Diallo: „Die französische Elite hat Multikulturalität noch nicht akzeptiert“

Zur Person:
  • Rokhaya Diallo (34) ist Journalistin, Buch-Autorin und Anti-Rassistin. Sie arbeitet für verschiedene französische Radio-Stationen und ist regelmäßig Gast einer Morgensendung im Fernsehsender Canal+. Erst dieses Jahr erschien ihr zweites Buch „A nous la France“, im Vorjahr erschien ihr Buch „Racisme. Mode d´emploi“. Diallo ist außerdem Mitbegründerin der Organisation „Les indivisibles“.

03.05.2012 | 11:54 | Sonja Fercher

Die französische Journalistin und Buch-Autorin Rokhaya Diallo (34) meint im M-MEDIA-Interview, die Franzosen hätten im Alltag längst akzeptiert, dass sie in einer multikulturellen Gesellschaft leben, das Problem sind die Eliten.

M-MEDIA: Inzwischen ist es schon fast 15 Jahre her, dass Frankreich unter dem Slogan „Black-Blanc-Beur“ damit begonnen hat anzuerkennen, dass es ein multikulturelles Land ist. Dennoch hat man nicht den Eindruck, dass sich tatsächlich etwas verändert hat. Woran liegt das?

Rokhaya Diallo: Ich glaube, dass die Franzosen das schon längst als Realität akzeptiert haben und im Alltag auch leben. Das sieht man allein schon, wenn man in Paris mit der Métro fährt oder am Sonntag in die Butte Chaumont geht (ein Park in Paris, Anm.): Dort sieht man gemischten Paare, zum Teil mit Kindern. Das Problem sind die Eliten, die sich immer noch weigern, diese Tatsache anzuerkennen. Es gibt sozusagen eine Parallelgesellschaft „von oben“. Hier liegt noch ein hartes Stück Überzeugungsarbeit vor uns, damit auch die Eliten anfangen, ihre Rekrutierungskanäle zu hinterfragen und für sichtbare Minderheiten zu öffnen.

Es ist ja interessant, man spricht ja viel von Parallelgesellschaften oder von „kommunitaristischer Wahl“. Diese Bezeichnung trifft eigentlich auf die Wähler des Front National zu: Sie wollen unter sich bleiben, sie wollen, dass die Grenzen dicht gemacht werden und sich Frankreich gegenüber Europa verschießt, sie wollen den Franc zurück. Für mich ist genau das die Definition von Parallelgesellschaft. Nur bezeichnet man das da nie so.

Dazu muss man sagen, dass Nicolas Sarkozy – auch wenn ich mit seiner Politik nicht einverstanden bin – hier einen sehr wichtigen symbolischen Schritt gesetzt hat, indem er Angehörige postkolonialer Minderheiten in Ministerämter geholt hat. Damit hat er es der Bevölkerung ermöglicht, sich sozusagen daran zu gewöhnen, dass Menschen wie Fadela Amara oder Rama Yade wichtige politische Ämter innehaben. Das ist enorm wichtig, und zwar nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft oder in den Medien.

Laut Umfragen wählen sehr viele junge Menschen Front National. Warum ist das so?

Man sollte sich vor Augen halten, dass die junge Generation Jean-Marie Le Pen und seine richtig schlimmen Sager nicht mehr so intensiv mitbekommen hat. Marine Le Pen ist erst seit ungefähr zehn Jahren im politischen Geschäft, insofern nehmen viele Marine Le Pen als eine Politikerin von vielen wahr. Dann ist sie eine Frau und sie ist jung – oder zumindest jünger als die anderen Kandidaten. Das sind eher banale Aspekte.

Dazu kommt, dass der Diskurs auf Seiten der Konservativen deutlich radikaler geworden ist. Wenn man Innenminister Claude Guéant, den ehemaligen Innenminister Brice Hortefeux oder selbst Nicolas Sarkozy hört: Im Vergleich dazu klingt Marine Le Pen nicht um so viel schlimmer. Es hat also eine Banalisierung der Debatte stattgefunden, die den Boden für die Ideen von Marine Le Pen aufbereitet hat. Der Weg, den man von den Menschen, die in der Regierung sind, zu Marine Le Pen gehen muss, ist inzwischen nicht mehr so weit, zumindest auf Ebene der Worte. Dazu kommt, dass Brice Hortefeux verurteilt wurde, Marine Le Pen hingegen bislang noch nie.

