Wien als Drehscheibe für Migranten-Modezaren

default
AUF EINEN BLICK
  • Einige Kreative, die in der Modewelt Furore machen, sind als Migranten nach Wien gekommen und machen die Stadt nun zu einer internationalen Drehscheibe der Modebranche. Eine wesentliche Hilfe für derartige Karrieren ist die departure – wirtschaft, kunst und kultur Gmbh, eine Initiative der Stadt Wien. Diese unterstützt mit Förderungen bis zu 200.000 € Unternehmer und Unternehmensgründer der „Creative Industries“.
LINK

23.07.2008 | 8:14 | Yordanka Hristozova-Weiss

Junge Kreative erobern die Modewelt von Wien aus – viele von ihnen sind vor einigen Jahren als Zuwanderer gekommen.

WIEN. Der Stempel ist für viele wegen kyrillischer Lettern nicht lesbar, der dazugehörigen Männermode wird nichtsdestotrotz in Wien, Paris, Tokio, Hongkong, London, Berlin und Saudi Arabien applaudiert. Der kluge Kopf dahinter ist der 31-jährige Petar Petrov. Er hat es geschafft, innerhalb kürzester Zeit den Modeolymp zu besteigen und als Shootingstar in Sachen Kleidung in Wien zu gelten. Einen Weg, den Couturiers wie Atil Kutoglu und Thang de Hoo bereits hinter sich haben.

Weiße Socken sind keine Sünde

Ende der 90-er Jahre wagte Petrov gar nicht davon zu träumen: Die Inflation in Bulgarien galoppierte mit bis zu 600 Prozent pro Jahr. Der Großteil des Einkommens ging für Brot und Heizung drauf. Damals war er 22. Jetzt blickt er zurück: „Ich kam nach Wien zum Studieren, habe kaum Deutsch gesprochen“, erzählt er. „Der Kulturschock hat mich schwer getroffen. Immerhin komme ich aus einem Land, wo in jener Zeit die Politiker zu einem schwarzen Anzug weiße Frotteesocken getragen haben“, meint Petrov und betont, dass mittlerweile weiße Socken im Alltag keine Modesünde sind. Aber in anderen Kombinationen.

Der Wahlwiener weiß nicht, was aus ihm geworden wäre, hätte er 1999 nicht den Entschluss gefasst, nach Österreich auszuwandern: „Bulgarien hat fünf Jahrhunderte unter osmanischer Herrschaft gelitten. Und weitere 50 Jahre war das Land hinter dem Eisernen Vorhang.“ In Wien erhoffte er sich mehr Freiheiten. Und so studierte Petrov Mode an der Angewandten, unter anderem bei den Holländern Victor&Rolf und wählte den Schwerpunkt Männermode.

„Spielraum ist begrenzt“

„In diesem Bereich ist der kreative Spielraum begrenzt. Ich konzentriere mich auf das Detail, den Schnitt und die Materialien. Eine kleine Änderung der Tasche beispielsweise kann die Anmutung eines Anzuges deutlich beeinflussen“, so Petrov. Seine Kunden sind Männer bis 40, meist in kreativen Berufen und mit Mut zur Individualität. „Die alten Zeiten sind vorbei“, so der Autor der jungen, edlen Männermode mit dem kyrillischen Zeichen. Inspiration findet er in der Reflexion seiner osteuropäischen Wurzeln und seinem jetzigen Umfeld.

Für den Catwalk werden keine professionellen Models gebucht. Castingagenten suchen für diese Aufgabe junge Herren direkt auf den Straßen von Wien und Paris: „So rückt meine Mode in den Vordergrund und die unbekannten Gesichter betonen meine Ideen.“ Nach der Show lässt er sich auch niemals blicken: Das würde ihm zu altmodisch erscheinen, meint er. Seine Marke entwickelt er seit fünf Jahren. Mittlerweile arbeiten auch seine Eltern mit: „Wenn ein Problem auftritt, entsteht ein kleines Familiendrama.“

Mit Zilk in der Straßenbahn

2003 war ein entscheidendes Jahr für ihn: „Ich bekam den Preis des Wiener Modebüros ,Unit F‘. Damals war ich noch Student, hatte aber das Glück, meine Arbeit bei der Fashion Week in Paris vorzustellen.“ Seit 2004 ist er im offiziellen Showkalender der europäischen Modehauptstadt aufgenommen. Vor drei Jahren hat der Wahlösterreicher zum Auf- und Ausbau seiner Marke vom Förderbüro der Wiener Kreativwirtschaft 100.000 Euro erhalten. Petrov, der sich als Workaholic bezeichnet, fühlt sich Wien auch deshalb verbunden – der Stadt, die ihm als Sprungbrett ins Modebusiness gedient hat.

So auch Atil Kutoglu. Der Mode-Funke des gebürtigen Türken ist schon in seiner Kindheit übergesprungen. 1986 kam er als Student an die Wirtschaftsuniversität Wien. Durch Zufall lernte er den Wiener Bürgermeister Helmut Zilk in einer Straßenbahn kennen:. Nicht scheu, sprach er ihn auf eine eventuelle Unterstützung an.

Russin schneidert Exquisites

Mit dem Stipendium der Stadt Wien finanzierte der BWL-Student seine erste Kollektion. In seinen Kleidern trifft der Orient das Abendland in den warmen Tönen der Farbskala. Seine Damenmode bekommt Applaus von New York bis Istanbul. Für Hayrünnisa Gül, die Ehefrau des türkischen Präsidenten, interpretierte Kutoglu das traditionelle Kopftuch neu und hat einige Tücher entworfen.

Wahlwiener so wie Petrov und Kutoglu ist auch Thang de Hoo. Der holländisch-stämmige Couturier führt jetzt das Traditionshaus Fürnkranz mit der Aufgabe, die glanzvolle Schneiderkunst neu zu beleben. Last, but not least: Gegenüber dem Stephansdom bereitet das Luxus-Label „Irina Vitjaz“ den Start vor. Elvira Kargapoltseva schaffte den weiten Weg von Jekaterinburg im Ural, wo sie 1965 geboren wurde, nach Wien. Die Labelgründerin setzt auf Handarbeit mit historischen Techniken und seltenen Stoffen. Von Wien aus plant die Russin, quasi im Walzerschritt, die Spitze der europäischen Mode zu erreichen. (YORDANKA HRISTOZOVA-WEISS)


Kommentieren Sie den Artikel





Weitere Artikel von Yordanka Hristozova-Weiss