Russen in Österreich: Zahlungskräftig, gut organisiert

04.05.2010 | 21:10 | Milena Borovska

Klischees über Oligarchen, Kälte und Wodka reichen nicht, um die mehr als 20.000 in Österreich lebenden Russen zu charakterisieren.

Ja, wir trinken, aber wer trinkt beim Feiern nicht? Außerdem tanzen und singen wir. Und es ist großartig, wenn ein Handwerker aus der Ukraine und ein Universitätsprofessor aus Russland an einem Tisch sitzen und miteinander anstoßen!“ Wild gestikulierend erzählt der Besitzer des ersten russischen Musikclubs in Wien, „Balalaika“, der sich selbst „Boris von Wien“ nennen lässt, über das Treiben am Wochenende.

Boris ist einer jener Menschen, die die gesamte russische Community des Landes zu kennen scheinen. Er erzählt, dass die Russen in vier Wellen nach Österreich kamen. Die erste nach der Oktoberrevolution, die zweite nach dem Zweiten Weltkrieg und die dritte, die kam nach 1975 und bestand vor allem aus jüdischen Bürgern der UdSSR. Doch die meisten Russen kamen nach 1990, als die Sowjetunion zusammenbrach und die Grenzen geöffnet wurden. Insgesamt leben heute 21.817 Staatsangehörige der Russischen Föderation in Österreich, der Großteil in Wien und Salzburg.

Plakative Assoziationen wie Oligarchen, Wodka oder Kälte greifen allerdings zu kurz, um die Russen in Österreich zu beschreiben. Für „Boris von Wien“ sind es die Musik, die Kultur und die Traditionen, die Menschen in seinem Club zusammenkommen lassen und als „Russen“ auszeichnen.

Nicht nur Dostojewski

Oleg Ksenofontov, Direktor des Russischen Kulturinstitutes in Österreich, sieht es als seine Aufgabe, Vorurteilen und Klischees über „die wilden Russen“ entgegenzuwirken und ihre Leistung für die Weltkultur sichtbar zu machen. Durch ihre Literaten, Musiker, Künstler sind sie schon längst da. Doch es müssen nicht immer Klassiker von Dostojewski und Tolstoi sein, die bei Fragen nach der Kultur herhalten müssen. Es entstehen auch immer mehr private „Organisationen der Landsleute aus Russland“ in Österreich, die sich als Interessenverbände verstehen.

Österreich wird in Russland wegen der Alpenlandschaft und wegen des imperialen Glanzes von Wien besonders geschätzt. Es kommen immer mehr russische Touristen nach Österreich und bringen den Skiorten und Städten große Umsätze. So wird das Klischee von lärmenden und rabiaten russischen Touristenscharen durch deren Zahlungsfreudigkeit entschärft.

Irina Moutchkina, Vorsitzende des Dachverbandes „Koordinierender Rat der Landsleute in Österreich“ und Herausgeberin des „Neuen Wiener Magazins“, kennt viele der in Österreich lebenden Russen persönlich – mit all ihren Problemen und Sorgen. Es gibt reiche und arme, quer über alle Schichten verteilt. Binationale Ehen zwischen Russen und Österreichern sind keine Seltenheit. Viele von ihnen werden selbstständig, studieren, oder sind im Bereich Kunst und Kultur tätig.

Wegen seines Images als stabiles Land mit günstiger Rechtslage ist Österreich auch für reiche und ganz reiche Russen als Ort für Investitionen interessant.

Ein großes Problem ist aber – trotz blühender Geschäftskontakte – die Nostrifikation russischer Diplome. Viele Anwälte und Ärzte fristen ihr Dasein als Hilfskräfte. Bekannt für ihre Anpassungsfähigkeit, integrieren sich Russen gut, finden Kontakte zu Österreichern und entwickeln sogar eine Art Patriotismus. Vladimir Tyschuk, Erzpriester der Kathedrale der russischen Orthodoxen Kirche in Wien, berichtet, dass viele aus der Gemeinde für den Segen Österreichs beten – ihrer neuen Heimat.

Angst vor Überfremdung

Viele schätzen Österreich für die in Russland eher wenig ausgeprägte gute Organisation und größere Gesetzestreue. Manche Russen haben sogar Angst um diese Vorzüge – und so mancher klagt sogar, dass es zu einer zunehmenden „Überfremdung“ kommt.

(MILENA BOROVSKA, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 05.05.2010)


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