Emigration aus Irland: „Und zurück bleiben die Alten“

HINTERGRUND
  • Dieser Artikel ist im Rahmen von „Eurotours 2012“ entstanden. Eurotours ist ein Projekt der Europapartnerschaft. Finanziert wird es aus Gemeinschaftsmitteln der Europäischen Union.

29.12.2012 | 21:05 | Clara Akinyosoye

Generation Auswanderer: Jung, gut gebildet und verzweifelt auf der Suche nach Arbeit. Immer mehr Iren verlassen ihre Heimat. Bei dem Daheimgebliebenen macht sich indes Resignation breit.

Dublin. „Eine Zeitlang ins Ausland zu gehen, war für uns Iren schon immer üblich. Es erweitert den Horizont. Ich würde mir aber wünschen, dass die Jugend nicht zum Auswandern gezwungen wäre“, antwortet die irische Sozialministerin Joan Burton auf die Frage ob sie jungen Menschen in Irland empfehlen würde im Ausland ihr Glück zu suchen. Ein klares Nein zum Auswandern, gab es von der Sozialministerin nicht. Das wäre objektiv betrachtet auch ein schlechter Rat. Sie weiß schließlich um die harten Fakten. In Irland leben mehr als 4 Millionen Menschen. Die Arbeitslosenrate beträgt rund 15 Prozent. In der Eurozone beträgt der Durchschnitt etwa 17 Prozent. Zum Vergleich: In Österreich sind 4,5 Prozent arbeitslos. Die Jugendarbeitslosenraten zeichnen aber ein noch düsteres Bild. Rund 30 Prozent der Jugend ist ohne Arbeit – eine Generation ohne Perspektive. Doch die jungen Iren haben ihre Konsequenzen daraus gezogen. Sie ziehen in Scharen davon. Beliebteste Zielländer sind englischsprachige Staaten wie England und Australien, aber auch Kanada, USA, oder Neuseeland.

„Es gibt hier nichts zu tun“

Auch Mary sieht ihre Zukunft nicht in Irland. Sie passt genau in das Bild einer irischen Auswanderin. Sie ist gut gebildet, jung und verzweifelt auf der Suche nach einem Job. Nach ihrem Jusstudium in Dublin hat Mary sich bei rund 150 Firmen beworben. „Die wenigsten haben sich überhaupt die Mühe gemacht zu antworten“, erzählt die Irin. Mangelnde Rückmeldung von Seiten der Unternehmen beklagen viele Jobsuchende. Die Firmen scheinen mit der Flut an Bewerbern überfordert. Es kommt vor, dass sich für eine Stellenausschreibung für einen einzigen Job 100 qualifizierte Bewerber melden. „Ich weigere mich noch weitere unterbezahlte Praktika zu machen“, sagt Mary. Die 26-Jährige ist von der Politik und der Wirtschaft enttäuscht. Die Unternehmen würden sich das Gehalt für vollwertig angestellte Mitarbeiter sparen und Absolventen für gering bezahlte Praktika anstellen, die im Grunde, dieselbe Arbeit leisten müssen. „Und die Politik unternimmt nicht viel gegen diese Ausbeutung“, beklagt die Irin. Für die ambitionierte Mary gibt es keine Alternative zur Auswanderung. Für sie steht fest, dass sie 2013 nach Australien ziehen wird. Sie sei nicht die Einzige aus ihrem Abschlussjahrgang, die Irland – zumindest temporär  – den Rücken kehrt.  „In diesem Land gibt es für mich nichts zu tun.“ Das Gefühl nicht gebraucht zu werden, würden viele junge Menschen in Irland empfinden, sagt Bríd O’Brien von „The Irish National Organisation of the Unemployed“ (INOU).

100 Auswanderer pro Tag

Die aktuellen Zahlen des Central Statistics Office Ireland (CSO) belegen, dass allein 3000 Menschen im Monat oder anders ausgedrückt 100 Menschen am Tag Irland verlassen. So hoch ist die Zahl der Auswanderer lediglich zu Zeiten der Hungersnot im 19. Jahrhundert gewesen. Während 2006 in etwa 36.000 Menschen das Land verlassen haben, sind 2011 mehr als 76.000 Menschen ausgewandert. Wobei davon auch viele keine irischen Staatsbürger sind, heißt es bei der CSO. Denn 47 Prozent der Auswanderer haben eine andere als die irische Staatsbürgerschaft. Die Auswanderer sind größtenteils junge Menschen zwischen 15 und 44, die sich einen Neustart zutrauen oder zumindest temporär das Land verlassen wollen um ihre aktuelle Situation zu verbessern.

