David Sheen: „Afrikanische Asylwerber werden in Israel als Ninjas bezeichnet.“

09.04.2014 | 11:31 | simon INOU und Tamara Tanasijevic

David Sheen ist ein kanadischer Jude. Seit 1999 lebt er in Israel und seit drei Jahren ist er das mediale Gesicht der israelischen Ungerechtigkeiten gegen AfrikanerInnen. Über afrikanische AsylwerberInnen in Israel hat er umfassend recherchiert, publiziert, gefilmt und Konferenzen gehalten. David Sheen ist viel bekannter dafür, dass sein Video über afrikanische AsylwerberInnen in Israel, im Auftrag von der New York Times, genau von derselbigen Zeitung abgelehnt wurde. Heute erscheint Teil 1 des Interviews mit simon INOU über die Situation von afrikanischen AsylwerberInnen in Israel und deren medialer Vertuschung. 

M-MEDIA: Können Sie sich bitte für unsere LeserInnen vorstellen?

David Sheen: Mein Name ist David Sheen. Ich bin ein 40 Jahre alter Kanadier jüdischer Abstammung. Die letzten fünf Jahre habe ich als Journalist in Israel gearbeitet.

Was sind die Gründe dafür?
Meine Familie väterlicherseits wurde hier geboren.

Sie sind also zurück nachhause gezogen…
Ja.

In den letzten 3 Jahren haben Sie sich intensiv mit der Berichterstattung über afrikanische AsylwerberInnen in Israel auseinandergesetzt. Wieso haben Sie sich entschieden darüber zu berichten?
Ich habe aus zwei Gründen über dieses Thema zu berichten begonnen. Zum einen war ich daran persönlich sehr interessiert, denn ich habe Afrikanische Geschichte und Musik studiert. Als Mensch fühle ich mich verpflichtet Menschenrechte zu verteidigen, wo auch immer Unrecht geschieht. Der ausschlaggebendste Grund war aber, dass darüber in den israelischen Mainstreammedien nicht geschrieben wurde. Für sie war es nicht wichtig.

Wieso nicht?
In erster Linie denke ich, dass Nachrichten über die nicht-jüdische Bevölkerung in Israel nicht sehr hohe Priorität haben, weder in den Nachrichtenagenturen noch in den Medienhäusern selbst. Zum Zweiten wird in großem Ausmaß Kontrolle ausgeübt in den israelischen Medien, teilweise vom Staat, aber auch eine, die selbst auferlegt ist. Ich würde sagen, dass es einen allgemeinen Konsens in dieser Hinsicht gibt, über den sich die israelischen JournalistInnen einig sind, welcher tief verwurzelt ist.

Können Sie mir Beispiele nennen?
Wenn Sie, sagen wir mal, ein Militärkorrespondent sind und Ihre Arbeit darin besteht, über die israelische Armee zu berichten, als ein Verbindungsmann für die Informationen, die Ihr Arbeitgeber von Ihnen verlangt, zu fungieren, Sie sich aber kritisch gegenüber der Armee äußeren, kann es passieren, dass man Sie nicht mehr als Informationsquelle nutzen wird. JournalistInnen, die unter dem Druck der selbstauferlegten Kontrolle arbeiten, zitieren Palästinenser indem sie sich von den Angaben distanzieren: „Laut palästinensischen Quellen…“. Wenn man aber über die Geschehnisse rund um die Armee berichtet, dann werden diese Informationen als Wahrheiten verkauft.

Aber damit behaupten Sie nicht etwa, dass es keinen investigativen Journalismus in Israel gibt?
Nein, ich möchte nicht suggerieren, dass es in Israel keinen investigativen und schonungslosen Journalismus gibt. Allerdings gibt es den Aspekt der Bearbeitung von Information. Das ganze System ist darauf abgezielt, Informationen dieser Art zu filtern…

…mit der Absicht Israel so positiv wie möglich darzustellen?
Ja. Es besteht ein hohes Level an Selbstzensur und viele JournalistInnen unterliegen der Vorstellung, dass es ihre Aufgabe wäre Israel in dem bestmöglichsten Licht zu präsentieren. Sich mit Israels rassistischer Schattenseite auseinanderzusetzen, würde dem widersprechen.

Ist das der Grund, warum auch viele westliche Medien es vermeiden über die Situation von afrikanischen Asylwerbern in Israel zu berichten?
Ja, das stimmt wohl.

