlungen zu Visaerleichterung und Rückübernahme weiterlaufen. Die türkische Botschaft in Wien wollte zur Frage, wie die Türkei einem Rückübernahmeabkommen mit der EU gegenübersteht, keine offizielle Stellungnahme abgeben. Da die Türkei als wichtiges Herkunfts- und Transitland von irregulären Migrationsbewegungen in die EU gilt, multipliziert sich das Interesse der EU an einem Rückübernahmeabkommen. Die Türkei entwickelt sich aussenpolitisch immer mehr zu einer regionalen Macht und verfügt seit dem Jahr 2005 über einen EU-Beitrittskandidatenstatus. Dass diese aber nicht um jeden Preis EU-Mitglied werden will, wurde bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen deutlich. Somit schwächt sich der politische und diplomatische Druck, den die EU auf die Türkei in Sachen Rückübernahme gerne ausüben würde, ab. Sollte die EU der Türkei keine gänzliche Visafreiheit in Aussicht stellen, dürfte die Implementierung des Rückübernahmeabkommens aufgrund mangelnder Anreize von Seiten der EU demnach ziemlich unwahrscheinlich werden.


Kommentieren Sie den Artikel





Weitere Artikel von Robert Erlachner