50 Jahre Gastarbeiter in Österreich

Im Wienmuseum am Karlsplatz beschäftigte sich 2004 eine Ausstellung mit den "Gastarbajteri"
KURZ:
  • 50 Jahre Gastarbeiter: Das Raab/Olah-Abkommen wurde am 18.Dezember 1961 zwischen dem Präsidenten der Bundeswirtschaftskammer, Julius Raab, und dem Präsidenten des ÖGB, Franz Olah, unterzeichnet. In einem Passus werden ausländische Arbeitskräfte, sogenannte „Gastarbeiter“, vorübergehend zum Arbeitsmarkt zugelassen.
  • Begriff: 1966 schrieb das Sozialministerium vor, den NS-belasteten Begriff „Fremdarbeiter“ durch „Gastarbeiter“ zu ersetzen.
  • In Zahlen: 1963 waren rund 21.000 Gastarbeiter im Lande, 1973 waren es 227.000, 1983 sank die Zahl auf 145.000. Die Zahl ausländischer Bürger blieb dank Familienzusammenführungen konstant.

16.11.2011 | 12:33 | Ania Haar

Vor knapp fünfzig Jahren wurde mit dem Raab/Olah-Abkommen der österreichische Arbeitsmarkt für Gastarbeiter geöffnet. Viele Arbeiter, die damals nur kurz im Land bleiben wollten, sind mittlerweile Österreicher.

Wien. „Mit zwei Blusen und zwei Röcken bin ich gekommen“, sagt Danica Ilic, „denn ich wollte nur kurz bleiben.“ Aus dem kurzen Arbeitsbesuch in Wien, den sie im Jahr 1972 antrat, sind mittlerweile fast vierzig Jahre geworden. „Alles nicht geplant“, wie sie meint. Und so wie Danica Ilic erging es vielen, die mit der ersten großen Welle der Gastarbeiter nach Österreich kamen.

Dass sie kommen konnten, verdanken sie dem Raab/Olah-Abkommen – vor fast genau fünfzig Jahren wurde es abgeschlossen. „Darin wurde ein Kontingent von rund 48.000 ausländischen Arbeitskräften vereinbart, die man beschäftigen wollte“, erklärt Michael John, Professor am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Linz.

Es war die Zeit des einsetzenden Wirtschaftsbooms. Firmen suchten nach Arbeitskräften, fanden aber keine. Auf dem österreichischen Arbeitsmarkt fehlten rund 100.000 einheimische Beschäftigte, die selbst als „Gastarbeiter“ tätig waren – in Deutschland, in der Schweiz oder anderen Industrieländern. Die große Lücke, die dadurch entstand, musste geschlossen werden.

Anwerbestellen in der Türkei

Und so wurde in Spanien und Italien nach Arbeitern gesucht. „Nur kamen die nicht“, sagt John, „denn Österreich hatte in den 50er- und 60er-Jahren kein sehr hohes Lohnniveau und war daher für Arbeitskräfte nicht so attraktiv wie die BRD.“

Daher schloss Österreich 1964 ein Abkommen mit der Türkei und 1966 ein weiteres mit Jugoslawien. Danach wurden sogenannte Anwerbestellen vor Ort eingerichtet, die potenzielle Bewerber nach ihrer Tauglichkeit für die Arbeit untersuchten. In den ersten Jahren kamen rund 70 bis 80Prozent der Gastarbeiter aus Jugoslawien. Während ein Großteil durch die formelle Vermittlung kam, erfuhren die anderen durch Mundpropaganda von der Chance.

So wie auch Radomir Z., der seinen Familiennamen in der Zeitung nicht lesen möchte. Ein Freund erzählte ihm, dass sein Chef noch Bauarbeiter braucht. Er machte sich sofort auf den Weg. „Ohne Papiere bin ich nach Wien gekommen“, erinnert sich der Serbe, „und konnte gleich auf einer Baustelle anfangen.“ Das war 1968. Um die Formalitäten kümmerte sich sein Chef, nun konnte er legal arbeiten. „Eine der großen Baustellen war das AKH“, erzählt er.

Die Branche Nummer eins der Gastarbeiter war monoton, schwer – und häufig am Fließband. Gastarbeiter machten die Arbeit, die andere nicht machen wollten. Und sie waren vor allem an langen Arbeitszeiten und Doppelschichten interessiert. Denn sie wollten Geld verdienen – und bald wieder gehen. Auch Ilic ging, aber in eine andere Firma. „Als ich damals ohne Arbeit nach Wien gekommen bin“, erzählt sie, „konnte ich schon am nächsten Tag eine Stelle finden.“ Zusammen mit ihrer Cousine ging sie entlang der Liniengasse, fragte in einer Fabrik nach einem Job – und bekam prompt einen. Der Arbeitgeber beantragte ein Visum und eine Beschäftigungsbewilligung für sie. „15 Jahre lang musste ich mein Visum jedes Jahr verlängern lassen“, erzählt sie, „bis ich ein unbefristetes bekommen habe.“

Die Arbeit in der Buchbinderei war schwer und schlecht bezahlt. „Ende der Woche habe ich 500 Schilling auf die Hand bekommen.“ Bald wechselte sie den Arbeitgeber. „Dort habe ich das Doppelte verdient und bin zehn Jahre geblieben.“ Nach einem weiteren Wechsel arbeitete sie noch zusätzlich als Hausbesorgerin. „In diesem Haus haben sehr noble Leute gelebt“, sagt Ilic, „und mich immer sehr gut behandelt.“ Der 75-jährige Radomir Z. hat eine andere Erinnerung an seine Vergangenheit als Gastarbeiter. „Ich habe 18 Jahre schwer gearbeitet und wurde krank“, sagt er, „heute bekomme ich nur 409 Euro Pension.“ Am liebsten würde er nach Serbien zurück. Aber andererseits – dort müsste er für einen Arztbesuch bezahlen, in Österreich nicht. Also bleibt er angesichts der besseren sozialen Versorgung doch lieber.

Zerrissenheit bleibt

Danica Ilic fährt regelmäßig in ihre alte Heimat. „Als ich hierher gekommen bin, konnte ich nur nach Brot und Wasser fragen“, sagt sie, „heute bin ich Österreicherin und habe sehr viele Freunde hier. Auch meine Kinder sind hier geboren.“ Was ihr dennoch bleibt, ist die Zerrissenheit: „Ich weiß nicht wirklich, wo ich hingehöre.“

 

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.11.2011)


ein Kommentar

  • Mario

    Im direkten Verhältnis zu Gastarbeitern stehend liegt es offensichtlich auf der Hand, dass sich viele Bürger des damals werbenden Staates nicht mit dem Begriff des “Gastarbeiters” anfreunden kann. Die damaligen Gäste sind mittlerweile Staatsbürger, aber erläutern will ich primär die Lebenssituation der türkischen Gastarbeiter in Österreich. Viele dieser “Gastarbeiter”, die man auch “Zeitarbeiter” nennen könnte, sind nicht gekommen, damit sie dann in diesem Land bleiben. Die Lebensumstände haben nach der Frage der Integration und Anpassung gedrängt, denn einige Jahr nach der Ankunft wurde klar, der Lebensmittelpunkt wandert mit der Zeit immer mehr nach Österreich. Nähere Ausführungen findet man unter http://istanders.at/2013/06/gastarbeiter-mensch-als-gast/ Geschrieben um 30. Juni 2013 um 16:51 Uhr Antworten

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