MIRIAM BAJTALA: Ein volleres Leben
Die Künstlerin und Filmemacherin Miriam Bajtala im Gespräch mit KINOSALON-Kurator Ascan Breuer über die Zusammenhänge zwischen ihren Migrationsgeschichten und ihrer künstlerischen Arbeit.
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Dieses Interview ist Teil einer Serie im Rahmen des KINOSALONS „East of Vienna, South of the Sun„. In diesem KINOSALON-Blog erscheinen auch Gespräche mit den anderen beteiligten Filmemacherinnen Nina Kusturica, Mara Mattuschka und Kurdwin Ayub, sowie ein persönliches Statement des Kurators Ascan Breuer.
ASCAN BREUER: Bist du in Österreich geboren?
MIRIAM BAJTALA: Nein, in Bratislava. Ich bin als Siebenjährige mit meinen Eltern nach Österreich gekommen. Eine heiße Flucht durch den Eisernen Vorhang.
ASCAN: Was genau heißt ‚heiß‘?
MIRIAM: Meine Eltern hatten ein Einreisevisum bekommen, da stand ich aber nicht mit drinnen. Auf der damals tschechoslowakischen Seite hat mein Vater einen der Dienst habenden Zöllner gekannt. Doch auf der österreichischen Seite hat uns der Zöllner wieder zurückgeschickt.
ASCAN: Wie bitte? Was dann?
MIRIAM: Wir sind erst einmal zurück nach Bratislava und wussten nicht, was jetzt tun? Meine Eltern haben mir nicht erzählt, dass sie vorhatten in Österreich zu bleiben. Die Angst war zu groß, dass ich mich verplappern könnte. Ich dachte wir fahren auf Urlaub. Ich habe hinten im Auto furchtbar geheult, wollte nicht in Bratislava zurückbleiben.
ASCAN: …was dann aber nicht geschehen ist.
MIRIAM: Nein. Meine Eltern wussten, dass der slowakische Zöllner bis 9 Uhr in der Früh Dienst hatte, also sind wir wieder zurück bis zur österreichischen Grenze. Meine Mutter konnte ein paar Brocken Deutsch. Meine Erinnerung ist sehr vage, weil alles dramatisch verfärbt war: Mein Vater ist beim österreichischen Zoll nach wenigen Worten ausgestiegen, hat den Kofferraum geöffnet, und dem Zöllner drei Flaschen Krimsekt aufs Pult gestellt, die eigentlich als Geschenke für Bekannte gedacht waren. Er ist dann wieder ins Auto gestiegen und losgefahren – der Zöllner hat nichts getan und niemanden verständigt. So sind wir in Wien gelandet. Mein Vater hat mir dann auf der Mariahilferstraße eine Melone gekauft – ich liebe Wassermelonen! – und eine Jeans. Er hat mich damit bestochen und sanft gestimmt. Eine Videoarbeit von mir, „Drei Stimmen“, hat meine Migrationsgeschichte als Thema, die sozialen und ökonomischen Bedingungen, meine Sprachaneignung, den Sprachverlust.
ASCAN: Habt ihr dann Asyl beantragt?
MIRIAM: Genau, wir hatten nach drei Wochen Urlaub Asyl beantragt. Fünf Jahre später, haben wir die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten.
ASCAN: Das ist aber verhältnismäßig schnell…
MIRIAM: Ja, auch deshalb, weil ich Leistungsgeräteturnerin war.
ASCAN: Leistungsturnen mit sieben Jahren?
MIRIAM: Mit Fünf Jahren habe ich begonnen! Das war damals eine der Möglichkeit in den Westen zu kommen. In Oberösterreich habe ich dann recht schnell einen Verein gefunden, konnte aber bei nationalen Wettkämpfen nicht mit turnen, weil ich keine Österreicherin war, bis 1982.
ASCAN: Hast du dich als Turnerin besonders angestrengt, weil du dieses Verantwortungsgefühl gegenüber der Familie hattest?
MIRIAM: Es hat schon ein Stück mit diesem Verantwortungsgefühl zu tun. Ich habe aber auch gerne geturnt. Klar, nicht immer. Ich kannte halt auch nichts anderes. Mit 17 Jahren habe ich damit aufgehört. Es gibt eine Text-Fotoarbeit von mir, „Erster Preis“, die genau das thematisiert: Darin tausche ich meine Pokale der Turnzeit gegen Preise, die ich in der Kunstwelt bekommen oder vergeben möchte. 2011 habe ich damit begonnen. Sieben Preise sind schon vergeben, dreizehn Preise stehen noch offen. So werde ich Stück für Stück im Tausch die peinlichen Pokale los.
