Gächter: „Österreich hat keinen Platz für gut ausgebildete Migranten“

HINTERGRUND:
  • Regierung und Arbeitsmarkt vermittelten bisher in der Öffentlichkeit stets das Bild, dass für gut qualifizierte Migranten ausreichend Stellen vorhanden wären. Eine Studie des Wiener Soziologen August Gächter kommt zu einem anderen Schluss. Er glaubt, dass für höher qualifizierte Zuwanderer der soziale Abstieg in Österreich programmiert sei. Der Arbeitsmarkt wüsste gar nicht, wo man diese Personen unterbringen sollte. Dass gut ausgebildete Ausländer hierzulande Arbeit suchen, sei schlichtweg „verrückt“.

18.09.2012 | 20:14 | Milena Borovska

Laut einem Wiener Soziologen haben Österreichs Betriebe gar keinen Platz für gut ausgebildete Migranten.

Wien. Bei Regierung und Wirtschaft sind gut ausgebildete Migranten begehrt wie nie. Man kann jedoch auch anders argumentieren, wie zum Beispiel August Gächter, Soziologe am Wiener Zentrum für Soziale Innovation. Seine provokante These lautet: „Die österreichische Gesellschaft weiß gar nicht, was sie mit qualifizierten Einwanderern anfangen soll.“

Der Forscher glaubt, dass die Betroffenen an den wenig differenzierten Strukturen beim Zugang zum Arbeitsmarkt scheitern. „Wenn ich als Arzt oder Jurist nach Österreich komme und zum AMS gehe, werde ich in der Datenbank bestenfalls mit einem Pflichtschulabschluss eingetragen. Die Betriebe werden sich hüten, mich einzustellen.“ Oder anders formuliert: Migranten werden durch systemische Benachteiligung in niedrig qualifizierte Berufe gedrängt.

„Inländer hingegen sind mit geringer Bildung zu mittleren Tätigkeiten gekommen. In keinem anderen EU-Land gibt es für qualifizierte Zuwanderer so wenige Aufstiegsmöglichkeiten.“ Laut Gächters Studie – die auf den Mikrozensus-Daten der Statistik Austria beruht – würden Einwanderer mit geringer Bildung mehr als 90 Prozent ihrer tatsächlichen Arbeitszeit in gering qualifizierten Tätigkeiten zubringen. Dagegen Nichtmigranten mit entsprechender Bildung nur 50 Prozent.

Josef Wallner von der Arbeiterkammer relativiert die Bedeutung von Hochqualifizierten für den österreichischen Arbeitsmarkt ebenfalls. Am besten kämen immer noch mittlere Qualifikationen an. „Wir durchlaufen derzeit einen Strukturwandel, bei dem höher qualifizierte Berufe an Bedeutung gewinnen. Andererseits steigt bei den sogenannten niedrig qualifizierten Berufen der Qualifikationsgrad. Früher hat man als Lagerarbeiter nur Pakete schleppen müssen. Heute muss man Waren abbuchen und einen Stapler fahren können.“

Ahmed Isiagow ist 1972 als hoch qualifizierte Arbeitskraft vor den Repressionen in Bulgarien nach Österreich geflüchtet. Damals stand er als Tagelöhner regelmäßig an bestimmten Plätzen und wartete darauf, für einen Auftrag abgeholt zu werden. Bei einem seiner Arbeitsausflüge wurde man auf ihn aufmerksam. „Ich habe in einer Gas-Wasser-Heizung-Firma angefangen. Dem Chef hat es gefallen, wie ich arbeite.“ Isiagow wurde auf dem Bau eingesetzt: In ganz Österreich stehen inzwischen mehr als 200 Schwimmbecken, die er errichtet hat. Auch am Wiener Allgemeinen Krankenhaus hat er mitgearbeitet. „Wir waren da fast nur Ausländer.“

Anteil am Wirtschaftswunder

Das war zurzeit des Wirtschaftswunders. Soziologe Gächter erinnert daran, dass Einwanderer, die damals überwiegend auf dem Bau und in der Industrie zum Einsatz kamen, maßgeblich zum österreichischen Wohlstand beigetragen haben. Allerdings herrschten damals auch ganz spezielle Rahmenbedingungen. Josef Wallner von der Arbeiterkammer: „Bei einer Arbeitslosenrate von unter drei Prozent und 100.000 emigrierten Österreichern gab es damals keine Reserven mehr unter den inländischen Berufstätigen.“ Heute zählt Österreich in Europa zu den produktivsten Ländern überhaupt. Möglich gewesen sei das nur durch die Hilfe von Zuwanderern.

Der Überhang von Migranten in niedrig qualifizierten Tätigkeiten hatte und hat jedoch noch einen weiteren Effekt. Nur so war es nämlich möglich, dass jeder zweite, wenig qualifizierte Österreicher eigentlich mittlere oder höhere Tätigkeiten verrichtet. Besonders stark vertreten sind Migranten in schlecht bezahlten und gesundheitlich problematischen Branchen.

Gächter kommt bei seinen Überlegungen zu dem Schluss, dass es für Migranten durchaus vernünftig sei, auch mit geringer Bildung nach Österreich zu kommen. „Hier haben diese Menschen eine höhere Beschäftigungswahrscheinlichkeit als in der Türkei oder in Serbien, können sich mit dem Einkommen hier mehr leisten.“ Für Höherqualifizierte sei es hingegen „verrückt, nach Österreich zu emigrieren“. Das Risiko des sozialen Abstiegs sei sehr groß.

Erfolg, aber bitte nicht zu viel

Die Kinder von Ahmed Isiagow hingegen haben es geschafft. Der heute 59-Jährige ist stolz auf seine Söhne. Der ältere ist inzwischen Automechaniker, der jüngere Buchhalter in einer großen Firma. Der Vater hingegen arbeitete jahrelang unter seinem Bildungsniveau, „damit es die Kinder besser haben“. Gächter glaubt, dass auf den Migranten der zweiten Generation schwerer Druck lastet. „Sie müssen in der Gesellschaft, in die ihre Eltern hineingekommen sind, etwas erreichen – aber auch nicht zu viel. Als Einwanderer sollte man eigentlich in einer niedrig qualifizierten Tätigkeit sein, und die Kinder dürfen dann in eine mittlere Position aufsteigen. Erst die Enkel können dann in eine höher qualifizierten Tätigkeit aufsteigen. Wer sich nicht an diese Reihenfolge hält, wird als anmaßend interpretiert und abgestraft.“


ein Kommentar

  • werner weissenhofet

    sehr geehrte frau borovska als mediziner weiss ich wie wichtig fuer unsere gesellschaft die zuwanderung vieler hochspezialisierter arbeitskraefte ist. ich sehe die notwendigkeit des heranfuehrens an das oesterreichische rechts- ausbildungs- graduierungs- lizenz- system . es waere eine zentrale aufgabe ihrer bemuehungen gemeinsam mit oeserreichischen fachleuten dies zu synchronisieren und damit zu beschleunigen mit besten gruessen werner weissenhofer Geschrieben um 19. September 2012 um 11:42 Uhr Antworten

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