Berufsleben: Der „Herr Nino“ aus dem Landtmann
- Teil 2: Ein Mathematiker als Fleischer
- Teil 3: Die lachende Straßenkehrerin
- Teil 4: Eine Kassiererin wie aus dem Theater
08.08.2012 | 9:40 | Ida Labudovic
Fast jeder zweite Kellner aus Wien wurde nicht in Österreich geboren. Auftakt einer Serie über Karrieren von Menschen mit Migrationshintergrund.
Wien. „Du schaust nicht wie ein Ausländer aus“, sagte die Nachbarin zu Nenad Gavrić, als er vor 23 Jahren nach Wien kam. „Du bist nicht dunkel und hast keinen Schnurbart.“ Nicht nur das Äußerliche entsprach nicht dem Stereotyp eines Fremden, Gavrić sprach auch von Anfang an Deutsch.
Es war ein bunter Mix von Entscheidungen und Zufällen, die das Leben des 43-jährigen Serben aus Bosnien bestimmten. Schon als Mittelschüler entschied er sich für den Beruf des Kellners und begann eine Ausbildung dafür. So wie es in Ex-Jugoslawien üblich war, konnten die Schüler zwischen mehreren Fremdsprachen wählen. Gavrić entschied sich für Deutsch. Heute spricht er mit Stolz im Wiener Dialekt.
Drei große Migrationswellen
Es gab drei große Migrationswellen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die sogenannten „Wirtschaftswellen“ in den 1960er-, ’70er- und ’80er-Jahren. Einerseits bot sich die Auswanderung nach Österreich wegen der räumlichen Nähe an, andererseits ermöglichten wirtschaftliche und politische Interessen beider Länder die Migration. In den ’90er-Jahren wiederum kam es wegen des Jugoslawien-Kriegs zu einer „Flüchtlingswelle“. Gavrić kam mit keiner dieser Wellen, sein Weg nach Österreich führte über die Liebe. Als er an der kroatischen Küste als Kellner arbeitete, lernte er seine zukünftige Frau kennen – eine Niederösterreicherin. So kam er schließlich nach Wien: „Wenn ich von irgendwo zurück nach Wien komme und diese Stadt rieche, dann weiß ich, ich bin zu Hause.“
Jobsuche im Landtmann
1989 hat Gavrić im damaligen Restaurant „Dubrovnik“ seine Karriere begonnen. Als der Krieg in Ex-Jugoslawien ausbrach, musste Gavrić das Lokal, das in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, wechseln. Nach kurzer Arbeitslosigkeit fing er im Lokal „Zum Bettelstudent“ an. Mit dem Arbeitsklima war er zufrieden, das Geschäft ging sehr gut. „Aber nach zehn Jahren war es mir zu viel, und ich wollte eine Pause machen.“
Doch die Pause sollte nicht lange währen: Gavrić las eine Annonce in der Zeitung, ein Kellner wurde im Kaffeehaus Landtmann gesucht. „Dorthin bin ich öfter als Gast gegangen, und immer dachte ich, wie schön es wäre, hier zu arbeiten.“ Von 72 Kellnern, die sich für den Posten beworben hatten, wurden zwei aufgenommen. Heute ist Gavrić der Oberkellner im Landtmann – und er trägt ein goldenes Schild mit seinem Kosenamen „Herr Nino“.
Rund 18.000 Kellner und Barkeeper arbeiten in Wien. Laut Ergebnissen einer Stichprobenerhebung der Statistik Austria ist fast jeder zweite davon nicht in Österreich geboren. Gerne erinnert er sich an den ersten Tag als junger Kellner im Wiener Traditions-Café: „Ich habe Catherine Deneuve bedient und war von der Schönheit der Schauspielerin erstaunt.“ Herr Nino wirkt zufrieden. Im Landtmann, sagt er, habe er Eleganz gelernt. „Das war mir wichtig“, meint er und fügt hinzu: „Meine Wünsche und Ambitionen sind hier in Erfüllung gegangen.“
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 08.08.2012)