ASCAN: Wie kam es zu diesem Schwenk vom Sport zur Kunst?
MIRIAM: Ich habe Freiräume gesucht. Ich komme aus einer kulturell und künstlerisch sehr unempfindlichen Ecke. Alle haben und hatten mit Kunst so gar nichts am Hut. Bei mir hat die Liebe dazu mit der Musik begonnen. Ich habe einige Jahre Kunstgeschichte studiert. Später habe ich am Elektroakustischen Institut eineinhalb Jahre Computermusik studiert, bis ich von Eva Schlegel an die Akademie der bildenden Künste aufgenommen worden bin.
ASCAN: Und was haben deine Eltern gearbeitet?
MIRIAM: Meine Mama war hier in Österreich am Anfang Kronenzeitungsverkäuferin. Mein Vater Handwerker. Er war eine spezielle, sehr traurige Figur: Es ging ihm immer ums ‚Beginnen‘. Als er dann älter geworden ist, ging das nicht mehr so leicht. Als ich 16 Jahre alt war, ist er nach Kanada abgehauen. Meine Mutter hat uns durchgeboxt, und ich konnte Matura machen. In Kanada hat mein Vater eine Zeit lang seine Form des ‚kapitalistischen Traums‘ gelebt: Er war mit seiner Freundin für reiche Villenbesitzer das Dienstpersonal. Diese ganzen Klischeebilder, diese ganze ‚Ostblock-Schnulze‘ – das war in ihm so ganz, ganz verinnerlicht! Er wollte so gern reich werden, hatte unterschiedlichste dubiose Geschäfte am Laufen, war kurzfristig im Gefängnis, hat einige Zeit wieder in Bratislava gelebt, war eine zeitlang als Housekeeper in einer Ferienanlage in Saudiarabien. Am Schluss hat er unweit von Bratislava im Burgenland gelebt. Ein sehr rastloser Mensch. Vor zweieinhalb Jahren ist er gestorben.
ASCAN: Das hört sich nach einem unglaublichen Abenteurer an?
MIRIAM: Ja, er war ein Abenteurer. Aber gleichzeitig ist er ganz eng und klein geblieben, Er war nicht sehr tolerant. Ich habe eine zeitlang viel mit ihm gestritten, was politische Meinungen anbelangt – aber das ist eine andere Geschichte.
ASCAN: Bist du selbst auch soviel herumgekommen?
MIRIAM: Später ja. Aber mit der Familie hatten wir nie Urlaub gemacht, wir hatten kein Geld dafür. Der letzte gemeinsame „Urlaub“ war die Emigration. Ich habe mit 17 zum ersten Mal das Meer gesehen. Im Laufe der Jahre habe ich dann ein paar Fernreisen gemacht, meistens alleine. Andere Lebensformen interessieren mich sehr, andere Formen zu sein, aber auch die Konfrontation mit meinen vielen Ängsten, denen zu begegnen, sie zu überwinden.
ASCAN: Ängste wovor?
MIRIAM: Zum Teil ganz banale Sachen: dass man z.b. in Indien beim Autofahren einfach hupt und dann rausfährt ohne zu schauen, dass man diesem Busfahrer vertrauen muss, bzw. der Busfahrer darauf vertraut, dass auch die anderen Autos hupen, wenn sie rausfahren. Oder auf einem Schotterweg auf der linken Straßenseite angestrengt Fahrrad zu fahren um plötzlich, nachdem die Konzentration nachgelassen hat, zu bemerken, dass weit und breit niemand da ist. Zum Teil habe ich auch sehr existentielle Erfahrungen gemacht. Ich lerne unglaublich viel beim Reisen. Vor allem auch über mich.
ASCAN: Als bildende Künstlerin kommt man ja auch viel über sogenannte ‚Residenzstipendien‘ in der Welt herum, oder?
MIRIAM: Ja, mein letztes derartiges Stipendium hatte ich vor fünf Jahren für vier Monate in Paris. Da habe ich zum ersten Mal begriffen, dass ich durch diese Form der Stipendien die damalige Flucht nach Österreich immer wieder reaktiviere: immer wieder dieses Fremdsein, sich alles neu erarbeiten zu müssen – durch die Stipendien habe ich das auf eine sehr existenzielle Weise wieder durchlebt. Nach Rom und Los Angeles ist mir das dann in Paris sehr bewusst geworden. Diese ganzen Ängste von früher, das war alles wieder da. Mir wurde klar: Das will ich in dieser Form nicht mehr! Wenn, dann mag ich reisen, und nicht in einem anderen Land Kunst produzieren müssen – den Druck rausnehmen etwas zu ‚müssen‘.
