David Sheen: „Deportationen von afrikanischen Asylwerbern aus Israel sind rassistisch motiviert“

16.04.2014 | 13:23 | simon INOU und Tamara Tanasijevic

Im ersten Teil des Interviews mit David Sheen kritisierte er u.a. das Schweigen der Medien über die Politik Israels gegenüber den afrikanischen AsylwerberInnen. Im zweiten Teil unseres Interviews geht David Sheen hart gegen das politische und soziale System Israels vor. Nicht nur Israelis machen afrikanischen AsylwerberInnen das Leben schwer, sondern auch äthiopische Journalisten jüdischer Abstammung beteiligen sich daran. Außerdem ist die negative Darstellung von AfrikanerInnen in den Schulbüchern Israels ein großes Problem.

Sind die NINJAs (Nicht-Israelische, Nicht-Jüdische AfrikanerInnen) tatsächlich schwerkriminell, wie israelische Mainstreammedien oftmals berichten?

Es ist ein Faktum, dass laut Regierungsstatistiken Kriminalitätsraten von AfrikanerInnen in Israel deutlich niedriger sind als die von gebürtigen Israelis. Aber es wird anders interpretiert. Für die Regierung geht’s nicht um die Statistik, sondern darum was Menschen fühlen, sagte der ehemalige Innenminister. Und diese empfinden AfrikanerInnen nun mal als Bedrohung.

Warum führt die Regierung derartige Statistiken durch, wenn diese nicht weiterhelfen?

Vielleicht sollte die israelische Regierung diese Frage beantworten. Ich kann nur sagen, dass die Deportationen von AfrikanerInnen aus Israel – die angeblich krimineller sind als die Israelis –  nicht auf Fakten basieren, sondern aus purem Rassismus geschehen. Vor einigen Jahren wurden sogar vom Knesset (das israelische Parlament) Beweise vernichtet, um afrikanische AsylwerberInnen leichter abschieben zu können.

Aus unserer Perspektive ist es nicht leicht zu verstehen, dass sich Israelis gegenüber AfrikanerInnen auf diese Weise verhalten. Die Geschichte des jüdischen Volkes sollte eigentlich zu einem respektvolleren und toleranteren Umgang miteinander beitragen…

Sie haben Recht, aber das Problem ist noch tiefer in der Gesellschaft verankert.

Wie meinen Sie das?

In der Art und Weise wie junge Israelis über das Thema Afrika und AfrikanerInnen sozialisiert werden.

Meinen Sie zum Beispiel die Schulbücher?

Ja.

Wie werden AfrikanerInnen in der israelischen Gesellschaft dargestellt?

Gute Frage. Ich bin in Kanada sozialisiert worden und betrachte diese Frage als Außenstehender, der aus einer Distanz das israelische Erziehungssystem beobachtet. Sie müssen verstehen, dass das Erziehungssystem die Bibel und das alte Testament als Wahrheiten lehrt.

Wieso sind Sie da so sicher?

Weil ich mehrere Interviews mit Menschen durchgeführt habe, die Schulbücher verfassen.

Und…

Wir wissen, dass die Geschichten, die wir heute aus dem alten Testament kennen, von jenen überarbeitet und bearbeitet wurden, die auch den Talmud geschrieben haben. Und der Talmud ist ein sehr rassistisches Buch.

Das ist ein hartes Statement…

Ein hartes und klares. Damit meine ich, dass diejenigen, die den Talmud verfasst haben, sich als das auserwählte Volk betrachtet haben, die eine Trennung von den anderen Völkern befürwortet haben. Es waren damals viele verschiedene Völker in dieser Region angesiedelt, die wir heute Israel nennen, wie archäologische Befunde klarerweise zeigen.

Ist diese Idee von Trennung das Fundament des israelischen Schul- und Sozialisierungssystems?

