Schweiz: Einbürgerungsverbote und „asylantenfreie Zonen“

23.10.2011 | 10:01 | SCHWEIZ-KORRESPONDENTIN Jasmina Causevic

Heute finden in der Schweiz Parlamentswahlen statt. Die Migrationsfrage hat den Wahlkampf dominiert. Jedoch in rassistischer Manier. Das zeigen Vorschläge wie, ein Einbürgerungsgverbot auf Lebenszeit, „asylantenfreie Zonen“ oder Schreckenszenanrien zur „Zwangseinquartierung von Migrant/innen in Schweizer Haushalte“. Jasmina Causevic aus Bern.

BERN. Seitdem die Schweizerische Volkspartei (SVP) einen Wahl- und Abstimmungserfolg nach dem anderen mit der Migrationsthematik feiert, sind auch die anderen Parteien in Hoffnung auf zusätzliche Wählerstimmen auf diesen Zug aufgesprungen. Praktisch keine Partei lässt die Asyl- und Migrationspolitik aus ihrem Wahlprogramm aus und ist darum bemüht möglichst „schweizerisch“ zu wirken. „Schweizer Wählen SVP“, „Aus Liebe zur Schweiz“ (FDP), „Erfolg. Schweiz. CVP“ sind die Wahlslogans einiger der wichtigsten Parteien.

22% der Bevölkerung sind keine Schweizer

Migrant/innen manchen heute einen Anteil von 22% (ca. 1.8 Mio.) der gesamten Schweizer Bevölkerung aus.  Sie sind zwar nicht wahl- und stimmberechtig, jedoch tragen sie massgeblich zum Erfolg der Schweiz bei, indem sie Steuern zahlen, die Sozialversicherungen finanzieren und den Mangel an Arbeitskräften in verschiedenen Wirtschaftszweigen ausgleichen. Man könnte eigentlich davon ausgehen, dass die Schweizer Politiker/innen und die Bevölkerung den Beitrag von Migrant/innen für das Funktionieren der Wirtschaft und damit auch zur Aufrechterhaltung des Wohlstands, zu schätzen wissen. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Migrant/innen als Sündenböcke

Allen voran die SVP führt den Wahlkampf in einem an Rassismus grenzenden Stil an und dominiert die Medien-Agenda. Sie schiebt öffentlich den Migrant/innen die Schuld zu – für die Arbeitslosigkeit, die Abhängigkeit der Schweiz von Kernenergie, die steigenden Mietpreise, die Überlastung des öffentlichen Verkehrs und die Zersiedelung des Landes. Migrantinnen und Migranten werden dabei ohne zu zögern für Wahlkampagnen instrumentalisiert. So erhielten Haushalte im Kanton Schwyz Flugblätter mit einer „Verordnung zur Zwangseinquartierung von Migrant/innen in Schweizer Haushalten“, da es aufgrund der anhaltenden Einwanderung zu wenig Wohnraum gäbe. Das Flugblatt der SVP spielte auf die Ängste der einheimischen Bevölkerung an: durch „Masseneinwanderung“ würde der Lebensraum zu eng. Am Ende müssten demnach die Schweizer dafür herhalten die Menschen unterzubringen.  Im Kanton „Zug“ verlangte die SVP die Einrichtung von „asylantenfreien Zonen“. Im Kanton „Zürich“ reichte sie einen Vorschlag ein, der Migrant/innen auf Lebenszeit die Einbürgerung verbieten soll, sofern sie ein rechtliches Vergehen – egal ob einmalig oder weit zurückliegend – begangen haben.

Drohungen nach „keine Probleme mit Ausländern“-Sager

Doch dass sich die SVP – und auch die anderen Parteien – mit solchen Wahlprogrammen einen Erfolg versprechen, kommt nicht von ungefähr. Viele Schweizer/innen haben diffuse Ängste, die sie über die Migrationsthematik kanalisieren. Dies hat nicht zuletzt dazu geführt, dass die vergangenen beiden Volksinitiativen der SVP – die Minarett- und die Ausschaffungsinitiative – angenommen wurden, auch wenn sie internationales Recht verletzen und kaum umsetzbar sind.

Der Alltag der Menschen wird immer komplexer. Die Individualisierung schreitet voran und nichts scheint mehr im Leben sicher zu sein, weder der Arbeitsplatz noch die persönlichen Beziehungen. Vor allem die SVP spricht sehr erfolgreich diese Ängste an. Das gelingt ihr so gut, dass sich ein Gemeindepräsident aufgrund massiver Drohungen aus der Bevölkerung zum Rücktritt gezwungen sah, weil er öffentlich aussagte, dass es in seiner Gemeinde keine Probleme mit Ausländern gäbe.

Keine Ghettos

Dass es bestimmte Probleme im Migrationsbereich gibt, ist nicht zu leugnen, aber diese liegen nicht primär an einer Weigerung der Migrant/innen sich zu integrieren, sondern an der jahrzehntelangen Vernachlässigung der Integrationspolitik durch die Behörden, die darauf konzentriert waren, die Migrant/innen möglichst aus den Alltagsstrukturen auszuschliessen.  Doch grundsätzlich funktioniert die Integration in der Schweiz gut. Die Schweiz kennt im Vergleich zu anderen Ländern keine „Migrantenghettos“ und die Integration über die Arbeit oder Schule funktioniert sehr gut. Das zeigt sich auch darin, dass bei migrationspezifischen Abstimmungen die urbanen Zentren, in denen die Mehrheit der Migrant/innen lebt, in der Regel zugunsten der Migrant/innen abstimmen. Das heisst, dass die diffusen Ängste vor allem dort ausgeprägt sind, wo nur wenige persönliche Kontakte zur Migrationsbevölkerung bestehen und die Abstimmungsentscheide aufgrund von Vorurteilen getroffen werden.

Nachholbedarf in der Integrationspolitik

Dennoch, ein Nachholbedarf im Bereich der Integrationspolitik ist vorhanden. So werden beispielsweise 2/3 der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Schweiz geboren. Sie gehören also zur Schweizer Gesellschaft dazu und werden durch sie geprägt. Manche von ihnen sind aber von Diskriminierungen betroffen, weil sie aufgrund ihrer Herkunft keinen geeigneten Ausbildungsplatz finden können. Ausserdem verfügen zwar viele Migrant/innen über universitäre oder ähnliche Abschlüsse, diese werden aber in der Schweiz nicht anerkannt. Um die Migrant/innen optimal integrieren zu können, bedarf es spezifischer Massanahmen, welche die vorhanden Hürden für die Integration in die Schweizer Gesellschaft aus dem Weg räumen. Ob diese nach den Wahlen von diesem Wochenende eingeleitet werden, steht in den Sternen. Denn wenn die Parteien ihre Wahlprogramme effektiv umsetzen, dann wird es sich vor allem um Scheinlösungen handeln, die keine Lösungen für die tatsächlichen Probleme des Landes bringen werden.

 

 

 


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