Sie haben umfangreiche Arbeit zu diesem Thema geleistet. Wie viele afrikanische AsylwerberInnen gibt es zurzeit in Israel?
Tatsächlich gibt es ungefähr 55.000 afrikanische AsylwerberInnen in Israel. Wir bezeichnen sie bloß als „AfrikanerInnen“, man kann sie aber auch „Nicht-jüdische AfrikanerInnen“ nennen. Der beste Ausdruck ist wohl NINJAs, welches die Abkürzung für „Nicht-israelische, Nicht-Jüdische AfrikanerInnen“ ist.  Denn sie sind weder Israelis, noch Jüdisch. Sie sind NINJAs.

Warum ist Israel so attraktiv für diese sogenannten NINJAs?
Israel ist genauso attraktiv wie es alle anderen europäischen Staaten und die USA auch sind. Es gibt aber genauso einige Europäer und US-Amerikaner, für die Afrika attraktiv erscheint. Es ist ein gewöhnliches Phänomen von globaler Migration. In Bezug auf Israel darf man aber nicht außer Acht lassen, dass es eine Landverbindung zwischen Israel und dem kontinentalen Teil Afrikas gibt, welche zwischen Europa, den USA oder Australien nicht besteht. Zwischen all diesen Kontinenten liegen gewaltige Ozeane.

Ist es also leichter über die Landverbindung nach Israel zu gelangen?
Es gestaltet sich dennoch nicht unglaublich leicht, wenn man bedenkt, dass es die Wüste zu durchqueren gilt. Diese Wüste wird zum einen Teil vom ägyptischen Militär kontrolliert, zum anderen von Wüstenstämmen, wie den Beduinen. Diese Beduinenstämme haben jahrhundertelang die Schmuggelrouten kontrolliert, weil die Region durch die israelisch-ägyptische Grenze geteilt ist. Da auf beiden Seiten der Grenze Beduinen ansässig sind, war es nicht allzu schwer eine geschäftliche Verbindung herzustellen. Auf diese Weise wurden über Jahrhunderte Waren aller Art geschmuggelt: Gestohlene Autos, Drogen, aber auch Menschen im Falle von Menschenhandel oder Prostitution.

Aus welchen Ländern stammt die Mehrheit der afrikanischen AsylwerberInnen?
90 % der afrikanischen AsylwerberInnen in Israel stammen aus dem Sudan oder Eritrea. Die kanadische Regierung bewertet 90 % der AsylwerberInnen aus Eritrea als tatsächliche Flüchtlinge.

Gemäß internationaler Menschenrechtsorganisationen, herrschen im Sudan und in Eritrea diktatorische Regime vor…
Deswegen ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Menschen aus diesen Ländern alle Lügner sind..

Nach Angaben des UNCHR ist es fast unmöglich in Israel als Flüchtling anerkannt zu werden. Warum ist das so?
Sehr ironisch, wenn man bedenkt, dass Israel 1951 einer der Co-Autoren der Flüchtlingskonvention war. Nichtsdestotrotz hat Israel im Laufe seiner Geschichte versucht den Status einer Art Insel beizubehalten. Israel hatte nie eine Flüchtlingspolitik. Der einzig bedeutende Vorfall in diesem Zusammenhang war Ende der 1970er Jahre, als Israel einige vietnamesische Flüchtlinge, die auf dem Meer trieben, als einziger Staat aufnahm. Es handelte sich allerdings nur um einige Dutzend Flüchtlinge.

Wie viele Menschen erhielten seit 1951 den Flüchtlingsstatus in Israel?
Seit dem 66-jährigen Bestehen Israels erhielten ungefähr 200 Betroffene den Flüchtlingsstatus. Hierbei ist aber zu erwähnen, dass die meisten davon das Land bereits wieder verlaassen haben.

Wir sprechen hier von nicht-jüdischen Flüchtlingen?
Allerdings, denn Juden, die ins Land kommen, gelten nicht als Flüchtlinge. Hier bedarf es nur der Tatsache jüdisch zu sein, um die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Sobald sie beim Einreisen als jüdisch ausgewiesen sind, erhalten sie die Staatsbürgerschaft. Dies begründet sich auf einem der ältesten Gesetze des israelischen Staates, dem Rückkehrgesetz .

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Teil 2 des Interviews folgt nächste Woche


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