Ja. Außerdem haben viele Linguisten und Archäologen begonnen Schulbücher zu analysieren und stellten fest, dass die Schulbücher, die angeblich auf den Büchern Gottes basieren, leider komplett auf erfundenen Behauptungen aufbauen…

…die andere ausschließen?

Genauso ist es.

Aber wie reagieren afrikanische Juden, die Beta Israel, gegenüber diesen Ungerechtigkeiten, die im System liegen?

Die sind eine kleine Minderheit hier. Sie repräsentieren 2% der Gesamtbevölkerung. Ungefähr 130.000 in einer Gesamtbevölkerung von 8 Millionen. Sie haben eine wöchentliche Radio und TV Sendung im israelischen Fernsehen und haben darüberhinaus fast kaum Zugang zu den Ressourcen, die ihnen mehr Gestaltungsfreiheit ermöglichen könnten. Ein Großteil ist überhaupt nicht solidarisch.

Obwohl sie Juden sind werden sie auch ausgeschlossen? Ist es aufgrund der Hautfarbe?

Im Januar 2012 zum Beispiel haben sich mehr als 100 WohnungsbesitzerInnen in einem Bündnis formiert und beschlossen keine Wohnungen an äthiopische Juden zu vermieten.

Ich kann mir vorstellen, dass viele junge Leute der zweiten Generation „not very amused“ waren…

Ja, und sie haben auch dagegen protestiert. Ein klares Zeichen von anti-afrikanischem Rassismus innerhalb dieser Gesellschaft. Im Dezember 2010 war es noch schlimmer…

Was ist geschehen?

Mehr als hundert Oberrabbiner, die von der Regierung bezahlt werden, kamen aus dem ganzen Land zusammen und publizierten ein religiöses Edikt, in dem alle Juden aufgefordert wurden ihre Wohnungen nicht an afrikanische AsylwerberInnen und Nicht-Juden zu vermieten.

Wie hat die Regierung reagiert?

Wollen Sie es wirklich wissen?

Ja…

In dem sie ihnen Lohnerhöhung gaben…

Nein, nicht wahr, oder?

Doch…Der anti-afrikanische Rassismus ist wirklich schlimm. Er ist für die Erstbetroffenen nicht mehr tragbar. Das schlimme daran ist aber vor allem, dass der Staat schweigt.

Und die Medien auch…

Ja, aber glücklicherweise gibt es unabhängige Medien online, wo man, auch auf Englisch, ausgewogene Informationen zu Israel bekommen kann, zum Beispiel 972 Magazine oder Active Stills.

Gibt es afrikanische Journalisten vor Ort, die auch über diese Tatsache schreiben?

Ja, einen, aber ich will ihn nicht als Journalisten bezeichnen, sondern als Hetzer gegen AfrikanerInnen. Es gibt einen sehr bekannten äthiopischen Journalisten hier und er ist derjenige, der den afrikanischen AsylwerberInnen die Hölle heiß macht. Sein Name ist Danny Adino Ababa. Er hat, ohne Recherche, Artikel publiziert, in denen er behauptet, dass afrikanische Asylwerber 1000 jüdische Frauen äthiopischer Abstammung gekidnappt hätten. Die Polizei konnte diese Tat nicht bestätigen. Diese Meldung war einfach unseriös und hat natürlich dazu geführt, dass AsylwerberInnen von der Gesellschaft noch mehr gehasst werden.

Ist Herr Ababa der einzige Afrikaner, der tätig ist?

Im Gegensatz zu Ababa, gibt es noch einen Dokumentaristen, der großartige Arbeit leistet. Er heißt auf Facebook Berhane Berhane. Er hat nahezu alles rund um die Demonstrationen der afrikanischen AsylwerberInnen gefilmt und online gestellt. Er dokumentiert alles, ob mit Handykameras, Videokameras, …und postet online. Ein Archiv dieser Protestbewegung. Hut ab…

Danke David Sheen für dieses Interview.

Danke auch für Ihr Interesse.


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