ASCAN: Wie ist dann dein Verhältnis zu deinem Geburtsland Slowakei?
MIRIAM: Meine ganzen Verwandten sind in der Slowakei, nur meine Mutter lebt in Oberösterreich. Aber ich fühle mich dort fremd. Es ist eine andere Welt – wenn auch nicht exotisch: Bratislava ist ja nur 70 Kilometer von Wien entfernt.
ASCAN: Und in Österreich? Bist du hier ein Fremdling?
MIRIAM: Ich fühle mich hier am wenigsten fremd, weil eben diese anderen Fremdlinge auch hier sind – also meine Lieblingsfremdlinge: Menschen meines Vertrauens.
ASCAN: Es gibt ja viele, die sich in bestimmten Szenen heimisch fühlen, zum Beispiel im Kunstfeld.
MIRIAM: Da fühle ich mich nicht immer ‚zu Hause‘, aber am ‚zu Hausesten‘, am vertrautesten. Ich habe das Gefühl, dass mich bestimmte Spielregeln nicht so interessieren, dass ich auch bestimmte Codes durch meine Herkunft einfach nicht lesen gelernt habe und mir bestimmte Umgangsformen nicht vertraut sind, auch bestimmte Formen von Machtausübungen sind mir ein Gräuel. Strenge Hierarchien und bestimmte Formen des Bückens auch. Da lerne ich immer neu dazu. Mein Motor war oft die Unzufriedenheit. Ich mag das ändern. Ich arbeite daran, bin auf der Suche nach etwas, das mir mehr Befriedung gibt, ein volleres Leben, in der Kunst oder auch außerhalb.
ASCAN: Du arbeitest hauptsächlich alleine?
MIRIAM: Ja, aber ich habe ein paar Freundinnen, denen ich fast immer die Arbeiten, die für mich wichtig sind, zeige und diskutiere, bevor rausgehen. Ich vertraue auf ihre Meinung. Da findet ein ganz intensiver Dialog statt. Ich arbeite auch gerne mit Leuten zusammen, jedoch hat sich nie eine längere Kooperation ergeben. Aber es ist schon so, dass ich gerne alleine Entscheidungen treffe. Deswegen fühle ich mich auch eher als bildende Künstlerin. Eine wendige, kleine Form ist spannender für mich, weil es mir ganz andere Freiheitsmöglichkeiten erlaubt, als eine Filmmaschinerie das tun könnte. Da muss so vieles von Anfang an fixiert sein. ‚Film‘ war für mich immer zu groß. Da sind so viele Menschen am Werken, ganz andere Summen werden verschoben, und wenn der Film dann fertig ist, sitzen so viele Menschen auf einmal fest in ihren Kinosesseln und schauen alle in eine Richtung auf die Leinwand. Das alles in einem realen finsteren Raum, der dann durch Fiktion gefüllt wird. Ich arbeite am liebsten real mit unterschiedlichen Räumen und Raumkonstellationen, und denke mir dafür Arbeiten aus. Diese können in verschiedenen Medien sein, auch wenn ich mit Wahrnehmung, Sprache, Bewegung, Körper, und auf vorderster Ebene mit dem Faktor Zeit am liebsten arbeite. In Videoinstallationen sind diese Parameter vorhanden.
Ich bin ein performativer Mensch: Durch meine Arbeit denke ich, und durch die Arbeit passieren Schritte, passiert etwas Neues. Alles mit mir und in mir ist performativ.
(Transkription: Veronika Karim)
In diesem Blog erscheinen Interviews mit den am KINOSALON „East of Vienna, South of the Sun„ beteiligten Filmemacherinnen:
– NINA KUSTIRICA: Der Welt treu bleiben
– MARA MATTUSCHKA: Die totale Reorganisation der Welt
– KURDWIN AYUB: Die große Grenzenlosigkeit fühlen
– ASCAN BREUER: Mache ich eigentlich „migrantische“ Filme? (Statement des Kinosalon-Kurators)
Der KINOSALON ist Veranstaltung im Rahmen von WIENWOCHE, in Kooperation mit This Human World, gefördert mit Mitteln der Stadt Wien.
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