Interkulturelle Sterbebegleitung

10.08.2011 | 16:58 | Ania Haar

Sterbebegleitung. Jede Kultur hat ihren eigenen Umgang mit Sterben und Tod. Die Gebräuche zu kennen, ist bei der Begleitung von sterbenden Migranten wichtig.

Wien. „Das Sterben gehört zum Leben“, sagt Espérance-François Ngayibata Bulayumi, Bildungsbeauftragter am Afro-Asiatischen Institut in Wien. Und je früher ein Mensch sich bewusst macht, dass er sterben wird, desto besser wird er leben können. Darüber schreibt er auch in seinem Buch „Sterbebegleitung als Lebensbegleitung“.

Warum er sich ausgerechnet dem Thema Sterbebegleitung widmet, hat mit seiner persönlichen Lebensgeschichte zu tun. Der gebürtige Kongolese war drei Jahre alt, als seine Mutter starb. Und obwohl er kaum noch Erinnerungen an sie hat, ist ihm ihr Begräbnis fünfzig Jahre später noch im Gedächtnis geblieben. Am Sarg seiner Mutter standen zwei Männer: einer rechts, der andere links. „Der eine Mann hob mich über den Sarg und überreichte mich dem anderen“, erzählt er. „Diese Zeremonie wurde dreimal wiederholt“. Da der Sarg ein durchsichtiges Glas hatte, konnte er das Gesicht seiner Mutter sehen. Seit zehn Jahren setzt er sich mit dem Thema Tod, aus literarischer, medizinischer, ethnischer und nicht zuletzt persönlicher Sicht auseinander.

Für Bulayumi ist Sterbebegleitung etwas, was man lernen kann. Wichtig sei dabei, die unterschiedlichen Kulturen zu kennen. Denn nur so könne man die Menschen individuell beim Sterben begleiten. In Zentralafrika etwa sei ein zentraler Punkt, dass Sterbenden vor dem Tod viele Besuche bekommen. Bei afrikanischen Migranten in Österreich sei es natürlich schwierig, dass alle Angehörigen aus der Heimat angeflogen kommen.

 

Viele kulturelle Unterschiede

Über kulturspezifische oder interkulturelle Sterbebegleitung gibt es nur verhältnismäßig wenig Forschung. Doch viele religiöse Unterschiede beim Sterben sind dennoch bekannt. Im Judentum etwa soll die Familie einer sterbenden Person sofort verständigt werden, da man ihr rund um die Uhr beistehen möchte. Im Islam soll der Sterbende mit ausreichend Flüssigkeit versorgt werden, denn ein Moslem darf nicht durstig sterben. Bei Buddhisten soll der Sterbende auf der rechten Seite liegen, um in der gleichen Position wie Buddha zu sterben.

Kann ein Mensch am Ende seines Lebens nicht begleitet werden, so besteht die Möglichkeit einer postmortalen Begleitung. Bei manchen Afrikanern sei es etwa üblich, Fingernägel und Haare abzuschneiden, und diese später den Familienmitgliedern zu überreichen, die sich nicht verabschieden konnten, erklärt Bulayumi. Denn die postmortale Begleitung ist aus seiner Sicht wichtig für die Trauerarbeit. „Es gibt auch Menschen, die die Trauerzeit nie abschließen können, weil der persönliche Abschied nicht möglich war“, sagt er, „und das Trauern hat kein Ende.“ Und das sei nicht gut für das eigene Sterben.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 10.08.2011)


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