Polen in Wien: Die unsichtbaren, erfolgreichen Migranten

14.10.2009 | 14:22 | Ania Haar

Ihre Wurzeln reichen bis in die Monarchie zurück. Heute leben in Wien über 36.000 Polen. Doch wer sind sie, was machen sie? Ein Rundgang durch die polnische Community Wiens.

Wer zu spät kommt, der muss stehen. Die Kirche ist klein, und alle Bänke sind besetzt. Um viele Polen in Wien auf einem Fleck zu treffen, muss man hierher kommen: In die Gardekirche am Rennweg5a. „Über 5000 Gläubige versammeln sich sonntags zum Gottesdienst“, sagt Zygmunt Waz, der Rektor der Ordensgemeinschaft der Resurrektionisten. „Wir zelebrieren achtmal an diesem Tag die Heilige Messe.“

An den wichtigsten katholischen Feiertagen – Weihnachten und Ostern – bleibt die Kirche dafür halb leer. Ein Widerspruch? Nein. Die fehlende Hälfte fährt nach Polen, um dort zu feiern.

So wie Zofia Beklen. „Ich bin auf Transit“, sagt Beklen, „seit 30 Jahren schon.“ Sie gründete vor zehn Jahren die „Wiener-Krakauer Kultur-Gesellschaft“. Ihr Ziel: transnationale kulturelle Projekte zu organisieren. So bringt Beklen Wiener Künstler nach Krakau, und Krakauer nach Wien. Über 200 Projekte hat sie in den vergangenen zehn Jahren realisiert. Für ihre letzte Filmproduktion, „Ventzki“ von Piotr Szalsza, wurde sie von der EU für den „Golden Star Award 2009“ nominiert. „Mit einem Fuß in Wien und mit dem anderen in Krakau“, sagt sie, „fühle ich mich in beiden Städten zu Hause.“ Wissenschaftler nennen das hybride Identität: Ein Mensch kann in zwei oder mehreren kulturellen Räumen gut leben. „Solche Migranten wünscht sich jeder Integrationsbeauftragte“, sagt Heinz Fassmann, Migrationsforscher vom Institut für Geografie und Regionalforschung an der Universität Wien. Die Polen entsprechen gewissermaßen dem Bild des Integrationsmusterschülers: „Sie sind unsichtbar, aber erfolgreich“, sagt Fassmann, „und sie sind hoch qualifizierte Arbeitskräfte.“ Zwar sind sie, Schätzungen zufolge, auch eine der größten Gruppen illegal Beschäftigter in Wien, aber an seriösem Datenmaterial fehle es, so der Migrationsforscher.

Wiener Wurzeln bis in Monarchie

Die erste große polnische Migrationswelle kam in den Achtzigerjahren, die zweite nach dem EU-Beitritt des Landes 2004. „Es ist eine junge Migration“, so Fassmann. „Das ist nicht wahr“, kontert Danuta Nemling, ehemalige Präsidentin des polnischen Verbands „Strzecha“. Dieser Verband der Polen in Österreich wurde 1894 gegründet und ist heute noch aktiv. Oft werde vergessen, dass die polnischen Wurzeln in Wien bis in die Monarchie zurückgehen, so Nemling.

Dass die Geschichte der Wiener Polonia – der polnischen Emigration – alt ist, weiß auch Fassmann. Dennoch sprechen die Zahlen von einem rasanten Zuwachs in den vergangenen zwei Jahrzehnten: 1981 lebten laut Statistik 2653 polnische Staatsbürger in Wien, 2001 waren es 21.841, 2008 – nach dem EU-Beitritt Polens – 36.775. Warum ausgerechnet in Wien? „Es ist ein Phänomen, das wahrscheinlich mit der geringen Distanz zu Polen zu tun hat und mit den Netzwerken von Polen in der Großstadt“, vermutet Fassmann.

Rund um die Kirche am Rennweg gibt es vier kleine Geschäfte. Nicht nur polnische Presse, sondern auch „Pierogi“ (gefüllte Teigtaschen), polnische Wurst, Bier oder frische Salzgurken werden hier verkauft; man kann hier auch Arbeit, Wohnungen und Bekanntschaften finden. Michal Gasiorowicz sitzt stolz in seinem kleinen Geschäft hinter der Kirche. „Viel verdiene ich nicht mit meinen polnischen Zeitschriften und Büchern”, sagt er. Aber: So viel wie die Ladenmiete kommt zumindest rein.

Gasiorowicz zeigt auf die Pokale, die neben ihm auf dem Ladentisch stehen. „Das war mein Beitrag zur Integration“, sagt er: „Ich habe zwei Österreicher gefragt, ob sie für die Polonia-Mannschaft an einem Segelwettbewerb in Torun teilnehmen.“ Die Österreicher sagten Ja – und gewannen. Das war Anfang August. Gasiorowicz schmiedet schon Pläne für nächstes Jahr: Da soll der Polonia-Wettbewerb im Segeln in Wien, an der Alten Donau stattfinden.

Bis nach der Messe geöffnet

„Bei uns klingelt es oft“, sagt Ordensbruder Waz. Für viele Polen war und ist die Kirche eine traditionelle Anlaufstelle. „Wir helfen, wo wir können, sonst vermitteln wir die Kontakte und es wird weiter geholfen“, sagt Waz. Dennoch bleibt „unser erstes Anliegen die Seelsorge“, betont Ordensbruder Jan Kaczmarek, der gleichzeitig auch die Monatszeitschrift „Nasza Wspólnota“ („Unsere Gemeinde“) leitet. „Für die Polen ist die Kirche ein Ort des Glaubens und eine Verbindung zur Heimat“, betont Ordensbruder Kaczmarek.

Die Geschäfte rund um die Kirche schließen erst, wenn der Gottesdienst um neun Uhr abends zu Ende ist. Damit auch die letzten Besucher noch etwas einkaufen können.

 

AUF EINEN BLICK

In Wien gibtes eine Vielzahl an polnischen Institutionen, etwa das Polnische Kulturinstitut, das Polnische Wissenschaftszentrum (PAN), die polnische Schule, eine Buchhandlung, Theatergruppen, Sportvereine sowie Medien (Polonika, Jupiter, Zongler). Viele Vereine sind im Dachverband „Forum Polonii“ organisiert: www.forumpolonii.at.

XVIII. Polnische Tage in Österreich, noch bis 17.Oktober. Programminformationen unter: www.imprezy.at.

 

(ANIA HAAR, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.10.2009)


Kommentieren Sie den Artikel





Weitere Artikel von Ania Haar