Schließlich sind viele Wähler von Le Pen sehr jung, viele haben kein Diplom und sie sind von daher oftmals in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Der Diskurs von Le Pen geht genau in diese Richtung, denn sie sagt: „Ich werde Euch beschützen“ oder „Wir werden das Land stark machen.“

Ist nicht auch ein Faktor, dass sie sich gegen das System und die Eliten stellt?

Absolut. Dabei ist sie Teil des Systems und noch dazu ist sie gut situiert. Doch sie hat erreicht, dass ihr die Leute abnehmen, dass sie nicht Teil jenes System ist und dass sie die Schwächsten der Gesellschaft unterstützen wird. Dazu kommt, dass in der fünften Republik immer zwei große Parteien regiert haben, also PS und RPR bzw. nunmehr UMP. Deshalb sind viele der Meinung, es ist Zeit, einmal etwas anderes auszuprobieren. Genau dieses „andere“ ist es, was Le Pen verkörpert.

Sie haben vor rund einem Monat die Y´a bon-Awards verliehen, ein Auszeichnung für Prominente, die sich rassistisch äußern. Wer würde denn den Y´a bon-Award des Wahlkampfs gewinnen?

Nicolas Sarkozy. Interessant ist ja, dass die UMP am Wahlabend gerade jene Minister in die Fernsehdiskussionen geschickt hat, die Angehörige sichtbarer Minderheiten sind. Da sah man Rachida Dati, Rama Yade, … Ich halte es für Taktik, dass man genau diese Frauen ausgewählt hat, um sich gegen das kommunale Wahlrecht von Migranten auszusprechen oder den Kommunitarismus anzuprangern. Wenn Rama Yade sagt, der Front National ist nicht rassistisch – das, gesagt von einer Schwarzen: Das ist natürlich sehr stark.

Aber auch auf Seiten der Linken sehen wir Probleme. Wir wurden beispielsweise sehr stark wegen unserer Position gegenüber der PS-nahe Caroline Fourest kritisiert. Sie ist sehr offensiv gegenüber Marine Le Pen. Aber für mich beschränkt sich Rassismus nicht auf den Front National. Ich denke, es gibt einen sehr speziellen Rassismus auch in den Reihen der Linken: Unter dem Deckmantel des Atheismus und Laizismus ist man sehr aggressiv gegenüber religiösen Gruppen.

Francois Hollande hat angesichts der Angriffe von Sarkozy wegen der Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht für MigrantInnen eben diese Forderung bekräftigt. Steht er für eine andere Politik?

Die Wahl von Francois Mitterrand im Jahr 1981 spielt für ihn eine wichtige Rolle und er bezieht sich sehr stark auf Mitterrand. Und Mitterrand hat damals eine sehr unpopuläre Forderung vertreten, nämlich die Abschaffung der Todesstrafe, und hat dennoch daran festgehalten. Im Vergleich dazu ist die Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht für MigrantInnen gar nicht einmal so unpopulär, denn die Mehrheit der Franzosen ist dafür. Hollande weiß also, dass er besser daran tut, an dieser Forderung festzuhalten, da er ansonsten das Vertrauen der Wähler verliert. Alles andere muss sich erst zeigen, denn in seinem 60-Punkte-Programm zur Wahl stehen keine besonders innovativen Dinge drinnen.

Der Wahlkampf wurde als inhaltsarm kritisiert. Welche Themen fehlen Ihnen in diesem Wahlkampf?

Der ganze Themenbereich „territoriale Disparitäten“, Ségolène Royal hat diese im Jahr 2007 sehr stark zum Thema gemacht und hat im Übrigen in diesen Gebieten sehr gut abgeschnitten. Außerdem fehlt das Thema Diskriminierungen und Anti-Rassismus. Man muss nur an den Bericht von Amnesty International denken, in dem Europa insgesamt, aber Frankreich im Besonderen ein sehr schlechtes Zeugnis ausgestellt wurde.

 

 


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