Ohne Proteste

Doch Massenproteste einer aufgebrachten Bevölkerung, wie sie etwa in Spanien stattfinden, sucht man in Irland vergeblich. Während in anderen europäischen Staaten mit ähnlichen wirtschaftlichen Problemen Menschen auf der Straße ihren Unmut kundtun, gibt es in Irland nur vereinzelt kleine Proteste. Es sind mitunter nur Kleinstdemonstration, weil ein Unternehmen Kündigungen ausgesprochen hat, die Regierung Steuererhöhungen in Aussicht stellt oder auflackernde Proteste gegen den „Sparzwang der Troika“. Die Occupy-Bewegung hatte 2011 auch vor Irland nicht halt gemacht. „Hier sind die Aktivisten gestanden“, erinnert sich Bathu, ein internationaler Student in Dublin. Ein kleiner Platz auf der Dame Street, mitten im Zentrum, in unmittelbarer Nähe zur Bank of Ireland. Doch Occupy scheint Geschichte zu sein. Die Proteste waren – im Vergleich zu anderen Ländern –  klein, sagt der Wirtschaftstudent. Sie hätten aber jedenfalls lang gedauert. Jetzt protestiert hier niemand mehr. Die Proteste haben sich verlaufen. Sie haben kein Strohfeuer verursacht. Politische Entscheidungsträger sind nicht unter Druck geraten.

Arbeitslose werden mit den rund 188 Euro Arbeitslosengeld in der Woche gut vom Staat versorgt, sagt Ian, ein 54 jähriger Taxifahrer. „Man beißt nicht die Hand, die füttert.“ Für ihn sei das „gute Ersatzgehalt“ ein Teil der Erklärung warum die Iren sich nicht auf der Straße Luft machen würden. Außerdem würden ohnehin viele Menschen einfach ins Ausland „flüchten“, anstatt ihre Zeit damit zu verschwenden „Chorgesänge an eine taube Regierung“ zu richten. Ian’s Politikverdrossenheit merkt man ihm an. Er glaubt nicht daran, dass es mit Irland bald wieder bergauf gehen wird. „Ich hoffe, dass ich nicht erleben muss, dass meine Kinder irgendwann auch dazu gezwungen sind auszuwandern. Aber das könnte passieren. Die Regierung kriegt die Probleme nicht in den Griff. Die Jungen sind weg. Und zurück bleiben die Alten, die Eltern, die Großeltern.“

Alkohol und Drogen

Die Arbeitsmarktexpertin Bríd O’Brien ortet als Grund für die mangelnde Protestbereitschaft weniger die Zufriedenheit mit dem Arbeitslosengeld, sondern die Frustration der Iren. „Viele Menschen resignieren.“ Für O’Brien eine plausbile Erklärung dafür, dass die Menschen sich nicht zusammenschließen und protestieren. Und unter jenen, die seit langer Zeit ohne Arbeit und ohne Perspektive seien, würde sich Resignation breitmachen, die nicht selten zu erhöhtem Alkohol- und Drogenkonsum führe. Das sei wiederum ein Hindernis um sich auf Weiterbildung oder die Jobsuche konzentrieren zu können, meint O’Brien. Ein Teufelskreis, den viele nicht in den Griff bekommen würden.  „Wir haben definitiv ein Problem mit Alkohol und Drogen.“

Die Iren würden ausgeglichen und froh wirken, doch „innen drin brodelt es“, sagt Susan, eine irische Jungjounalistin. Die arbeitslosen Menschen spüren eine Verzweiflung und Angst, dass sich nichts bewegen werde, sagt Susan. Diejenigen, die noch einen Job haben, würden um selbigen fürchten. Von dieser Sorge sei auch sie selbst betroffen. Von der Politik erwarte sich kaum einer einen großen Wurf. Das Vertrauen in die Politiker sei geschwunden und durch Misstrauen und Ärger ersetzt worden. „Keine gute Stimmung“, sagt Susan. Und trotzdem bleibt es still auf Irlands Straßen. Aber bis sich das ändert, sei es vielleicht nur eine Frage der Zeit.


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