Arbeitsleben: Migrant, erfolgreich, selbstständig
- Selbstständigkeit: Beratung und Begleitung bei der Gründung eines Ein-Personen-Unternehmens findet man unter anderem bei der Wiener Wirtschaftsagentur Mingo.
- Frauen: Die Frauenorganisation abz*austria kümmert sich um die Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt.
- www.mingo.at
- www.abzaustria.at
30.11.2011 | 11:40 | Milagros Martinez-Flener
Migranten wählen berufliche Selbstständigkeit nicht nur als Alternative zu drohender Arbeitslosigkeit. Einige kündigen ihren sicheren Job – und genießen die Vorteile der Selbstbestimmung.
Wien. Magda Stampfer hatte einen sicheren Job. Als Systembibliothekarin arbeitete die gebürtige Polin in der Nationalbibliothek. Und so war es vor allem aus Interesse, als sie nebenbei eine Ausbildung als Kinesiologin begann. „Es war mir nicht bewusst, dass das mein Beruf werden könnte“, meint sie heute.
Denn trotz des sicheren Jobs beschloss sie einige Zeit später, dass sie nicht weiter als Angestellte arbeiten wollte. Die Geburt ihres ersten Kindes war der Wendepunkt. Sie wollte sich die Zeit, die sie mit Familie und Kind verbringen konnte, besser einteilen. Und das, so meint sie, gehe in der Selbstständigkeit einfach leichter. Formell kündigte sie, während sie mit ihrem zweiten Kind in Mutterschutz war. Inzwischen betreiben sie und ihr Mann Christian eine Praxis im 8.Wiener Bezirk, wo Kinesiologie-Sitzungen und Shiatsu- Behandlungen angeboten werden.
Hilfe beim Start
„Mittlerweile haben rund 30 Prozent der Wiener Kleinunternehmen einen Migrationshintergrund“, sagt Gabriele Tatzberger. Sie ist Abteilungsleiterin der Mingo-Initiative der Wirtschaftsagentur Wien. Seit 2008 bekommen bei dieser Start-up-Initiative jene Menschen Hilfe, die sich selbstständig machen wollen. Angeboten werden muttersprachliche Beratungen für Firmengründer und Kleinstunternehmer mit Migrationshintergrund sowie kostenlose Workshops in Bereichen wie Finanzierung, Steuern und Marketing. Diese werden zum Teil mit zweisprachigen Trainern abgehalten (Englisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Polnisch und Türkisch).
Bedarf für derartige Programme gibt es. Allein im Jahr 2010 wurden in Wien etwa 8000 neue Unternehmen gegründet, davon etwa 2900 von Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Viele davon sind auch Ein-Personen-Unternehmen, konkrete Zahlen darüber gibt es allerdings nicht. Klar ist nur, dass die Lage als Selbstständiger nicht so rosig ist, wie manche glauben. Der eigene Chef zu sein, bedeutet in vielen Fällen, keine Feiertage, kein freies Wochenende, Urlaub oder Anspruch auf Karenz zu haben.
Dennoch scheint die Selbstständigkeit eine gewisse Attraktivität zu haben. „Ich hätte Existenzängste, wenn ich von anderen abhängig wäre“, sagt Antonina Dimitrova-Dzontic. Das war die gebürtige Bulgarin lange genug – zwischen 1998 und 2003 arbeitete sie in einer Werbeagentur als Webprogrammiererin. Nachdem sie und ihre Kollegin, eine englische Grafikerin, in kürzester Zeit erfolgreich Projekte entwickelten, beschlossen sie, eine eigene Firma zu gründen. „Wenn wir so hart arbeiten und unser Bestes geben, können wir es auch für uns machen“, erklärt Dimitrova-Dzontic den Grund für ihre Entscheidung.
Beratung für Migranten
Einfach war dieser Weg allerdings nicht. Allein bis die Papiere in der Handelskammer fertig waren, vergingen vier Monate. Die Voraussetzungen für selbstständige EU-Ausländer waren damals noch um einiges strenger als heute. Sie musste eine Vielzahl von Qualifikationsnachweisen vorlegen, um die Genehmigungen zu erhalten. Ausführliche Informationsangebote für Migranten, wie sie heute bei Mingo, dem AMS oder der Wirtschaftskammer erhältlich sind, gab es damals noch nicht.
Mittlerweile gibt es schon ein recht großes Angebot an Programmen und Initiativen, die Migranten bei der Unternehmensgründung unterstützen. So begann etwa die Wirtschaftskammer 2008 mit dem sogenannten „Mentoring für Migranten“. Ziel dieses Programms ist es, dass gut vernetzte Akteure aus der Wirtschaft qualifizierte Personen mit Migrationshintergrund beim Einstieg in den österreichischen Arbeitsmarkt unterstützen. Die migrantischen Unternehmer in Wien kommen heute aus insgesamt 92 Ländern, vorwiegend aus Osteuropa und aus Deutschland.
Einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Selbstständigkeit leisten auch die Frauen. Im Vergleich zu 2009 wuchs der Anteil der Gründerinnen in Wien um drei Prozent und liegt nun bei 41 Prozent aller Firmenanmeldungen. Unterstützung dabei bietet etwa abz*Austria mit einem Mentorinnen-Programm und einer begleitenden Beratung für Frauen mit Migrationshintergrund. Dass diese Maßnahmen Früchte tragen, zeigt der Umstand, dass Unternehmen von Migranten im Durchschnitt eine Umsatzentwicklung verzeichnen, die mit jener von „einheimischen“ Betrieben vergleichbar ist.
Laut einer Befragung des Mingo-Gründungscoaching sind die Motive, die eine Person zur Selbstständigkeit bewegen, sehr unterschiedlich. Sie reichen vom Umsetzen eigener Ideen (90 Prozent) bis hin zur Unzufriedenheit mit der alten Arbeit (30 Prozent). Für viele Frauen spielt auch die Familie eine zentrale Rolle.
Der Berufung folgen
Antonia Dimitrova-Dzontic hat ihren Schritt in die Selbstständigkeit nie bereut. Mittlerweile leitet sie ihr eigenes Unternehmen. „Blossom“ heißt die Ein-Frau-Firma, die im Bereich Web-Entwicklung, Web- und Printdesign – auch international – tätig ist. Unabdingbar für die Arbeit sei dabei vor allem eines, meint die Unternehmerin: „Ein Selbstständiger wird scheitern, wenn er seine Arbeit nicht wirklich gerne macht.“
Magda Stampfer sieht das ähnlich – sie ist glücklich als Selbstständige. Zum einen, weil sie sich die Zeit für ihre Kinder jetzt besser einteilen kann. Und zum anderen, weil sie davon überzeugt ist, dass es ihr und ihrer Familie viel besser geht, seit sie als Kinesiologin arbeitet. „Denn wenn man seiner Berufung folgt“, meint sie, „macht das einfach glücklich“.