Anny Knapp: „Im Asylverfahren herrscht relativ viel Willkür“

24.10.2011 | 15:09 | Silvia Herburger

Die Asylkoordination Österreich feiert heuer ihr 20 jähriges Bestehen. Die Asylkoordination hat es sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, die österreichische Bevölkerung für die Probleme von Flüchtlingen und Migranten zu sensibilisieren. Außerdem werden Projekte wie ‚Connecting People‘, bei dem unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ein Pate zur Seite gestellt wird, vom Verein koordiniert. In einem Gespräch mit M-MEDIA spricht Anny Knapp, Obfrau des Vereins über Willkür, Mindeststandards und Geldnöte. Die Fragen stellte Silvia Herburger.

M-MEDIA: Inwiefern hat sich ihre Arbeit in den letzten 20 Jahren verändert?

Anny Knapp: In den 20 Jahren hat sich recht viel getan. Wenn man einmal damit anfängt, dass wir doch eine ziemliche Fülle an Gesetzesänderungen hatten. Wenn man da jetzt einen Strich darunter zieht, kann man sagen, es hat sich einiges zum Besseren gewendet. Was man noch sagen kann, dass wir uns in diesen 20 Jahren deutlich auf diesen Asylbereich spezialisiert haben. Auf der organisatorischen Ebene haben wir in diesen Jahren eigentlich relativ stabile Strukturen aufgebaut. Nicht geändert hat sich die Unsicherheit bei der Finanzierung, aber wir schaffen es irgendwie doch jetzt über viele Jahre, dass wir jedes Jahr wieder über die Runden kommen.

Was wenig relevant war, ist, ob schwarz-blau oder rot die Regierung dominiert oder den Innenminister stellen. Die Migrationspolitik hat sich in den letzten 20 Jahren auf einen sehr restriktiven Kurs eingeschworen. Auch bei Flüchtlingen ist es eben sehr schwierig, wenn die Gründe nicht ausreichen, für eine positive Entscheidung im Asylverfahren dann anschließend trotzdem in Österreich bleiben zu können. Wir haben zwar eine Bleiberechtsregelung bekommen im Jahre 2009, aber de facto können noch nicht so viele Leute davon profitieren, wie wir es uns wünschen würden. Was wir auch gemacht haben, in Kooperation mit anderen ist, das Thema Obdachlosigkeit von Flüchtlingen aufzugreifen, das war um 2000 herum. Es war früher so, dass Asylwerber zu einem Großteil obdachlos waren und diesen Missstand haben wir natürlich angeprangert, weil es ja nicht sein kann, dass jemand ein Verfahren hat, sich für das Verfahren zur Verfügung zu halten hat, mitwirken muss und keine Adresse hat, wo die Behörde die Person erreichen kann. Das war ein Thema, das uns sehr betroffen hat. 2004 ist dann die Grundversorgung geschaffen worden. Letztlich sind sehr viele von den positiven Entwicklungen im Asylbereich aber auf die europäische Dimension zurückzuführen. Es gibt da gemeinsame Zielsetzungen und die Tendenz die Asylsysteme innerhalb der europäischen Union zu harmonisieren, zweiter Schritt zu vereinheitlichen. Und diese Harmonisierungsphase hat in Österreich doch einigen Handlungsbedarf ausgelöst, dass wir die Mindeststandards, die eben von der Europäischen Union vorgegeben werden, erreichen.

Eines ihrer erklärten Ziele ist: ‚Information vor Vorurteil‘. Welche Rolle spielen denn Medien beim Thema Rassismus und Migration?

Keine besonders rühmenswerte. Es gibt dazu Untersuchungen, die schon vor einigen Jahren durchgeführt wurden, aber es hat sich seither nicht viel geändert. Das heißt die Negativberichterstattung, vor allem zum Bereich Asyl dominiert extrem und hat glaube ich, in den letzten Jahren sogar noch zugelegt, seit auch die Regierung das Thema verstärkt aufgegriffen hat und auch den Kampf gegen Asylmissbrauch auf ihre Fahnen geheftet hat. Also für den Asylbereich hat sich sicher die Berichterstattung noch deutlich verschlechtert. In der Regel findet man ja Haus- und Hofberichterstattung, für Hintergrundinformationen gibt es nur wenige Journalisten, die sich bei uns melden, um irgendetwas gegenzuchecken, was aus den offiziellen Stellen kommt. Da gibt es sicher sehr viel an Verbesserungsbedarf. Ich glaube beim Thema Migration dürfte es sich ein bisschen gebessert haben, weil man doch jetzt Integration nicht mehr als garstiges Thema in den Medien wiederfindet. Aber gut die Medien spiegeln eben auch nur das wider, was die Politik an Unsinnigkeiten von sich gibt. Ich denke mir, da wären differenziertere Sichtweisen durchaus angebracht. Differenziertere Sichtweisen ist jetzt eine sehr vorsichtige Beschreibung, was ja manches Mal bis zu hetzerischen Beiträgen ausartet. Ich denke mir da gibt es wirklich ganz brutale und grausliche Sachen. Ich habe vor ein paar Jahren aufgehört, die Postings bei den Internetzeitschriften zu lesen, weil da glaubt man ja gar nicht, was da manchmal an Stimmungen hochkocht und wie ungeniert die Leute wirklich sich hetzerisch äußern. Das ist unglaublich.

