Wiener Zeitung: Sebastian Kurz, der Leistungsträger

18.07.2017 | 12:22 | REDAKTION

Text von Von Solmaz Khorsand erschienen Heute in der Wiener Zeitung

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Wien. Die Generation Praktikum darf endlich aufatmen. Jahrelang lebte sie nach dem Credo: Optimiere dich selbst, nur so hast du eine Chance. Nur so kannst du mithalten. Nur so einen Fuß auf den Arbeitsmarkt setzen. Gestresst hat sie dieses Credo, die 18-bis 37-Jährigen. Früh wurde ihnen eingebläut: Qualifikation ist alles. Ein Studium ist ein Muss. Am Besten irgendwas mit Technik, in Mindestzeit, zwischendurch unbedingt einen Abstecher ins Ausland, wo man nebenbei seine Mandarin-Kenntnisse auffrischt und den einen oder anderen ECTS-Punkt für sein Zeugnis abräumt, wenn man gehbehinderte Chihuahuas in seiner Freizeit betreut. Schließlich braucht auch Empathie ein Zertifikat.

Doch das ist nun vorbei. Die Generation Y darf sich entspannen. Denn einer von ihnen hat es geschafft und das ganz ohne viel formale Ausbildung: der Maturant Sebastian Kurz. Oder das Gegennarrativ zur Hyperqualifikationsgesellschaft. Er hat sich vom neoliberalen Leistungsgedanken nicht einschüchtern lassen. Patriotisch ist der 30-Jährige den österreichischen Weg gegangen: Über eine Partei, der Karriereleiter der Abgehängten.

Für seine Generation nicht unbedingt ein attraktiver Weg. So old School. So Werner Faymann. Doch Sebastian Kurz offenbart seinen Altersgenossen die Schönheit und Effizienz eines gut geölten Parteiapparats, dem die hysterische Wettbewerbsfähigkeit des Individuums nicht interessiert.

Paradox eigentlich. Denn keine andere Partei pocht dermaßen auf Leistung wie die ÖVP. Sie wird als Wert, Prinzip, gar Leitmotiv der schwarzen DNA verkauft. Und von der Gesellschaft beinhart eingefordert. Insbesondere von der Jungen ÖVP, der Kurz acht Jahre lang bis Mai 2017 vorstand. Auch ihr einstiger Obmann predigt wacker den Leistungsmythos. Und konterkariert ihn mit der eigenen Biografie. Als Maturant zum Integrationsstaatsekretär. Als Maturant zum Außenminister. Als Maturant zum Parteiobmann.

Man könnte die Bestellung der Spitze als Zugeständnis an den „einfachen Mann“ begreifen. Oder gar als Kapitulation der ÖVP, der „Anwältin der Leistungsträger“ an die österreichische Realität. Man weiß ja, dass dem Österreicher zu viel Bildung nicht ganz geheuer ist. Laut Umfragen des Linzer Meinungsforschungsinstituts IMAS hat der österreichische Leistungsgedanke kaum etwas mit der intellektuellen Leistung zu tun. So charakterisiert die Mehrheit der Befragten als wichtigsten Richtwert für die Bemessung beruflicher Leistung die körperliche Schwierigkeit der Arbeit, danach den Verantwortungsgrad des Betreffenden für Mitarbeiter und auf Platz drei seine Ausbildung.

Intellektuellenfeindliches Österreich

„Intellektuellenfeindlichkeit hat in Österreich eine lange Tradition“, erklärt die Soziologin Laura Wiesböck von der Universität Wien. „Historisch gesehen gibt es weitgehende Überschneidungen zwischen Anti-Intellektualismus und Antisemitismus. Der Austrofaschismus zerstörte die in der arbeitenden Klasse entstandenen Ausformungen von Intellektualität. Das hat hierzulande dauerhafte Denk-und Verhaltensmuster hinterlassen, die gesellschaftlich nie bewusst aufgearbeitet und überwunden worden sind.“

Nach wie vor bleibt der Professor dem Österreicher suspekt. Nicht umsonst musste sich Alexander van der Bellen monatelang durch den Präsidentschaftswahlkampf in Jeans und Rucksack dialekteln. Und dennoch wurde er den intellektuellen „Makel“ bis zum Schluss nicht ganz los, egal wie oft er sich neben seine Landsleute aus dem Kaunertal ablichten ließ. „Bei Politikern geht es weniger um die tatsächliche soziale Herkunft oder den Bildungsgrad, sondern um den vermittelten Habitus. Michael Häupl hat zum Beispiel ein Doktorat abgeschlossen, wird aber durch sein Auftreten, seine Umgangsformen und seinen Sprachduktus als „einer von uns“ wahrgenommen“, sagt Laura Wiesböck.

Auch Sebastian Kurz hat diesen Habitus perfektioniert. Nur richtet sich seiner an die ehrgeizige Generation Praktikum, die es nicht so genau nimmt mit der Bildungsbiografie ihrer vermeintlichen Lichtgestalt. „Ich bringe kaum diplomatische Erfahrung mit, ich bringe aber eine starke Begeisterung mit, einen großen Gestaltungswillen und vor allem einen jungen Blickwinkel“, sagte er unmittelbar nach seiner Bestellung zum Außenminister 2013 in einem Interview mit der „Kronen Zeitung“. Im Außenministerium reicht „eine starke Begeisterung“ und ein „großer Gestaltungswillen“ nicht. Dort sind die Voraussetzungen für eine Stelle vom Chef abwärts strikt vorgegeben. Während der Außenminister ein abgebrochenes Jus-Studium vorlegen durfte, verlangt man für Bewerber für den höheren auswärtigen Dienst mindestens einen Magisterabschluss oder einen fertigen Bachelor und die Absolvierung des Diplomlehrgangs an der Diplomatischen Akademie Wien oder eines vergleichbaren post-universitären Lehrganges an einer ausländischen Lehranstalt.

Reicht der Gestaltungswille ohne Qualifikation?

14.309 AHS-Maturanten sind derzeit in Österreich arbeitslos gemeldet. Hätten sie auf dem Arbeitsmarkt Chancen auf eine Führungsposition mit einem „großen Gestaltungswillen“ und einer „jungen Perspektive“? „Die Berufsbiografie eines Sebastian Kurz ist vollkommen atypisch. Es wird nur einen 30-Jährigen geben, der diese Biografie in Österreich hat“, sagt der Arbeitsmarktforscher René Sturm. „Als Arbeitgeber würde mir auffallen, dass er es geschafft hat trotz abgebrochenem Studium in gehobenen Verantwortungslagen tätig zu sein und dort auch zu überleben. Wozu brauche ich von dem noch ein Abschlusszeugnis? Alles, was ich brauche, hat er mir gezeigt.“, sagt Sturm.

Doch vielleicht ist gerade dieser Tage ein akademischer Abschluss nicht ganz von Nachteil in Sebastian Kurz’ Arbeitsumfeld. Nach den Enthüllungen der Stadtzeitung „Falter“ rund um die vermeintlich manipulierte Kindergartenstudie von Beamten aus dem Integrationsministerium, könnte durchaus Bedarf an Experten bestehen, die die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens verinnerlicht haben. Im Hintergrund versteht sich. Nach außen bleibt man bodenständiges Ausnahmetalent. Alles andere würde den Österreicher nur verunsichern.


ein Kommentar

  • Sylvia Inou

    Ich danke für den klaren und notwendigen Text. "Some are more equal" lasen wir in der Schulzeit in der Animal Farm. Was können, sollen wir daraus lernen? LG, Sylvia Inou Geschrieben um 20. Juli 2017 um 11:12 Uhr Antworten

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