Von den Türken niedergemetzelt!
Geschichte gehörte einmal zu meinen Lieblingsfächern in der Schule. Jedes Mal, kurz vor dem Unterrichtsbeginn, stellte ich schon die richtige Körperposition her – mit beiden Armen am Tisch angelehnt, auf die ich sofort meinen Kopf platzierte – und hörte mit großer Aufmerksamkeit der Lehrerin und dem Lehrer zu.
Ihr Erzählungsstil versetzten mich in eine andere Welt. Als wir das Kapitel „Türkenbelagerungen“ erreichten, zerplatzte das Luftbläschen, das mich durch die Geschichte transportierte. Die entspannte Körperhaltung änderte sich rasch, das Blut kochte, Schweißtropfen bildeten sich auf der Stirn.
Das war nur ein Bruchteil der Symptome, ausgelöst durch die verbalen, „belustigenden“ Attacken von Mitschüler- und LehrerInnen – und das nicht nur im Geschichtsunterricht! Ein „must-do“-Erfahrung, die jeder Schüler und jede Schülerin mit türkischen Wurzeln durchmachen muss.
Gehirnwäscherei vom Feinsten
Seit der letzten Türkenbelagerung (1683) – eine Zeit, wo Barbareien (nicht nur bei Osmanen) zu Tagesordnung gehörten – sind es über 300 Jahre vergangen. Die einseitige Erinnerung in der Bevölkerung ist jedoch stets nach wie vor stark präsent, sowohl psychisch als auch physisch.
Diesen Zugang nutzen einige Parteien schwerwiegend vor den Wahlen, um Wählerstimmen zu angeln. Dafür brauchen sie nur die stereotypen Bilder – das Feindbild Türke – auffrischen, die in den Köpfen von uns ÖsterreicherInnen verankert sind.
So hat die FPÖ beispielsweise bei den letzten Wiener Wahlen ein 55-seitiges Heftchen („Sagen aus Wien“) in alle Haushalte verteilt, das bei seinem ersten Kapitel über die zweite Türkenbelagerung Wiens „erzählt“. In den 6-Seiten stolpert man über viele klischeehafte, diskriminierende Stellen, welche Assoziationen zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen versuchen. Auffällig oft kommt dabei der Wortteil „TÜRK“ vor – nämlich 43-mal!!
Ironie oder Schizophrenie?
Als wir uns langsam im Geschichtsunterricht das dunkle Kapitel „Zweiter Weltkrieg“ annäherten, tauchten neue unbekannte „Kulturen“ auf wie die „Nationalsozialisten“ – Kurzform: Nazis. Es hieß immer: „sie“ hätten dies und jenes gemacht, und wären für ein Verbrechen gegen die gesamte Menschheit verantwortlich.
Heute können wir einige Denkmäler in Wien sehen, wo die Namen der damaligen Opfer an Wänden und in Böden gepflastert sind. Auch in den Geschichtsbüchern können die grauenhaften Taten nachgelesen werden, wobei hier immer von Opfern die Rede ist, die von den Nazis ermordet worden sind.
Zahlenmäßig überlegener sind in Wien Denkmäler über die Türkenbelagerungen vorzufinden – mehr als 200 Straßennamen, Gedenktafeln und Denkmäler. Erinnerungen an andere historische Ereignisse soll es in dieser Fülle laut der „Österreichischen Akademie der Wissenschaften“ (ÖAW) nicht geben.
Manche von ihnen sind negativ behaftet. So wie bei diesem Denkmal hier: „… von den Türken niedergemetzelten Einwohner…“, heißt es und nicht „von den Osmanen ermordeten“.
(Foto: © Dr. Peter Anderwald, August 2002)
Türken ewiges Feindbild – auch in den Schulunterlagen
Das Feinbild der Türken lässt sich leider nicht nur in der Öffentlichkeit oder in der Politik in Grenzen halten. Noch schlimmer: Es ist auch in den Schulunterlagen wiederzufinden, aus denen unsere Kinder Schreiben und Lesen lernen. Hier kritisieren auch Forscher, dass die Türken als Feindbild einzementiert werden.
Hier zum Beispiel ein Auszug aus den Lernunterlagen von der 4.Klasse einer Volksschule:
Was beim Text auffällt, ist, dass die Geschichte nicht in der Vergangenheitsform erzählt wird sondern in der Gegenwart.
„Mit Schrecken hören wir, dass die Türken gegen uns Christen Krieg führen wollen.„, heißt es in einer der Sprechblasen.
Darüber hinaus werden negative Begriffe wie „Angst“, „fürchterlich“, „verbrannt“, „zerstört“, „umgebracht“,… mit dem Begriff „Türken“ in den Köpfen von Kindern „irrtürmlich“ eingebrannt – ähnlich vor Jahren bei den älteren Generationen, mit dem Kinderbuch „Hatschi Bratschis Luftballon“
Nicht nur begriffstechnisch auch inhaltlich ist der Text mangelhaft und einseitig dargestellt. Beispielsweise ist die Rede von den „Türkenbelagerungen“, obwohl es bei den Belagerern um Osmanen handelten, die aus einem Vielvölkerstaat stammten und nicht nur aus Türken.
Dass die Osmanen zu dem Zeitpunkt am tolerantestem mit anderen Religionen umgingen als sonstige Reiche wird ebenfalls verschwiegen. Sie werden als „Christengegner“ abgestempelt.
Ob die Osmanenbelagerungen von anderen (Balkan-)Ländern, die damals einer Belagerung zum Opfer wurden, so stark thematisiert werden, ist auf jeden Fall eine Recherche wert. Jedenfalls ist es eine Tatsache, dass die Türkendenkmäler im Laufe der Zeit instrumentalisiert wurden.
Lasst uns neu beginnen
Wenn wir als Gesellschaft an einer friedlichen Zusammenleben wirklich interessiert sind, dann ist es zu überlegen, ob man die „Türkenbelagerungen“ nicht durch die „Osmanenbelagerungen“ und die „Türken“ durch „Osmanen“ ersetzt – so wie es sich eigentlich gehört. Schließlich ist ja auch immer von den „Nazis“ die Rede, die Minderheiten im eigenen Land ermordet haben und nicht von uns „ÖsterreicherInnen“.
Die nächste Überlegung ist, ob es gesellschaftlich gesund und verhältnismäßig ist, unsere Kinder bereits in der Volksschule in das Thema „Osmanenbelagerungen“ derart negativ gegenüber türkischen MitbürgerInnen einzuweihen. Die Judenverfolgung wird zum Beispiel in den Volksschulen noch nicht behandelt. Kinderbücher, Gedichte, Comics,… darüber gibt es schon gar nicht.
In diesem Zusammenhang: Wäre ein neuer Anfang nicht begrüßenswert, der unsere Kinder sachgemäß aufklärt? Anstatt zu zusehen, wie sie zum Opfer einer hetzerischen Gehirnwäsche werden, die uns nur negative Spannungen beim Zusammenleben beschert.
ein Kommentar
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georg holzmann
die ufmachung der unterlagen ist sicherlich verbesserungswürdig aber die türken belagerung und die dait verbundenen ereignisse sind geschichte und kümmern heute nur mehr wenige . ps:die türken und die österreicher waren im ersten weltkrieg verbündete. Geschrieben um 22. März 2012 um 18:02 Uhr