Istanbul – Die größte Kurdenstadt der Welt

16.01.2013 | 9:14 | Hülya Tektas

Schätzungen zufolge leben in der türkischen Metropole Istanbul etwa drei Millionen Kurden. Die Stadt ist jedoch nicht nur ein Schauplatz von Protesten und Konflikten. Jenseits von Spannungen verwirklichen sich viele Kurden trotz ihrer kurdischen Identität in der Stadt am Bosporus.

Ibrahim Halil Baran lebt seit rund einem Jahrzehnt in Istanbul. Seine Heimatstadt Suruç im Landkreis Urfa im Südosten der Türkei musste er aufgrund von Drohungen verlassen. Für seine politischen Ideen und Aktivitäten war Suruç damals noch nicht bereit. Obwohl er auch in Istanbul bedroht wird, fühlt sich der Dichter in der Anonymität der Großstadt sicherer. Durch seine Fangemeinde ist er zu einem wichtigen Kritiker der Kurdenpolitik in der Türkei geworden. Baran veröffentlichte bisher als Dichter und Literaturkritiker mehrere Bücher, bekannt wurde er jedoch erst durch seine Social Media Aktivitäten. Er erreicht mit seinem Blog, Facebook und Twitter im Durchschnitt 30.000 Leser wöchentlich. Kurden aus der Türkei, Irak, Iran und Syrien sowie Auslandskurden schätzen seine Internetkommentare und Fotoarchive. Mittlerweile hält der Social Media Aktivist Vorträge zu diversen Themen über Kurden an den Universitäten. Er kritisiert sowohl die Kurdenpolitik des türkischen Premierminister Erdogan, als auch die Prokurdische Partei BDP, die verbotenen kurdische Arbeiterpartei PKK und die Äußerungen des inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalans.

Islamische Szene

Baran kritisiert auch die religiösen Vereine in der Türkei, die über den 30 Jahre andauernden Kurdenkonflikt schweigen. Als in den 90er Jahren religiös motivierte Türkischnationalisten unter den Namen „Türkische Hisbollah“ in kurdischen Gebieten Menschen terrorisierten, trennte sich Ibrahim Halil Baran wie viele andere religiösen Kurden von der islamischen Szene.

Der Sitz vom Verein Komel Kurd ist im historischen Stadtviertel Fatih, wo vermehrt religiöse Menschen leben. Komel Kurd ist ein kurdischer Kulturverein, der sich in erster Linie religiösen Fragen widmet. Irfan Burulday und seine Freunde fühlten sich in türkischen religiösen Vereinen ausgeschlossen, da ihre kurdische Identität nicht anerkannt wurde. Weiters kritisiert er die vorherrschende Meinung, dass religiöse Kurden ihre kurdischen Wurzeln nicht zustehen bzw. sie nicht ernst nehmen würden. Und aus diesen Gründen gründeten er und seine Kollegen gemeinsam einen kurdischen Verein in Istanbul.

Mit Veranstaltungen in kurdischen Dialekten will der Verein auch zum Erhalt der kurdischen Sprache beitragen. Etwa 60 Studenten treffen sich regelmäßig im Lesekreis des Vereins und beschäftigen sich auch mit aktuellen Ereignissen, Wissenschaft, kurdischer Geschichte und Literatur.

Kunst und Kultur

Kurdische Kultur- und Literaturveranstaltungen finden auch im Cafe Şahmeran in der Nähe der bekannten Einkaufsstraße Istiklal Caddesi statt. Der Besitzer Şivan Zeren beschäftigt sich in seinem Gedichtbuch KurdIstanbul, das demnächst erscheinen wird, künstlerisch mit der Identitätssuche der Istanbuler Kurden. Der in Istanbul geborene Dichter lernte seine Muttersprache erst im Erwachsenenalter kennen. Das liegt daran, dass er seine kurdischen Wurzeln erst spät – in den 90er Jahren entdeckte, was auf die massive Repressionspolitik der Türkei gegenüber Kurden zurückzuführen ist. In der Bücherecke des kleinen Kaffehauses im ersten Stock eines Wohnhauses findet man in erster Linie kurdische Zeitungen und Bücher. Auch die Getränkekarte des vorwiegend von kurdischen Studenten besuchten Lokals ist auf Kurdisch verfasst.

Medi Şark Mutfagi ist nur einige Straßen von Şahmeran entfernt. Der aus der Kurdenmetropole Diyarbakir stammende Besitzer spricht mit seinem orientalisch gerichteten Restaurant überwiegend Touristen an. Der Koch hat die Gerichte an den Geschmack der „Menschen aus dem Westen“ angepasst. Mit „Menschen aus dem Westen“ meint er allerdings nicht nur Touristen sondern auch Türken, die geographisch gesehen westlich von den von Kurden bewohnten Gebieten leben.

Bücher auf Kurdisch

Der Nubihar Verlag veröffentlicht seit der Gründung im Jahr 1992 in Istanbul zahlreiche kurdische Bücher und publiziert die gleichnamige Kulturzeitschrift. Nubihar ist die einzige kurdische Zeitschrift, die seit 1992 ohne Unterbrechung erscheint. Süleyman Çevik, der Chefredakteur führt diesen Erfolg auf sein Team zurück. Der Verlag kämpft jedoch auch 20 Jahre nach der Gründung mit Problemen. Nur eine Handvoll Büchergeschäfte sind bereit, Bücher des Nubihar Verlags – alle auf Kurdisch – zu verkaufen. In Medya Kitapevi findet man jedoch jede Menge Literatur von und über Kurden. Selahattin Buluts kleiner Bücherladen in der Alhambra Passage auf der Istiklal Caddesi ist ein Geheimtipp und Treffpunkt der kurdischen Intellektuellen, aber auch von Touristen, die sich für Kurden interessieren.

Der Student Burak Ulusoy lebt in dem bürgerlichen Bezirk Bostanci. Wie viele andere Jugendliche in seinem Alter verbringt auch er seine Freizeit in diversen Bars und Lokalen von Istanbul. Obwohl er in Istanbul geboren, aufgewachsen und sehr gut integriert ist, spürt auch er die Vorurteile gegenüber Kurden. Gerade diese Vorurteile sowie die Unterdrückungspolitik der letzten Jahre steigerten sein Interesse nach kurdischer Kultur.

Geschichte der Kurden in Istanbul

Die ersten Kurden kamen bereits lange vor der Eroberung von Istanbul durch die Osmanen nach Konstantinopel als sie damals die Hauptstadt vom Byzantinischem Reich war. Während des Osmanischen Reichs studierten Söhne von bekannten kurdischen Familien in Istanbul. Auch nach der Gründung der Türkischen Republik zog Istanbul Kurden an. Mit den letzten Migrationswellen kamen jedoch vermehrt jene Kurden nach Istanbul, deren Dörfer aufgrund des Kampfes der türkischen Armee mit kurdischen Guerillas bombardiert oder entvölkert wurden.


ein Kommentar

  • Marko

    alleine in berlin leben über 100 000 kurden duisburg mannheim stuttgart sind städte der kurden Geschrieben um 23. Februar 2013 um 14:27 Uhr Antworten

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