Slowakei: Roma und ihre Chancen am Abstellgleis

INFO:
  • * Dieser Bericht wurde im Rahmen von "eurotours 2011" erstellt. "eurotours" ist ein Projekt der Europapartnerschaft, finanziert aus Gemeinschaftsmittelen der EU.

04.10.2011 | 11:48 | Tina Schmoranz

Kann eine top-moderne Roma-Schule in der Ostslowakei – mit dem Status einer Sonderschule – Kindern den Eintritt ins Bildungssystem ebnen und Integration fördern? Klingt absurd. Muss es aber nicht sein.

Chminske Jakubovany/Slowakei. Munteres Herumgerenne, bunte Farben, freudiges Gelächter und leises Getuschel, wer denn der unbekannte Gast sein könnte. Ein unsicheres Aufstehen oder doch noch Abwarten angesichts der eintretenden Lehrer-Delegation und schließlich eifrig winkende Händchen und ein lautes „dobrý den!“ als der Gast einen großen Schritt auf die Kinder der Roma-Schule in Chminske Jakubovany zumacht und in äußerst dürftigem Slowakisch ein paar Begrüßungsformeln stammelte.

Der unbekannte Gast war M-Media-Redakteurin Tina Schmoranz bei ihrem Besuch in der Ost-Slowakei im Zuge von Eurotours 2011*. Immer wieder werden auch in der Slowakei Stimmen laut, die den Umgang des Staates, des „Systems“ mit Kindern aus Roma-Familien im Bereich der Bildung stark kritisieren. Ein düsteres Bild von aufgrund fehlender Slowakisch-Kenntnisse zum Schuleintritt in Sonderschulen abgeschobenen Kindern wird gezeichnet, deren Potential – in oft schlecht ausgestatteten Klassenräumen – verloren geht, die für ihren weiteren Lebensweg abgestempelt werden. Einen bedürfnisorientierten, lebensnahen Unterricht für die Roma-Kinder gibt es dort nicht, lediglich mit der leidvollen Erfahrung, ausgestoßen und von den „Weißen“ gemieden zu sein, müssen sie klarkommen.

Roma-Bildung als Problem von Staat und Patriarchat

Wie auch der selbsternannte „Chronist“ Karl-Markus Gauß nach seinen Recherchen in slowakischen Roma-Siedlungen festhält, ist eine adäquate Schulbildung für Roma-Kinder aber nicht nur ein Problem vom Staat, dessen Einrichtungen oder den reservierten, Augen zudrückenden, teils offen rassistischen „weißen“ Mitbürgern, sondern auch das systeminterne Patriarchat lässt Roma-Väter ihre Kinder von Schulen fernhalten. Höchstes Gut ist es, möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen, abesehen von der Abholung staatlicher Beihilfen haben die Väter ihren Nachkommen aber nicht mehr viel zu bieten bzw. zu lehren. Im Laufe der sich verändernden, sich industrialisierenden Zeit haben viele Roma ihre handwerklichen und landwirtschaftlichen Fertigkeiten schlichtweg verlernt. Viele Tätigkeiten richten nun Maschinen aus, Reperaturen sind oftmals obsolet, häufig wurden Roma in Landstriche gedrängt, wo sie ihrem traditionellen Leben nicht nachgehen konnten oder in staatlich errichtete Slums gesteckt, wo sie – anders als bei ihren Holzhütten – weder Muße noch Handwerk hatten, Mängel auszubessern.

In dieser stillstehenden Untätigkeit gefangen wollen sich Väter häufig nicht mit besser gebildeten und im slowakischen Mehrheitsleben besser integrierten Kindern – schon gar nicht Töchtern – konfrontieren. Die Vermutung, dass sie einige ihrer Nachkommen – je besser deren Bildungsniveau ist – gänzlich verlieren, dass diese ihre Chance ergreifen, um ihr erworbenes Wissen in anderen Städten fernab ihrer schlammigen Siedlung einzubringen versuchen, wurde in der Roma-Schule in Jakubovany aber zerstreut, „die allermeisten bleiben“.

