Mentoren für Migranten

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IN ZAHLEN
  • Die Anzahl der Arbeit suchenden Migranten lässt sich nicht ohne weiteres feststellen. Die Statistiken des AMS haben als Kriterium die Staatsbürgerschaft. Entweder haben Zuwanderer einen österreichischen Pass und werden als Inländer gesehen, oder sie werden als Ausländer erfasst.
  • Arbeitslose: Im April 2008 waren in Österreich 205.074 Menschen beim AMS als Jobsuchende gemeldet, davon 37.528 mit ausländischem Pass. Für Wien lag die Gesamtzahl bei 64.060, von denen 15.330 als Ausländer registriert waren.

28.05.2008 | 18:34 | Yordanka Hristozova-Weiss

Selbst aktiv werden und nicht in die Mentalität der Jammerer verfallen“, rät Angela Tragauer arbeitslosen Zuwanderern. Die Unternehmerin ist eine von 60 Mentoren – österreichische Spitzenkräfte, die arbeitslosen Migranten helfen, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Gleichzeitig wird damit auch geholfen, den zunehmenden Bedarf an Fachkräften zu decken. Immerhin gibt es mehr als genug Zuwanderer, die in Jobs arbeiten, für die sie eigentlich überqualifiziert sind.

„Österreichs Wirtschaft braucht Sie!“ ist das Motto des Mentoring Programms, einem Pilotprojekt der Wirtschaftskammer (WKÖ), des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) und des Arbeitsmarktservice (AMS). Zielgruppe sind Zuwanderer, die zumindest über einen Lehrabschluss verfügen.

„Wer vernetzt ist, kommt schneller voran“, sagt Margit Kreuzhuber, Integrationsbeauftragte der WKÖ. Mit dem Programm können Migranten Netzwerke nützen, die ihnen sonst verschlossen blieben. „Das Qualifikationslevel ist hoch, zwei Drittel der Mentees sind Akademiker“, so Kreuzhuber.

Die Migranten, die nach einer schriftlichen Bewerbung vom Österreichischen Integrationsfonds in einem eigenen Verfahren ausgewählt wurden, treffen nun seit Anfang März regelmäßig mit Mentoren zusammen. Jeder Mentee wurde einem Mentor zugeteilt, der einen ähnlichen beruflichen Hintergrund hat. Fünf Stunden pro Monat sind vorgesehen. Die Termine erfolgen entweder im professionellen Rahmen oder beim Mittagessen, aber auch via E-Mail oder bei Netzwerkveranstaltungen wird der Kontakt gepflegt.

Aus Mentoren werden Freunde

Hauptsächlich geht es darum, miteinander zu kommunizieren. Und wenn die Chemie stimmt, entstehen auch Freundschaften. Wie im Fall von Angela Tragauer: „Ich bin selbst Migrantin. Wegen meines Mannes kam ich von Deutschland nach Österreich“. Sie ist 55 Jahre alt, leitet ihr eigenes Unternehmen „Hearing and more“ mit Schwerpunkt Personalentwicklung und Erwachsenenbildung. Ihr Ehemann Gerhard Tragauer ist 65 und seit kurzem in Pension. Er war in verschiedenen Unternehmen für Getränke- oder Weinproduktion tätig. Seit drei Monaten kümmert sich das Ehepaar um arbeitslose Migrantinnen.

Eine Mentee ist die 23-jährige Marilena aus Rumänien. Sie hat eine höhere Schule besucht, war in einem Familienunternehmen für Schmuckerzeugung tätig und verfügt über ein Cambridge Zertifikat für Englisch. Derzeit studiert sie an der Wiener Wirtschaftsuniversität.

Angela Tragauer hat ihren Schützling im Verlauf der Aktion schon zwei Mal in ihr Büro eingeladen und die junge Dame auch zu Hause besucht. Mittlerweile sei sie sogar schon so etwas wie eine ältere Freundin für ihre Mentee geworden. „Meine Marilena“, sagt die Unternehmerin, wenn sie von ihr erzählt.

Aber warum tut sich ein gut vernetzter Akteur des Wirtschaftslebens überhaupt eine Verpflichtung an, ausländische Arbeitslose regelmäßig zu treffen? „Wir waren neugierig. Wollten unser Wissen weitergeben, neue Kulturen kennen lernen“, erzählt Tragauer über ihre Motivation. „Jetzt sind wir stolz, die ersten Erfolge mitfeiern zu dürfen“.

Aber es ist nicht nur die Aussicht auf neue Freunde, die Mentoren bewegt: „Über den Tellerrand des Unternehmens und der Branche zu schauen, ist ungemein befruchtend“, meint Ute Hennig. Sie ist bei Microsoft Österreich als Community Affairs Manager tätig und Mentorin eines 31-jährigen Albaniers. „Unser Unternehmen stellt den Mitarbeitern drei Arbeitstage pro Jahr zur Verfügung, die beliebig für eine gute Sache gestaltet werden können“, erzählt sie. Um selber die Corporate Social Responsibility auszuleben, leistet sie nun dem IT-Experten aus Osteuropa Hilfestellung.

Karriere auch bei der Konkurrenz

„Er ist studierter Physiker und hat vor einem Jahr in Wien geheiratet. Seitdem lernt er Deutsch, kann aber perfekt Englisch und Italienisch. Im IT Bereich sind mangelnde Deutschkenntnisse keine Hürde“, so die Mentorin. Sie hat ihren Schützling drei Mal getroffen und weiß Bescheid über seinen bisherigen beruflichen Werdegang: „Er hat das IT Netzwerk der italienischen Botschaft in Tirana aufgebaut und betreut.“

Der Mann ist mittlerweile öfter bei Microsoft – er besucht dort Kurse und wird bald auch die Prüfung für ein Zertifikat belegen. „Dann“, meint Henning, „kann er sich auch bei der Konkurrenz bewerben.“

(YORDANKA HRISTOZOWA-WEISS, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 28.05.2008)


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