Im Bereich Asyl scheinen für Beobachter manche Entscheidungen sehr schwer nachvollziehbar, wenn nicht sogar willkürlich.

Anny Knapp: Ja. Also ich habe schon auch den Eindruck, dass relativ viel Willkür herrscht und wir haben zuletzt zum Bleiberecht versucht einen Bericht zu machen. Wir haben auch einen Bericht gemacht, zu ein Jahr Bleibereicht, wo wir verschiedenste Entscheidungen gesammelt haben und uns die Entscheidungspraxis ein bisschen näher angeschaut haben und da kann man auch nur sagen, in einem Fall geht es und in einem gleichgelagerten Fall geht es nicht.

Aber wie wird das dann entschieden?

Anny Knapp: Es gibt verschiedene Behörden, jeder Referent oder Richter beim Asylgerichtshof entscheidet eben. Das ist eine Abwägung, es gibt nicht so strikte Kriterien, die man einfach nur abhaken kann. Es sind ja immer individuelle Situationen, die beurteilt werden müssen. Also es ist so, auch von diesen Kriterien, es gibt schon eine Kriterienliste, aber man kann sie eben so oder so gewichten und das ist das Problem. Bei diesen Kriterien ist eben auch ein wesentlicher Punkt, ob jemand illegal eingereist ist und da wird eben auch gesagt, die illegale Einreise das ist schon eine starke Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Also wenn sich jemand einmal nicht an die Vorschriften gehalten hat und das muss man dann eben abwägen, Deutschkenntnisse, Arbeit, Kinder die hier aufgewachsen sind und die illegale Einreise seinerzeit vor sieben Jahren, ist das wirklich noch von so hohem Gewicht? Also es gibt da einfach viel Spielraum. Was an und für sich nicht schlecht ist, aber da spielt eben die generell sehr negative Einstellung eine deutliche Rolle. Die Behörden sitzen ja nicht abgeschottet vom Rest der Bevölkerung und die negative Stimmung schlägt dann natürlich auch auf die Entscheidungen durch. Wenn auch von der Politik mehr Positives zu dem Thema signalisiert werden würde, würde sich die Entscheidungspraxis durchaus liberalisieren, aber wir haben dann, wenn wir beim Thema Bleiberecht bleiben, die Ministerin Fekter die klipp und klar gesagt hat, es gibt kein Bleiberecht, dann darf man sich nicht wundern, wenn bei etlichen Behörden das auch so angewandt wird.

Welche Erfahrungen haben sie mit dem ‚Connecting People‘ Projekt, das es seit 2000 gibt, gemacht?

Anny Knapp: Das wurde im Rahmen dieses Schwerpunktes unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ins Leben gerufen und will eben unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen unterstützende Strukturen oder familiären Background bieten.

Wie viele solche unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gibt es in Österreich im Jahr?

Anny Knapp: Die Anzahl ist relativ hoch. Wir haben ca. 800.

Und die kommen vor allem aus Afghanistan?

Anny Knapp: Ja, hauptsächlich Afghanistan.

War das schon immer so?

Anny Knapp: Ja, die Afghanen sind eigentlich schon eine der größten Gruppen über den ganzen Zeitraum hinweg, wir hatten früher ein bisschen mehr afrikanische Flüchtlinge, also aus Nigeria, Somalia. Aber die Zahl der Flüchtlinge aus Nigeria ist zurückgegangen. Und dann war eine Phase, wo auch noch mehr unbegleitete Minderjährige aus Moldawien nach Österreich gekommen sind, aber die waren eigentlich kaum bei unserem ‚Connecting People’ Projekt. Warum kann ich eigentlich nicht sagen. Aber gut, es wird die Auswahl derjenigen, die so eine Patenschaft bekommen, in Absprache mit den Unterbringungs- und Betreuungseinrichtungen getroffen, die Jugendliche vorschlagen, bei denen sie einen zusätzlichen Bedarf an Betreuung sehen.

Wie viele sind das zur Zeit?

Anny Knapp: Wir haben jetzt 170 Patenschaften. Bedarf gäbe es natürlich einen wesentlich höheren, das Problem ist, dass wir auch hier nicht ausreichend Ressourcen haben, um eine größere Zahl an Patenschaften auch tatsächlich zu managen.

Werden die Paten vorher ausgebildet?

Anny Knapp: Die Paten werden ausgebildet, es gibt dann auch eine durchgehende Begleitung dieser Patenschaften. Wir starten dann eine Patenschaftsgruppe, wo 20 bis 25 Paten sind und es soll dann auch eine Supervision durch die Gruppe erfolgen. Auch da gibt es Ideen mehr zu machen, aber unsere Ressourcen reichen dafür einfach nicht aus. Vor allem mehr gemeinsame Aktivitäten, das wäre so ein Ziel, das wir haben. Wir machen zwar schon immer wieder etwas, eine Wanderung organisieren oder vor kurzem ein Bowlingabend. Die Gruppenbindung wird natürlich wesentlich stärker, wenn man regelmäßig so etwas anbietet. Da könnte man sicher noch wesentlich mehr machen. Aber es ist einfach extrem schwierig für uns, Geld aufzutreiben.



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