Kinder drücken gern die (Sonder-) Schulbank

Ebenso zerstreut wurde die (auf der Hand liegende) Vorverurteilung, dass Roma-Kinder in Bildungseinrichtungen mit Sonderschul-Status prinzipiell abgeschoben werden. Durch den besonderen Einsatz der Schuldirektorin in Jakubovany ist es mittlerweile nämlich gelungen, 395 Schüler in 42 (hochmodernen!) Klassen mit 60 Lehrern zu unterrichten. Lediglich eine einzige Klassse der Schule wird von „weißen“ Schülern mit sonderpädagogischem Bedarf belegt, die restlichen Schüler sind Roma. Dass in dieser Sonderschule die Talente der Roma-Kinder nur vegeudet werden, kann man mit gutem Gewissen nicht behaupten. „Unser Ziel ist es, den Kindern Möglichkeiten zu geben, zu lernen und zu arbeiten, um dann auf ihr spezielles Leben nach dem Schulalter vorbereitet zu sein, ihnen zu helfen, ihr Leben zu leben, auf sich aufzupassen“, erzählen zwei Lehrerinnen in gebrochenem Englisch.

Englisch gehört weder für Lehrer noch für Schüler zum Pflichprogramm, statttdessen gehen sie aufeinander ein, (weiße) Lehrer in Jakubovany sprechen die Roma-Sprache fließend, um umgekehrt den Roma-Kindern das Slowakische näherzubringen. Die Basis dafür, sich auch außerhalb der Roma-Siedlung verständigen zu können und Chancen im Leben nutzen zu können.

Die Chance zur Bildung wurde von den Roma in Jakubovany erkannt, was nicht nur die große Anzahl an Schülern beweist. „Die Kinder kommen jeden Tag zur Schule, haben kaum Fehlstunden“, so die Lehrer. Weil die Nachfrage so groß ist, unterrichten sie mittlerweile in zwei Schichten: Die Großen von der 5. bis zur 9. Klasse – die übrigens auf Drängen der Eltern 1998 eingeführt wurden – kommen vormittags zum Unterricht, die Kleineren nachmittags. Allen steht ein Mittagessen um 60 Cent pro Woche zur Verfügung, sowie Stifte, Papier und Bücher. Viel Wert wird in Jakubovany auch auf die kostenlose Teilnahme der Kinder an Schulveranstaltungen außerhalb der normalen Stunden gelegt. „In den Sommerferien haben wir mit den Kindern Ausflüge unternommen, viele besuchten zum ersten Mal ein Theater oder ein Kino, gemeinsam waren wir in Bratislava, wo die Kinder an einem Gesangswettbewerb teilgenommen haben“, erzählen die Lehrerinnen. Ermöglicht wird dies alles sowie die tolle Ausstattung der Klassenräume mit interaktiven Tafeln, PCs und Beamern grundlegend vom Staat, zusätzlich von internationalen Organisationen und Sponsoren.

Schule als Anlaufstelle für alle

Auf diese Weise schaffen es Lehrer und Direktorin, den Kindern und auch deren Familien den Spaß an der Schule zu vermitteln, bauen dabei eine oft auch lebenslange Verbundenheit auf. „Einige ehemalige Schüler helfen uns bei der Koordinierung der Kinder auf den Sommercamps, andere treten an uns heran, wenn sie ihre Schulkarriere noch fortsetzen wollen, dafür (finanzielle) Unterstützung brauchen. Aber auch für alle anderen Roma gilt die Schule mittlerweile als Institution, die Kommunikation mit den Eltern funktioniert gut“, bescheinigen die – mittlerweile vier – Lehrerinnen beim Interview. Ihr Engagement, die Freude an der Arbeit sind zu spüren – ebenso der Respekt gegenüber den Roma. Für den Artikel fordern sie die Feststellung ein, dass der Grund für die spezielle Lebensweise der Roma einfach in ihrer Kultur verankert liegt. „Diese Kultur wollen wir in der Schule keinesfalls verändern oder infrage stellen, aber wollen Kooperationen und die dafür notwendigen Regeln schaffen“, sind sich die Lehrerinnen einig. Und sie wissen, der Erfolg gibt ihnen Recht: „The pupils try to be good ones, don’t want to make any problems.“

Auf ihrem Schulweg sind sie nichtsdestotrotz mit Anfeindungen konfrontiert, kontern mit Schimpftiraden und auch kleinere Diebstähle stehen nicht auf der Tages- aber doch auf der Wochenordnung. Durch die Basisarbeit in der Schule sollen sich „Weiße“ und Roma aber näher kommen und auch die Kommunikation von Kindern, Eltern und „weißen“ Dorfbewohnern über die Schule soll ihren Teil zu einem reibungslosen Nebeneinander beitragen.Denn von einem Miteinander wagt man noch nicht zu sprechen.


Kommentieren Sie den Artikel





Weitere Artikel von Clara Akinyosoye