Berufswahl: „Ich möchte im Dreck stehen“

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AUF EINEN BLICK
  • Eine 29-Jährige schwimmt gegen den Strom: Die gebürtige Türkin lebt in Wien und hat hier vor ihren Eltern Reißaus genommen, um einer Zwangsheirat zu entkommen.
  • Nach einer Zwischenstation in der Punkszene behauptet sie sich in einer Männerdomäne: Als Metallerin hat sie sich mittlerweile zur Schichtarbeiterin hochgearbeitet und will die Karriereleiter weiter nach oben steigen. Vorurteilen tritt sie mit Entschlossenheit und vor allem mit überdurchschnittlicher Leistung entgegen.

08.10.2008 | 10:25 | Günes Koc

Der harte Weg einer Migrantin, die vor einer Zwangsehe in Wien flüchtet, bei Punks Unterschlupf findet und sich in einer Männerdomäne behauptet.

WIEN. Saniye Blümel ist 29, lebt in Wien und hat noch viel vor. Sie hat allerdings auch schon viel hinter sich – mehr jedenfalls als die meisten anderen ihres Alters.

Früh schon hat sie sich dagegen aufgelehnt, dass ihr ihre Eltern – obwohl in Wien lebend – das Korsett althergebrachter türkischer Traditionen anlegen wollten. Immer wieder wehrt sich der Teenager; als schließlich die Eskalation unvermeidbar ist: Saniye ist 18, als sie die elterliche Wohnung verlässt, weil sie der Hochzeit mit einem Mann nicht zustimmen will, den ihre Eltern für sie gewählt haben.

Sie schlägt sich nach Deutschland durch, findet Unterschlupf in Freiburg im Breisgau – in der dortigen Punkszene. Hier wird sie ein Jahr lang leben, großteils auf der Straße. Vor diesem Hintergrund sagt sie, dass „nicht alles Spaß war, was ich in diesem Jahr erlebt habe.“

Sie kehrt nach Wien zurück, nicht aber in die Wohnung ihrer Eltern. Die Wende in ihrem Leben kommt mit einem Fernsehauftritt: In der ORF-Sendung „Heimat, fremde Heimat“ erzählt sie davon, wie sie vor der Zwangsheirat Reißaus genommen hat.

Unter den Zusehern ist auch eine Familie, die sich spontan entschließt, die damals knapp 20-Jährige aufzunehmen. Für Saniye beginnt ein neues Leben. Sie holt eine Ausbildung nach und entscheidet sich, einen Weg abseits der Normen einzuschlagen. Dieser Entschluss wird ihr Leben verändern.

Sie will unbedingt Technikerin werden. Denn: „Ich will reparieren, zusammenbauen und – wenn es nötig ist – auch im Dreck stehen; aber, bitte, ja nicht Hausfrau mit tollen Koch- und Nähkünsten sein“, erinnert sie sich – nicht ohne dass ein Grinsen über ihr Gesicht huscht.

Als erste Frau erfolgreich

Saniye ist die erste Frau in Österreich, die die Prüfung als Maschinenbautechnikerin erfolgreich ablegt. In all dieser Zeit – zurück von der Straße in einen geregelten Tagesablauf, bei all den Beschwerlichkeiten der Ausbildung, die es zu überwinden gilt – erlebt sie die tatkräftige Unterstützung ihrer Zweitfamilie.

Dennoch will sie nach eineinhalb Jahren wieder komplett auf eigenen Füßen stehen – „als ich meinen ersten Job in einer Maschinenbaufabrik angenommen habe“. Der lose Kontakt zur Wahlfamilie bleibt ungebrochen, es sollte aber vier Jahre dauern, ehe sich Saniye wieder bei ihren leiblichen Eltern meldet. „Es war für mich nicht einfach, ihnen zu verzeihen. Aber sie haben bedauert, was sie mir angetan hatten.“

Saniye ist das erste Kind von fünf Mädchen. „Ich war das Opfer von Unerfahrenheit und Rückschrittlichkeit meiner Eltern.“ Die hätten aber gelernt: „Nach der Erfahrung mit mir haben sie meine jüngeren Schwestern in Ruhe gelassen.“ Saniye versöhnt sich also mit ihren Eltern, bleibt aber auf Distanz – die Unabhängigkeit will sie nicht mehr aufgeben.

Allein unter Männern

Sie wechselt den Job und arbeitet als einzige Frau von zwölf Mitarbeitern in den Metallwerken, die im niederösterreichischen Industrieviertel beheimatet ist. „Es ist mit Sicherheit in der technischen Branche nicht einfach für Frauen.“ Einige bittere Erfahrungen bleiben ihr nicht erspart. „Anfangs haben mich die Kollegen nicht respektiert. Ich musste das Fünffache leisten, um zu zeigen, dass ich genau so gut wie sie arbeiten kann.“

Und dann gibt es noch diese Vorurteile: „Sie dachten, dass eine Frau halt viel weniger und schlechtere Leistung erbringt als ein Mann.“ Es hat einiger Zeit bedurft, den „Herren der Schöpfung“ die Augen zu öffnen, dass dies ein Trugschluss ist: „Erst als sie mit eigenen Augen gesehen haben, dass ich vielleicht noch besser bin als sie, begannen sie Respekt zu zeigen.“ Und nicht nur Respekt – der Neid ließ nicht auf sich warten.

Das Unverständnis ist noch nicht zur Gänze ausgeräumt: „Sie haben es nicht verstanden, warum eine Frau allein unter Männern arbeiten will und sich so einer harten Arbeit, die auch Schichtarbeit in der Nacht beinhaltet, aussetzt.“ Und immer wieder diese Fragen: Ob ihr Mann denn nichts dagegen habe, dass sie „mit so vielen Männern allein als Frau arbeitet – auch in der Nacht“.

Saniye wird bald Schichtleiterin, immer wieder gibt sie Wissen, Können und Erfahrung an Lehrlinge weiter. Nach den langen, harten Jahren kehrt mittlerweile so etwas wie Normalität ins Leben der bald 30-Jährigen ein. Nach den Anfangsschwierigkeiten hätten sich ihre Kollegen auf die Frau im Team eingestellt „sie haben mich total akzeptiert“. Letztlich tun das mittlerweile auch ihre Eltern, die nun sagen, dass sie stolz auf ihre älteste Tochter seien.

Saniye Blümel, die mit sechs Jahren nach Österreich gekommen ist, hat in Wien Wurzeln geschlagen. Natürlich, es gebe die „Sehnsucht nach einer einfachen, unkomplizierten Welt, aber ich suche nicht mehr nach ihr.“

(Günes Koc, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 08.10.2008)


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